Sozialforum in Porto Alegre

Olé, Olé-Olé, Olá - Lula, Lula!

Das Sozialforum in Porto Alegre schwankte zwischen dem Widerstand gegen die Globalisierung und dem Dialog mit ihren Exekutoren.

Bei 36 Grad im Schatten kommen die TeilnehmerInnen des »Ersten Weltsozialforums« in der südbrasilianischen Hafenstadt Porto Alegre an. Einige uruguayische GenossInnen rollen ihre Landesflagge aus und drängeln sich zur Anmeldung. Einen Real, etwas mehr als eine Mark, kostet die Akkreditierung für Normalsterbliche. 4 700 Delegierte von NGO aus fast 120 Ländern müssen 50 Dollar berappen, dafür bekommen sie Kongresstaschen, Infomaterial und die Möglichkeit, Vorträge von berühmten GlobalisierungskritikerInnen zu besuchen. Damit weniger betuchte KongressbesucherInnen auch nicht zu kurz kommen, sind über 400 Workshops für die Nachmittage des Forums angesetzt.

Auf dem Gelände der katholischen Privatuniversität, einem funkelndem Gebäude-Komplex voller Geschäfte und Snackbars, finden die meisten Aktivitäten statt. So auch die feierliche Eröffnung am Nachmittag. Gouverneur Olivio Dutra von der Arbeiterpartei PT, die im Bundesstaat Rio Grande do Sul seit zwei Jahren, in Porto Alegre sogar seit zwölf Jahren regiert, kritisiert das neoliberale »Einheitsdenken«, das weltweit keine Alternativen zulasse. Im Namen der vorbereitenden Organisationen sprechen Maria Bezerra de Lima vom Gewerkschaftsdachverband CUT und der Franzose Bernard Cassen vom Netzwerk zur Besteuerung von Finanztransaktionen, Attac: »Wir sind hier, um zu zeigen, dass eine andere Welt möglich ist.« Der Bürgermeister von Porto Alegre beendet seine Rede mit den Worten: »Wir wollen eine solidarischere Gesellschaft aufbauen, die zu träumen wagt und die der Gleichheit näher kommt.«

Etwas radikalere Töne werden auf der Demo »gegen Neoliberalismus und für das Leben« angeschlagen. »FHC und IWF raus, sofort!« FHC steht für den brasilianischen Präsidenten Fernando Henrique Cardoso. Er hatte im Vorfeld die finanzielle Unterstützung des Weltsozialforums von Seiten der PT kritisiert und GlobalisierungskritikerInnen als rückwärtsgewandt bezeichnet. Fast 20 000 marschieren friedlich durch die Millionenstadt. In Ermangelung ausländischer Banken oder McDonald's-Filialen auf der Demo-Route wird ein Fahrzeug der örtlichen Polizei beschädigt.

Der erste Tag endet mit einem Gratis-Konzert unter freiem Himmel, das von Leonardo, einem Folklore-Sänger aus der Region, eröffnet wird. »In meiner 40jährigen Karriere ist dies vielleicht das wichtigste Konzert meines Lebens.« Drei weitere Bands spielen unter dem riesigen Werbebanner des Forums. Neben der Landesregierung, die umgerechnet etwa eine Million Mark in das Forum gesteckt hat, tritt auch die Bank Banrisul als Sponsor auf, »eine soziale Bank - so sozial wie das Forum«. Der Moderator wiederholt das Motto des Tages: »Heute beginnt eine neue Welt.«

Bereits am nächsten Morgen ist die JournalistInnen-Akreditierung geschlossen, mit über 1 800 Anmeldungen sind die Kapazitäten erschöpft. Im Pressezentrum wird ein Sprecher der kolumbianischen Guerilla Farc von Kameras umlagert. Seine Kritik am Plan Colombia wird von den KongressteilnehmerInnen unterstützt. Mehrere Workshops widmen sich dem Thema. Ein weiteres Top-Thema ist das Alca, das Freihandelsabkommen für den amerikanischen Kontinent, das 2005 in Kraft treten soll. »Alca stellt von allen bisherigen Abkommen den Gipfel dar. Hier verwirklichen sich alle neoliberalen Träume, zügellose Liberalisierung mit menschenverachtenden Folgen«, stellt die Kanadierin Maude Barlow fest. In Quebec sollen Ende April Vorläufer-Abkommen unterschrieben werden. Zwei Wochen vorher finden in Buenos Aires die Vorverhandlungen statt. Nicht wenige KongressteilnehmerInnen planen schon eine Protestveranstaltung.

Etwa zur gleichen Zeit demonstrieren die brasilianische Landlosenorganisation MST und der französische Bauern-Aktivist José Bové Geschlossenheit in Ideologie und Praxis. Etwa 300 Kilometer von Porto Alegre entfernt, dringen sie auf ein Versuchsfeld des transnationalen Konzerns Monsanto ein und zerstören öffentlich zwei Hektar genmanipulierter Soja-Pflanzen. João Stédile von der MST bezeichnet den Anbau von Gen-Soja als »illegal«. Die Ablehnung von transgenen Pflanzen eint die KongressbesucherInnen. Die internationale Bauernorganisation Vía Campesina plant für den 7. April einen weltweiten Aktionstag gegen Gentechnik.

