WEF-Treffen in Davos

Stürmische Schweizer

Die Proteste gegen das Weltwirtschaftsforum bescheren der Schweiz die vielfältigste Mobilisierung seit Jahren.

In diesem Jahr sehen wir eine Chance, Pflöcke einzuschlagen. Schließlich sind alle da, auf die es ankommt. Eine Uno-Vollversammlung ähnelt im Vergleich zum Weltwirtschaftsforum einem Gemeindeparlament, was Einfluss und Macht betrifft«, meint Greenpeace-Chef Thilo Bode kurz vor dem großen Treffen. »Deshalb muss man dabei sein in Davos und versuchen, das Treffen für die eigenen Ziele zu nutzen.«

Dabei sein ist alles. Bodes optimistische Einschätzung der Gesprächsbereitschaft der internationalen Eliten wird allerdings nicht von allen Nichtregierungsorganisationen geteilt. So setzte letztes Jahr die Kampagne The Public Eye on Davos, die von Entwicklungs- und Umweltorganisationen wie der Erklärung von Bern (EvB), Focus on the Global South und Friends of the Earth International getragen wird, noch auf den direkten Kontakt mit dem Weltwirtschaftsforum (WEF). Doch »dieses Jahr werden wir auf einen solchen Dialog verzichten, da es uns für die Erreichung unserer Ziele wenig sinnvoll erscheint«, meint Jolanda Piniel von der EvB.

Statt den Dialog mit den so genannten Entscheidungsträgern zu pflegen, hat Public Eye diesmal einen öffentlichen Gegenkongress in Davos organisiert, um »den Druck von außen zu verstärken«. Neben dem direkten Austausch mit dem Weltsozialforum in Porto Alegre, das gleichzeitig stattfindet, sollen auf der Gegenkonferenz vom 25. bis zum 28. Januar Themen wie globale Entscheidungsstrukturen, die Kontrolle transnationaler Konzerne, Handelspolitik sowie internationale Finanzbeziehungen besprochen werden.

An der Mobilisierung gegen das WEF beteiligen sich unter anderem auch die Theologische Bewegung für Solidarität und Befreiung (TheBe) und die Schweizer Sektion der französischen Globalisierungskritiker von attac. Die TheBe wird mit gewaltfreien Aktionen in Davos präsent sein; attac organisiert den Kongress »Das andere Davos« in Zürich, auf dem die Auswirkungen der Globalisierung diskutiert werden sollen. Für attac steht allerdings in diesem Jahr das Weltsozialforum in Porto Alegre im Zentrum. »Das Weltsozialforum ist das eigentliche Gegen-Davos. Es vereinigt die Perspektive des Widerstands von unten und die Perspektive des Südens«, sagt Marco Feistmann von attac. »Das andere Davos« soll die Debatten des Weltsozialforums auch nach Europa bringen.

Am meisten gesprochen wird allerdings seit Wochen über den Aufruf zu einer - bislang verbotenen - Demonstration am kommenden Samstag sowie zu den Blockade- und Aktionstagen des internationalen Bündnisses WOW! (Wipe Out WEF!), das von der Anti-WTO-Koordination Schweiz initiiert wurde.

Die Geschichte des Widerstands gegen das Weltwirtschaftsforum geht auf das Jahr 1994 zurück. Der Aufstand der Zapatistas und die Anwesenheit einer mexikanischen Delegation in Davos waren damals der Anlass einer ersten Demonstration gegen das Forum. Seit 1998 mobilisiert auch die Anti-WTO-Koordination. Dieses Jahr sollen nun neben einer Demonstration erstmals auch Blockaden während der Tagung des WEF durchgeführt werden. »Wir wollen die vom WEF vertretene Politik nicht kosmetisch verbessern. Eine Menschen verachtende Politik, wie sie die 1 000 größten Konzerne betreiben, ist nicht verhandelbar«, heißt es in einer Presseerklärung der Anti-WTO-Koordination.

Dieses Beharren auf einer konfrontativen Haltung ist nun der Grund für die wilde Paranoia. In einem dem Demonstrationsverbot nachgereichten Pressecommuniqué spricht die Bündner Kantonspolizei von »der größten Herausforderung seit ihrer Gründung im Jahr 1804«. Das von der »international organisierten Chaotenszene« ausgehende Gefahrenpotenzial verlange ein umfangreiches Sicherheitskonzept, das PolizistInnen aus der ganzen Schweiz, mehrere hundert Festungswächter - eine Sondereinheit der Armee - sowie private Sicherheitsdienste umfasst. Der Bevölkerung wird geraten: »Schließen Sie Eingänge jeder Art. Parkieren Sie Ihre Fahrzeuge möglichst unterirdisch. Schließen Sie Ihre Fenster.«

Zudem werden die Einwohner von Davos angehalten, keine Unterkünfte und Lagerräume an WEF-GegnerInnen zu vermieten: »Personen, die angefragt werden, wird dringend geraten, sich diesbezüglich mit der Polizei in Verbindung zu setzen und keinesfalls Demonstranten Unterkunft zu bieten.«

Regierungsrat und Polizeidirektor Peter Aliesch empfiehlt, »keine Fremden in die Häuser zu lassen und selber die Nase nicht zuvorderst zu haben. Das könnte nämlich ungemütlich werden und unheilvoll enden.« Weiter warnt er vor der »Zerstörungswut der ausländischen Kriminaltouristen und der schweizerischen Chaotenszene«, deren ExponentInnen über »ein sehr kreatives kriminelles Potenzial« verfügten. Ergänzt wird diese Panikmache von der Boulevardpresse mit Schlagzeilen wie »Davos wird brennen« und »So wollen die Aktivisten Davos stürmen«.

Obwohl mittlerweile etwa 80 Organisationen - darunter auch Gewerkschaften, die Partei der Arbeit, die Aktion Finanzplatz Schweiz oder die NationalrätInnen der Grünen Partei - die Demonstration unterstützen, ist noch ungewiss, ob sie überhaupt durchgeführt werden kann. So ist der Rechtsstreit um die Demoverbote der letzten beiden Jahre noch nicht abgeschlossen; und auch der Widerspruch gegen das diesjährige Demoverbot wird kaum noch rechtzeitig bearbeitet werden. Zudem verfügen die AktivistInnen in Davos weder über politische Zusammenhänge, auf die sie sich beziehen, noch über eine Infrastruktur, die sie benutzen könnten.

Schwierig einzuschätzen ist, was sich den Demonstranten auf der Anreise alles in den Weg stellen wird. Auf jeden Fall werden die Zufahrten streng kontrolliert, und Davos selbst wird in eine polizeiliche Festung verwandelt. Zudem werden die Behörden alles daran setzen, dass ausländische AktivistInnen bereits an der Grenze abgewiesen werden.

Doch eins ist auf jeden Fall schon sicher. Das Weltwirtschaftsforum hat der Schweizer Linken zumindest »eine der vielfältigsten Mobilisierungen der letzten Zeit beschert, die von autonomen Basisgruppen bis zu etablierten Organisationen, von linksradikalen bis zu christlichen Kreisen reicht«, wie Andreas Missbach in der Schweizer Wochenzeitung schreibt.

Der Erfolg der Gegenaktivitäten wird allerdings nicht allein von der Präsenz auf der Straße abhängig sein. Nur wenn eine inhaltliche Debatte gelingt, die über die bloße Dämonisierung von Multis und internationalen Institutionen hinauskommt, hat der Widerstand gegen das Forum erst einen Sinn. Denn eine Welt ohne WEF ist per se noch keine bessere.