Amtseinführungdes Präsidenten

High Security für Bush

Zur Amtseinsetzung des neuen US-Präsidenten wurde die Paradestrecke mit 16 Kontrollposten sowie 7 000 Polizisten und Agenten bestückt.

Wir hatten schon ziemlich unruhige Zeiten in diesem Land. Aber zu keinem Zeitpunkt in der Geschichte mussten US-Bürger Kontrollpunkte passieren, um ihre grundsätzliche Freiheit auszuüben, auf die Straße zu gehen und ihren neugewählten Präsidenten und Vizepräsidenten die Pennsylvania Avenue entlangfahren zu sehen ... und ihren politischen Ansichten Ausdruck zu verleihen.« Diese Worte entstammen nicht etwa der Presseerklärung einer der vielen Organisationen, die zu Protesten gegen die Amtseinführung von George W. Bush aufgerufen hatten. Gesprochen hat sie vielmehr die Richterin, die die komplette Abriegelung der Pennsylvania Avenue durch die Washingtoner Polizei und den Inlandsgeheimdienst Secret Service autorisierte.

Zwei Organisationen hatten gegen die geplante Abriegelung dieser öffentlichsten aller öffentlichen Straßen der USA geklagt: das Justice Action Movement (JAM) und das International Action Center (IAC). Offenbar hatte Richterin Gladys Kessler bei dieser Entscheidung ein schlechtes Gewissen. Oder, um es mit ihren Worten zu sagen, »sehr, sehr große Bedenken« wegen des verfassungsmäßigen Rechtes auf freie Meinungsäußerung.

Zur Amtseinführung von George W. Bush als 43. Präsident der USA am vergangenen Wochenende erwartete die Polizei eine Dreiviertelmillion Zuschauer und Demonstranten. Vor den Zuschauern hatte keiner Angst, doch die mehr als zweifelhaften Umstände, unter denen der neue Präsident an die Macht kam, sorgten dafür, dass sich eine massive, wenn auch sehr heterogene Protestbewegung gegen die Amtseinsetzung formieren konnte. So hatten nicht nur die Überreste der Black Panthers oder der Schwarze Block, sondern auch liberale Gruppen wie die National Organization for Women und die Rainbow Coalition des schwarzen Bürgerrechtsaktivisten Reverend Jesse Jackson senior zu einem »Tag des Widerstandes« aufgerufen. »Obwohl wir unterschiedliche Interessengruppen vertreten, haben wir gemeinsame Anliegen«, sagte Les Souci, ein Organisator der Initiative Voter March. »Es ist vor allem die Empörung darüber, wie der Wahlvorgang mit Füßen getreten wurde, und über die Entrechtung von Wählern.« Voter March tritt für eine Bill of Rights der Wähler ein und fordert eine Reform des Wahlkampffinanzierungsgesetzes. Die Initiative steht dem progressiven Flügel der Demokratischen Partei nahe.

Flugs wurde die Amtseinführung eines Präsidenten zum »nationalen Sicherheitsrisiko« erklärt. Die Polizei von Washington DC erstellte gemeinsam mit dem Inlandsgeheimdienst Secret Service ein Sicherheitskonzept. Zum ersten Mal in der Geschichte der USA wurde die Pennsylvania Avenue abgesperrt, die durch den Regierungsbezirk in Washington führt. Kilometerlange Metallzäune sorgten dafür, dass sich niemand in unziemlicher Manier der Parade des neuen Präsidenten nähern konnte. 7 000 Polizisten und Secret Service-Agenten, so die offiziellen Zahlen, sicherten die 16 Zugänge zur Paradestrecke.

Von diesen 16 Zugängen hatte das Komitee für die Amtseinführung George W. Bushs sechs für geladene Gäste reserviert; der Rest musste sich durch die anderen zehn Eingänge zwängen. Ein, um es mit den treffenden Worten von Gladys Kessler auszudrücken, »logistischer Alptraum«. Trotzdem meint die Anwältin Mara Verheyden-Hillard von der Kanzlei Partnership for Civil Justice, die die beiden Klägergruppen vertreten hatte, einen Sieg verbuchen zu können. Die Richterin ordnete nämlich an, dass die Sicherheitsorgane klare Kriterien angeben müssten, unter welchen Bedingungen das Passieren der Kontrollpunkte möglich sei. Und so konnten alle zur Pennsylvania Avenue vorstoßen, deren Transparentstangen bestimmte Abmessungen nicht überschritten, und die keine sonstigen waffenähnlichen Gegenstände, wie zum Beispiel Stelzen, bei sich trugen.

