Gerhard Schröders Genpolitik

Generation Gen

Bis zur nächsten Wahl will Bundeskanzler Schröder den Einfluss einer vermeintlichen »Ethik-Oligarchie« zurückdrängen. Genpolitik bleibt so lange Chefsache.

Die Aufregung ist heftig, aber sie zieht keine Bahnen. Und das, obwohl sich nach dem Rücktritt der grünen Gesundheitsministerin Andrea Fischer ein grundlegender Wechsel in der Gentechnik-Politik der Bundesregierung ankündigt. Zwar haben etliche Kritiker der Biotechnologien die neuen politischen Entwicklungen im Bereich der Gentechnik negativ bewertet, in der Öffentlichkeit regt sich allerdings wenig Unmut gegen den Amtsantritt der bisherigen stellvertretenden SPD-Fraktionsvorsitzenden Ulla Schmidt.

Präimplantationsdiagnostik, Stammzell-Forschung, therapeutisches Klonen: Das gilt schnell als Spezialistenkram, als unpolitisch, als etwas, was irgendwo zwischen Naturwissenschaft und Philosophie liegt - nichts also, was man wissen müsste und womit man sich nennenswert profilieren könnte. Dabei hat Bundeskanzler Gerhard Schröder persönlich einen Empfang der Evangelischen Akademie Tutzing genutzt, die neuen Linien vorzuzeichnen, und die Biotechnik damit ganz gezielt zur Chefsache erklärt.

»Die Welt, in der wir leben, honoriert den Individualismus«, verkündete der Kanzler und erläuterte, Individualismus heiße für ihn Entfaltung aller Möglichkeiten, mithin auch der gentechnischen. Deshalb sei ein neues Prinzip vonnöten: »Teilhabe am Haben, am Sagen und Bestimmen.« Und diese Teilhabe gibt es in der Gentechnik nur für den, der voranprescht und dabei möglichst wenig Barrieren zu überwinden hat. Barrieren, die - wir hören wieder den Kanzler - von einer »Ethik-Oligarchie« errichtet werden. Und gegen Oligarchien zu sein- zumal gegen eine von Bedenkenträgern -, gehört schließlich zum guten sozialdemokratischen Ton.

So weit, so klar. Deutschland will nach vorne im Bereich der Biotechnologien, ganz weit nach vorne - statt sich von Frankreich oder von Großbritannien den Rang ablaufen zu lassen. Die neue Gesundheitsstaatssekretärin Gudrun Schaich-Walch (SPD), die sich in der Vergangenheit als Fraktionsexpertin für Gesundheit schon sehr zur Freude der Industrie und mancher Ärztefunktionäre als Verfechterin eines engagierten bioethischen Kurses profiliert hat, soll im Ministerium dessen Garantin sein. Dass innerhalb weniger Tage nach dem Rücktritt von Andrea Fischer auch die für Gentechnik zuständige Abteilungsleiterin Ulrike Riedel ausgetauscht werden soll, macht deutlich, dass unter SPD-Ägide alles zügiger und reibungsloser vonstatten gehen könnte.

Überraschen kann das nicht, denn das entschiedene Eintreten des Kanzlers und der Modernisierer in der SPD für einen schnellen Ausbau der Gentechnik ist nicht neu. Schröder hat mit seiner Forderung, dass Deutschland einen Platz an der Spitze der Biotech-Nationen einnehmen soll, schon im vergangenen Jahr immer wieder Schlagzeilen gemacht und damit für Konflikte innerhalb der Koalition gesorgt.

Wie stark der Wandel nach dem Abgang Fischers allerdings tatsächlich sein wird, ist noch nicht ausgemacht. Die grüne Sozialpolitikerin gehörte nämlich keineswegs zur Riege der entschlossenen Gentechnik-Gegnerinnen in ihrer Partei. Von klar ablehnenden Positionen, wie sie Monika Knoche - die Vertreterin der Fraktion in der Enquete-Kommission zu Gentechnik und Biomedizin - derzeit vertritt, ist sie weit entfernt. Fischers wichtigstes Projekt in Sachen Gentechnik war es deshalb, das noch nicht besonders alte Embryonenschutzgesetz durch ein neues, umfassenderes Fortpflanzungsmedizin-Gesetz zu ersetzen.