Am Wochenende füllt sich die Universität noch mehr, 460 ParlamentarierInnen aus aller Welt wollen ebenfalls über die »Demokratisierung der Globalisierung« diskutieren. Der Direktor der Monatszeitung Le Monde diplomatique , die zusammen mit dem brasilianischen Unternehmer Oded Grajew die Idee zum Weltsozialforum entwickelt hatte, macht sich rar. Ignacio Ramonet taucht weder zum Vortrag am Samstagmorgen - »Wie kann das Recht auf Information und die Demokratisierung der Medien gewährleistet werden?« - noch zum Workshop »Kommunikation und Zivilgesellschaft« auf. Die WorkshopteilnehmerInnen diskutieren über die Herausforderungen für KommunikatorInnen mit sozialem Gewissen und planen gemeinsame Aktionen zu den nächsten internationalen Anlässen wie G8- oder IWF-Treffen.

Später gibt es nationale Prominenz zum Anfassen: Der Ehrenvorsitzende der linksliberalen PT, Luiz Inácio »Lula« da Silva kritisiert mit markigen Worten die »Perversität« des Neoliberalismus. Lula, den die Medien gerne als »charismatisch« bezeichnen, wird in der überfüllten Zentral-Aula begeistert gefeiert: »Olé, Olé-Olé, Olá - Lula, Lula!« Nicht zu Unrecht bezeichnen KritikerInnen das Forum als Selbstdarstellungsveranstaltung der PT. Vollmundig wird Porto Alegre als »Hauptstadt der Menschen« oder gar als »Hauptstadt des Sozialismus« bezeichnet. Vor allem die BürgerInnenbeteiligung an der Erstellung des Haushaltsplans wird hervorgehoben, aber auch die Errungenschaften einer »menschlicheren« Polizei.

Der Trend, kapitalistische Entscheidungsträger und GlobalisierungskritikerInnen in Diskussionsrunden zu vereinen, wird auch in Davos und Porto Alegre fortgeführt. Auf mehreren Bildschirmen wird am Sonntagnachmittag eine Telekonferenz mit Teilnehmern des Weltwirtschaftsforums und ihren KritikerInnen übertragen. Einige ZuschauerInnen verfolgen mit Tränen in den Augen den Auftritt Hebe de Bonafinis, einer Vertreterin der argentinischen Madres de Plaza de Mayo. Die Menschenrechtsaktivistin prangert die Folgen des herrschenden Wirtschaftssystems an und bezeichnet die Auslandsschulden als neue Form von Diktatur. Auch andere SprecherInnen des Südens, wie Rafael Alegría von Vía Campesina, der für die Ausrichtung der landwirtschaftlichen Produktion auf die internen Märkte eintritt, oder die VertreterInnen der Schuldenerlasskampagne ernten immer wieder heftigen Applaus. George Soros, einer der Diskutanten in Davos, vereinigt den Hass aller Anwesenden auf sich.

Die Landlosenorganisation MST bietet während des Forums »solidarischen Tourismus« an: Verschiedene legalisierte Siedlungen im Umland von Porto Alegre können besucht werden. Im Preis enthalten sind der Rundgang durch eine Kooperative und ein Snack. Befragt nach seiner Einschätzung des Weltsozialforums, erklärt unser Touristenführer von der Siedlung 30. de Maio: »Mir persönlich gefällt dieses Treffen sehr gut, vor allem, dass verschiedene soziale Organisationen zusammenkommen. Gestern habe ich mir die Telekonferenz angeschaut. Die Compañeros haben den Typen dort glasklar ihre Kritik vermittelt. Und die da? Die redeten nicht von Menschen, sondern vom Kapital, den Banken usw.!«

In der Aula der Katholischen Universität wird derweil die Nachricht bekannt gegeben, dass der französische Aktivist José Bové wegen Landfriedensbruchs binnen 24 Stunden das Land zu verlassen habe. »Bleib hier, bleib hier!« solidarisiert sich das Auditorium. Am nächsten Morgen auf der Abschlussveranstaltung finden die passenden Aufkleber reißenden Absatz: »Todos somos José Bové - Wir alle sind José Bové.«

Das tröstet darüber hinweg, dass es keine gemeinsame Abschlussresolution gibt. Einigkeit herrscht über die Punkte, die schon im Aufruf gefordert wurden: Schuldenerlass, Tobin-Steuer für internationale Finanztransaktionen und eine »Globalisierung der Kämpfe von unten«. Nach einigem Gerangel steht auch der Ort für das nächste Weltsozialforum fest, Porto Alegre wird 2002 noch einmal Gastgeber sein. Im Jahr darauf finden in Brasilien Wahlen statt.