Streit ums ICC

Bausünde ohne Signalwirkung

Gefährliche Orte CXXIV: Das Internationale Congress Centrum ist ein bisschen funktional, ein bisschen futuristisch, ein bisschen umstritten und trotzdem kein Wahrzeichen.

Allen, die einmal mit dem Auto von der Avus nach Berlin-Charlottenburg abgebogen sind, dürfte es ein Begriff sein: das ICC, das Internationale Congress Centrum. Wie ein heruntergefallener Kampfstern Galactica liegt es fett neben Funkturm und Messegelände, schaut träge auf eine Kreuzung und zeigt faul dem S-Bahnwirrwarr hinter sich sein Heck. Was auch immer man an Einzelheiten und Details an dem Gebäude wahrnimmt, man vermag es nicht aus seiner Masse zu lösen. Das ICC ist einfach nur schwer, groß, ungrazil.

Denn auf seinen 320 Metern Länge ist den Architekten, Ralf Schüler und Ursulina Schüler-Witte kaum mehr eingefallen als eine gigantische Aluminiumhaut, die das 1979 fertiggestellte Gebäude überspannt. Dazu noch einige futuristische Fenster und ein Kopfstück, das durch Science-Fiction-Filme inspiriert scheint, da der Beton- und Stahl-koloss tatsächlich so etwas wie eine Brücke aufweist.

Diese Brücke schaut tapfer gen Norden - was interessant ist, da das ICC so eines der wenigen mächtigen Gebäude in Westberlin ist, das sich nicht an der4 einstigen und jetzigen Mitte orientiert, sondern ganz stur vor sich hinglotzt. Und zwar auf eine dumme Kreuzung und einen noch dümmeren Platz.

Auch sonst passt das ICC nicht in eine nach preußischen Planvorstellungen konzipierte Stadt, es ist von falscher Wucht, denn es strebt nicht wild in die Höhe. Es setzt also kein Signal, sondern überrascht erst, wenn man davor steht, mit seiner Größe und Schwere. Das ICC dient nicht der Orientierung, da man es nicht von weitem sehen kann. Warum auch, schließlich steht der Fernsehturm nur ein paar Schritte entfernt.

Und was ebenfalls ungewöhnlich ist für einen Berliner Prachtbau: Das ICC erniedriegt den Menschen, der davor steht, nicht zum Wurm. Lediglich am Heck, in der Maschinen- und Betriebszone - und auch nur von einer gewissen Fußgängerwegsperspektive aus - kommt man sich winzig vor. So geht es den Arbeiterinnen und Arbeitern jedoch immer, ganze Legionen von Industriearchitekten haben ihre gesamte Energie darauf verwandt, das Proletariat auf seinen Platz zu weisen. Die Erbauer des ICC haben da nur dumm kopiert.

Das ICC ist also vor allem ein reiner Zweckbau und konzentriert sich voll und ganz auf sein Inneres. In einer Stadt, der es so sehr um symbolische Architektur geht, war das fast eine mutige Entscheidung der Architekten. In diesem Sinn ist das ICC dann sogar regelrecht schön.

Der Bolle- und Bulettenberliner steht daher etwas ratlos vor dem Gebäude. Ihm, dem für den Kurt-Schumacher-Platz das schöne Wort »Kutschi« gekommen ist und dem für die Gedächtniskirche das tolle Bild »Hohler Zahn« erschien, fällt für das ICC partout kein urberliner Spitzname ein. Scharen von Fritze Flinks und Brigitte Grothums haben sich bereits die Hirne blutig gedacht. Aber am ICC blieb kein blödes Wort hängen.

Dennoch hat man sich an das ICC gewöhnt und lässt dort heute sogar, wie jüngst beim Presseball, den Hamburger Udo Lindenberg für den »Bonner« Gerhard Schröder aufspielen. Und steht daneben, tiefdekolletiert und verkummerbundet, also ganz beschissen, aber auch scheißteuer gekleidet, hält sich deswegen für schwer schick und klatscht begeistert. Das Congress Centrum ist längst in Westberlin angekommen.

