Fischers Vergangenheit

Ende eines Marathons

Außenminister Joseph Fischer ist angezählt. Und die 68er-Revolte ist endgültig niedergeschlagen.

Die letzte Woche dürfte Joseph Fischer so schnell nicht vergessen. Am Dienstag sagte er im Frankfurter Opec-Prozess aus. Er äußerte sich zu seinem Verhältnis zu dem Angeklagten Hans-Joachim Klein, seinem Kampfgefährten aus Frankfurter Sponti-Jahren. Fischer bekannte sich zu früheren Gewalttaten, distanzierte sich aber von Klein und der RAF. Am Mittwoch fand dann die Bundestagsdebatte zum Thema statt, und es war dasselbe Spiel: Fischer gab zu, was längst bekannt war und distanzierte sich von allem, was ihm schaden könnte.

Die Opposition nutzte die Debatte zum Angriff. Friedrich Merz, Vorsitzender der CDU-Bundestagsfraktion, bezweifelte Fischers Aussagen und forderte eine entschiedenere Distanzierung von politischer Gewalt. Angela Merkel, die Vorsitzende der CDU, sagte in der ARD, für viele Menschen sei es »unfassbar, dass Fischer uns im Ausland vertritt«.

Die Auseinandersetzung um Fischers Vergangenheit gerät zur späten Entsorgung der 68er Revolte. Was ehemaligen 68ern, die längst zu den Völkischen übergelaufen sind wie der Anwalt Horst Mahler, nicht gelang, nämlich die nachträgliche Diskreditierung der Studentenrevolte, soll nun mit der militanten Vergangenheit Fischers erreicht werden. Einer der verbissensten Kämpfer beim »68er-Bashing« (taz) ist der hessische Ministerpräsident Roland Koch. Ausgerechnet er, der »brutalstmögliche« Aufklärer in der CDU-Spendenaffäre, sagte im Interview mit dem Spiegel: »Man kann im Leben nicht beliebig oft die Wäsche wechseln. (...) Es ist etwas ganz anderes, ob man sich als 16-Jähriger in einer spontanen Aktion gegen einen Polizisten gewehrt hat oder ob man als Erwachsener diesen Rechtsstaat unter Missachtung der Regeln systematisch aus den Angeln heben wollte.«

Aber noch unverfrorener als die Angriffe der Konservativen auf Fischer sind die ehemaliger Linker. Götz Aly in der Berliner Zeitung und Thomas Schmid in der FAZ giften in einer Weise gegen Fischer und die Neue Linke seit 1968, die selbst die Springer-Presse übertrifft (vgl. Jungle World 4/01). Ohne Nazi-Vergleich geht bei den Renegaten offensichtlich gar nichts mehr.

Götz Aly resümiert die 68er Bewegung, ihren Anti-Amerikanismus und ihren Anti-Zionismus: »Aber das Doppelgesichtige hatte auch schon die nationalsozialistischen Studenten in ihrer Kampfzeit zwischen 1930 und 1933 ausgezeichnet.« In Bezug auf die gegenwärtig kolportierten Erinnerungen der 68er meint Aly: »Deren historiografischer Wert ist in der Summe nicht höher als die Anekdoten und selbstmitleidigen Berichte ehemaliger deutscher Soldaten von der Ostfront.« Und zum guten Schluss legte er dem Grünen Hans-Christian Ströbele für seine noch zu schreibenden Memoiren einen Titel nahe: »Franz Schönhubers Waffen-SS-Klassiker: ðIch war dabeiЫ. Am Ende dieser neurechten Logik kann nur die Erkenntnis stehen: Hitler war ein Linker.

Aber so zynisch die Angriffe auf Fischer auch anmuten, es fällt schwer, ihn in Schutz zu nehmen. Denn seine Verteidigungsstrategie ist nicht weniger unsympathisch. Etwa wenn er sich die Geschichte zusammenreimt, wie sie ihm gerade passt, sich selbst und Daniel Cohn-Bendit zu guten Spontis stilisiert, die zwar von der Faszination der Gewalt zum Steineschmeißen und Prügeln verführt wurden, aber aufrecht und mutig gegen den Terrorismus zu Felde zogen und dafür von der Linken sogar gehasst wurden. Wie immer, wenn er um seinen politischen Vorteil kämpft, ist Fischer der Vergleich mit Auschwitz gerade wohlfeil. So war es im Kosovo-Krieg, als er sich berufen fühlte, ein neues Auschwitz zu verhindern, und Gegner seiner Politik, wie etwa Gregor Gysi, als »Weißwäscher für die Politik eines neuen Faschismus« diffamierte. So ist es auch in der Auseinandersetzung um seine militante Vergangenheit. Vor dem Frankfurter Gericht sagte Fischer: »Als ich las, wie die Ermordung Schleyers begründet wurde, hätte ich vor Wut fast heulen können. Das war die kalte Sprache der Mörder von Auschwitz und Sachsenhausen, das war deren Mordtechnik des Genickschusses.«