Geduld war ein weiteres Kriterium, schließlich musste die Polizei sämtliche Taschen einsehen, und sie ließ die Zuschauer und Demonstranten nur in kleinen Gruppen passieren. Überhaupt hatten die Sicherheitsorgane alles Mögliche unternommen, um den Protestorganisationen das Leben schwer zu machen. Zum Beispiel wurden Anträge auf Genehmigung der Demonstrationen monatelang nicht beantwortet. Die Genehmigung kam, nachdem sich VertreterInnen von JAM und IAC mit dem Leiter der Special Operations Division der Washingtoner Polizei zum Abendessen getroffen hatten und ihn von ihren friedlichen Absichten hatten überzeugen können. Eine Verordnung, die Volksreden an öffentlichen Orten von einer schriftlichen Genehmigung des Polizeipräsidenten abhängig machte, erklärte Richterin Kessler für verfassungswidrig.

Die erwarteten größten Proteste seit der zweiten Amtseinführung Richard Nixons im Jahr 1973, mitten im Vietnamkrieg also, verliefen dementsprechend unspektakulär. Ein halbnackter Mann schaffte es, mehrere Metallzäune und einen Polizeikordon zu überwinden, und konnte erst ein paar Schritte vom präsidialen Autokorso entfernt festgenommen werden. Und als die Parade das Navy Memorial passierte, wehte dort die US-amerikanische Flagge verkehrt herum.

Die Amtseinführung Bushs ist vorbei, doch an anderen Fronten geht der Kampf weiter. Die Bürgerrechtskommission der USA beschäftigt sich derzeit mit den Beschwerden von Hunderten schwarzer EinwohnerInnen des Bundesstaates Florida. Es geht um den systematischen Ausschluss schwarzer BürgerInnen von der Wahl durch Entfernung ihrer Namen aus den Wählerlisten. Viele Schwarze wurde auf ihrem Weg zum Wahllokal von der Polizei an Straßensperren aufgehalten und eingeschüchtert, so ein weiterer Klagepunkt. In einem Bericht des Fernsehsenders CNN heißt es: »Die Innenministerin von Florida, Katherine Harris, hat bestritten, dass am 7. November irgendjemand am Wählen gehindert wurde. Präsident Bushs Bruder, Jeb Bush, ist Gouverneur von Florida.«

Im Anschluss an die Amtseinführung des neuen Präsidenten stimmte der Senat der Ernennung der ersten sieben Kabinettsmitglieder zu. Unter anderem wurden General a.D. Colin Powell als Außenminister und Donald Rumsfeld als Verteidigungsminister bestätigt. Beide treten für das nationale Raketenabwehrsystem NMD ein. Über die Ernennung der umstrittenen KandidatInnen für das Kabinett wird im Laufe der Woche noch verhandelt. Zu diesen zählt die Kandidatin für das Innenministerium, Gale Norton, wegen ihrer erklärten Absicht, bundeseigene Ländereien für die Öl- und Erdgasförderung freizugeben. Hiergegen gibt es ökologische Bedenken. Auch der Kandidat für das Amt des Gesundheitsministers, Thomas Thompson, gilt wegen seiner Gegnerschaft zur Abtreibung als umstritten. Über den heikelsten Kandidaten für ein Ministeramt, den christlichen Fundamentalisten John Ashcroft, wird wohl zuletzt entschieden werden. Der ehemalige Gouverneur und Senator des Staates Missouri ist für den Posten des Attorney General nominiert. (Jungle World, 3/01)

Es ist zu erwarten, dass der Senat letztlich alle MinisterkandidatInnen bestätigen wird, mit der möglichen Ausnahme John Ashcrofts. Das würde bedeuten, dass sich im Kongress keine starke Opposition gegen die neue Regierung formieren wird. Doch viele der im Zuge der Wahl neu entstandenen grass roots-Initiativen wollen auch mittelfristig ihre Politik fortsetzen. Sollte sich ein breiterer Widerstand gegen die konservative Regierung etablieren, darf man gespannt sein, welche Entwicklungen die Interpretation des Rechtes auf freie Meinungsäußerungen noch nehmen wird. Vielleicht gibt es ja in den USA Gerichte, die dem politischen Druck der Regierung und der Sicherheitsorgane nicht weichen, und, anders als Richterin Gladys Kessler, nicht bereit sind, den Zugang zu öffentlichen Orten zum Privileg zu erklären.