Doch gerade, als sich tout Berlin an das ICC gewöhnt hat, gerade als das ICC im vergangenen Jahr einen Rekordumsatz melden konnte, wird plötzlich öffentlich über seinen Abriss spekuliert. Denn der hochverschuldete Senat versucht sich aus den Verpflichtungen dem ICC gegenüber zu ziehen. Das Centrum muss trotz des Rekordgewinns immer noch mit zig Millionen bezuschusst werden. Vor allem aber wettert die Messe Berlin öffentlich gegen das ICC. Die Messe, die es in den letzten Jahren so langsam geschafft hat, gegen die traditionsreicheren deutschen Messestandorte anstinken zu können, fürchtet, dass der Senat das ICC privatisieren will, um seine Zuschüsse langfristig verringern zu können.

Das allein wäre für die Messe nicht weiter schlimm, drohte dabei nicht ein Gegengeschäft, mit dem der Senat den Privatiers seinen Aluminiumklotz schmackhaft machen könnte. Seit langem nämlich schielt die Messe auf einige Grundstücke am Messegelände, mit dem man zum einen die eigene Kapitaldecke aufstocken würde, zum anderen aber einige aus Sicht der Messe längst fällige Umbauten vornehmen könnte, damit sie sich endgültig als zentraler Standort etablieren würde. Dagegen wiederum sieht es so aus, als wolle der Senat ebenjene Grundstücke demjenigen günstig überlassen, der ihm dafür das defizitäre ICC abnimmt.

Nun also eröffnet die Messe eine Kampagne und behauptet, ein Abriss des nicht eben wartungsfreundlichen und in der Zeit vor den Energiekrisen geplanten ICC und ein Neubau an gleicher Stelle würden die Betriebskosten erheblich senken. Eine Behauptung übrigens, die nicht bewiesen werden kann. Aber wie immer, wenn jemand Mächtiges herumrüpelt, machen sich Politiker gleich zu seinem Sprachrohr und finden plötzlich auch den Abriss des Gebäudes akzeptabel. Natürlich erschließt sich dann auch die Opposition das Feld und hält munter dagegen, die Grünen protestieren wacker und selbst Freke Over, der lustige Hausbesetzer in der PDS, sagt: »Die Defizite allein sind keine ausreichende Begründung für den Abriss einer der hübschesten unter den Bausünden der siebziger Jahre.«

Der Tagesspiegel entdeckt ein überflüssiges Gebäude und die tageszeitung weiß nicht mehr genau, was sie schreiben soll. Allerdings ist dann auch auf Seiten der Presse und der Bevölkerung niemand so recht für den Abriss. Man hat das ICC zu akzeptieren gelernt und findet nun den ganzen Trubel etwas obskur. Jedoch fällt kaum jemandem auf, dass das ICC schon über Jahre hinaus für Großveranstaltungen und Kongresse gebucht ist und sich aus diesen Verpflichtungen nur für viel Geld lösen könnte. Das ICC kann folglich in naher Zukunft nicht einfach abgerissen werden.

Vor allem betreibt hier die Messe eine Kampagne in eigener Sache. Sie stellt sich selbst als Rüpel dar, zwingt den tölpelhaften Senat zu einer öffentlichen Bestandserklärung für das ICC, und darf gleichzeitig hoffen, im Gegenzug jene benötigten Grundstücke doch zu erhalten, auf denen von der Messe unter anderem Hotels geplant sind, mit denen wiederum das ICC gegenüber anderen großen Kongresszentren, insbesondere dem Hotel Estrel in Berlin-Neukölln, in Position gebracht werden würde. Dafür wird dann eben die Öffentlichkeit mobilisiert. Ein altes linkes Konzept, das ganz offensichtlich auch von der Messe Berlin beherrscht wird.

So werden also alle glücklich. Und das dicke ICC bleibt einfach weiter neben der Autobahn liegen und erfüllt seinen Zweck.