Man könnte den Eindruck bekommen, es ginge in diesem »hoch moralisch aufgeladenen Kulturkampf« (Antje Vollmer) gar nicht um eine Bewertung der 68er Revolte, sondern darum, wer auf die keckste Weise den Massenmord an den Juden verharmlosen und relativieren kann. Beim deutschen Außenminister gehört das spätestens seit 1999 zum Programm. In dieser Frage scheint sich auch Ignatz Bubis, der ehemalige Vorsitzende des Zentralrats der Juden in Deutschland, geirrt zu haben. Er sagte bei einem seiner letzten öffentlichen Auftritte auf einer Podiumsdiskussion an der Humboldt-Universität in Berlin, er habe den Eindruck, Fischer habe aus den Auseinandersetzungen im Frankfurter Häuserkampf der siebziger Jahre gelernt - vor allem was den Antisemitismus betrifft, dem sich Bubis in seiner Rolle als Immobilienmakler ausgesetzt sah.

Aber auch neben der Tatsache, dass er Auschwitz für seine persönlichen Interessen in Dienst nimmt, desavouiert Fischer auch jeglichen linken Politikansatz. Seine Botschaft lautet: Mein Linksradikalismus war gut, weil er in die Arme des freien Markts und in die demokratischen Institutionen führte. Oder wie er es vor den Frankfurter Richtern formulierte: »Wenn Richard von Weizsäcker seine Rede von 1985 schon zwanzig Jahre eher hätte halten können, säßen wir alle, auch der Angeklagte, heute nicht hier.«

Fischer hält seinen Gegnern aus der CDU vor, sie sähen seine Gewalttaten nicht im historischen Kontext. Doch dieser Vorwurf fällt auf ihn selbst zurück. Auch der Mord an Hanns Martin Schleyer, dem ehemaligen SS-Studentenführer und späteren Präsidenten des Bundesverbandes der Deutschen Industrie, hat einen solchen Kontext. Fischers Selbsternennung zum einzig wahrhaften Kritiker der RAF-Praxis trägt groteske Züge. Er wehrt sich zwar dagegen, dass die Putzgruppe von damals mit den Neonazis von heute verglichen wird, er selbst aber vergleicht ehemalige »Genossen« mit den SS-Mördern in den Konzentrationslagern. Auch wenn der Mord an Schleyer ein brutaler Höhepunkt war: Der deutsche Herbst war nicht Auschwitz.

Aber so verständlich der Wunsch des Fischer-Biographen Christian Y. Schmidt nach Fisherman's End auch ist, selbst »wenn er aus den falschen Gründen zurücktreten müsste« (Jungle World, 3/01) - politisch ist er wenig hilfreich. Auch der nächste Außenminister wird die deutschen Interessen notfalls mit Waffengewalt durchsetzen. Hieße er nun Ludger Volmer oder Guido Westerwelle. Es macht durchaus einen Unterschied, ob Fischer wegen einer Prügelszene zurücktreten muss, die bald dreißig Jahre her ist, oder deswegen, weil Racak kein Massaker war, der serbische Hufeisenplan niemals existierte und die zu befreienden Kosovo-Albaner mit Plutonium vergiftet wurden.

Eigentlich ist Michael Glos (CSU) zuzustimmen, der sich gegen einen Rücktritt Fischers aussprach, und zwar mit dem Argument: »Die Leute sollen spüren, wer sie regiert.« So kann man ihm noch ein wenig zuhören, dem deutschen Außenminister, wenn er von den »Brüchen« in seiner Vergangenheit redet und von seinen »Fehlern«. Plötzlich ist er wieder da, der allseits vermisste Helmut Kohl. Ein bisschen abgemagert vielleicht und mit Runzeln auf der Stirn. Aber der Tonfall ist der alte. Welch ein Marathon!