In den Reihen der Gentechnik-Opposition stieß sie damit auf massive Vorbehalte. Zum einen drohte die erst von Rot-Grün eingesetzte Enquete-Kommission des Bundestags ins Leere zu laufen, weil deren eigentlicher Gegenstand - die Bewertung der ethischen Folgen einer Präimplantationsdiagnostik - in einem Fortpflanzungsmedizin-Gesetz bereits geregelt worden wäre. Zum anderen überzeugte die Strategie nicht: In einer biotechnologischen Aufbruchstimmung ein restriktives Schutzgesetz, das auf Druck der Forscher ins Wanken geraten ist, durch ein umfassendes Gesetz mit allgemeinem Regelungsanspruch zu ersetzen, musste fast zwangsläufig dazu führen, dass kritische Positionen ins Hintertreffen gerieten und zur Verhandlungsmasse wurden. Denn vom Recht homosexueller Paare auf reproduktionsmedizinische Behandlung bis hin zur Präimplantationsdiagnose soll in dem Gesetz alles enthalten sein.

Im Verlauf der Diskussion, die im Mai 2000 mit einem großen, vom Gesundheitsministerium organisierten Kongress eröffnet worden war, zeichnete sich außerdem ab, dass mit dem neuen Gesetz keine konsequente Absage an die Präimplantationsdiagnose erteilt wird, die eine Art Einfallstor für eine aggressive Eugenik darstellen kann. Stattdessen sollten, so war zu hören, Ausnahmeregelungen die Anwendung des vorgeburtlichen Selektionsverfahrens zugleich ermöglichen und begrenzen.

Auch in anderen Bereichen hat sich das Ministerium unter Fischer eher moderat kritisch verhalten. Gegen den Protest der großen Naturschutzverbände genehmigte die grüne Ministerin dem Agrarkonzern Novartis im März letzten Jahres den Anbau von gentechnisch verändertem Mais auf 500 Hektar Land - zunächst nur zu Forschungszwecken.

Aber in Sachen Biopatent-Richtlinie begab sich Andrea Fischer immerhin in den Clinch mit dem Justizministerium. In der neuen personellen Konstellation nach Fischer warnte allerdings selbst Herta Däubler-Gmelin am Wochenende davor, dass Gentests bei Embryonen zu einer »Selektion von Menschen« führen könnten. Staatssekretär Catenhusen hingegen deutete an, dass die Bundesregierung bereit sei, das Verbot der Präimplantationsdiagnostik zu lockern.

Während die materiellen Ergebnisse von Fischers kurzer Amtszeit wenig ermutigend sind, ist ihr etwas anderes gelungen. Sie hat der bis dahin im parlamentarischen und institutionellen Raum an den Rand gedrängten nicht-kirchlichen Opposition gegen Biomedizin und Gentechnik einige Anlässe zu Stellungnahmen gegeben. Der Kongress zum Fortpflanzungsmedizin-Gesetz im Frühjahr 2000 war wohl die erste große offizielle Veranstaltung dieser Art, in der die Biotech-Befürworter und ihre Lobby nicht den Ton angaben, sondern gegen ein massives Contra von feministischen Initiativen und Behindertengruppen angehen mussten.

Auch mit dem von ihr ins Leben gerufenen Ethikbeirat im Bundesgesundheitsministerium hat die grüne Politikerin einen Brückenschlag in die Gesellschaft versucht. Einerseits wurde damit ein Gremium geschaffen, das in der öffentlichen Debatte den ständisch ausgerichteten Gremien der Ärzteschaft etwas entgegensetzen konnte, andererseits konnte die Politikerin so die schon seit langem geführte, hoch entwickelte kritische Debatte um die Gentechnik für ihre Kabinettsarbeit nutzbar machen. Überdies hat ihre von ethischen Kontroversen ausgehende Politik wenigstens ein Signal gegen den sonst gerade in Schröders Kabinett grassierenden pragmatischen Positivismus gesetzt.

Dieses Bemühen, randständige ethische Positionen in die offizielle parlamentarische Diskussion einzubringen, ohne sie von vornherein zu stutzen und zu begradigen, ist mit dem Abgang von Andrea Fischer eingestellt worden. Die Grünen haben es der SPD leicht gemacht und mit dem Verzicht auf das Gesundheitsministerium eingestanden, dass sie hier keine Perspektive sehen und keine nennenswerten Interessen zu verteidigen haben. Dabei ging und geht es um ein paradigmatisches Thema an der Schnittstelle von Bürgerrechten, Menschenbild und Naturverständnis. Dass es Fischer trotz ihres auf Diskurs und Diskussion setzenden Ansatzes nicht einmal gelungen ist, diese Erkenntnis in ihrer Fraktion und in ihrer Partei außerhalb der ExpertInnen-Zirkel durchzusetzen, ist wahrscheinlich ihre größte Niederlage.