Ein Jahr Widerstand gegen die blau-schwarze Regierung in Wien

Für Proteste ohne Pathos

Ein Jahr Widerstand gegen die blau-schwarze Koalitionsregierung in Wien. Eine Zwischenbilanz.

Den Februar 2000 als Stunde null der oppositionellen Politisierung der österreichischen Öffentlichkeit zu bezeichnen, ist ein Phantasma. Nicht nur der Rassismus der Regierung hat hier Tradition. Auch große Teile des »Widerstandes« stecken in pathetischem Patriotismus fest. Gerade die große Massendemonstration des 20. Februar 2000 gegen die österreichische Bundesregierung steht für die Kontinuität der althergebrachten Kultur eines pathetischen Protestes. Im Laufe der neunziger Jahre hat es öfters in genau derselben Konstellation am Heldenplatz in Wien Kundgebungen gegen Rassismus und die FPÖ gegeben.

Auch die pathetische Anrede der Versammelten als das bessere Volk, die bei der Großkundgebung im Jahr 2000 dominiert hat, war nach dem »Konzert für Österreich« 1993 an diesem Ort nicht neu. Selbst die Rednerliste war unverändert: statt aktiven MigrantInnen lag der Schwerpunkt auf prominenten Schauspielern. Genauso wie der Ort hat dieser Ausschluss Tradition, der im Sinne eines linken Patriotismus gerne in Kauf genommen wurde. Den meisten, die damals teilgenommen haben, scheint nach einem Jahr auch bewusst zu sein, dass dieser vermeintliche Kulminationspunkt des organisierten Protests eines sicher nicht war: ein historischer Moment.

Als die österreichische Bundesregierung am 4. Februar angelobt wurde, war der Protest gegen die Einbindung einer Partei, die mit offenem Rassismus Politik macht, vor allem wenig organisiert, unerwartet und energiegeladen. Teilweise getragen von der unwahrscheinlichen Hoffnung, die Regierung zu stürzen, hatte die heiße Phase des Protestes mit täglichen Wanderdemonstrationen etwa zwei Wochen gedauert und ihren Abschluss am 20. Februar gefunden. Gleichzeitig sind massenhaft neue Widerstands-Sites im Internet entstanden, die oft nicht viel mehr als Links zu ebensolchen Websites angeboten haben.

Kaum eine von diesen Sites existiert heute noch. Auch die Hoffnung, die rassistische Normalität könne durch eine zunehmende Politisierung des Gesellschaft sichtbar werden, hat sich aus heutiger Sicht als verfehlt erwiesen. Genau so schnell, wie sich die Gesellschaft polarisiert hat und politische Partizipation abseits der Wahlurne eingefordert wurde, hat sich ein großer Teil der Gesellschaft wieder entpolitisiert.

Dennoch haben sich neue Aktionsräume entwickelt, die weiterhin bedeutsam sind, so das tägliche Rundmail Mund (www.no-racism.net) und die Donnerstagsdemonstrationen in Wien. An diesen beiden Punkten formiert sich heute der »Widerstand«, hier laufen die vielen, heterogenen »Widerstände« gegen Regierung und rassistische Normalität zusammen. Die Donnerstagsdemonstrationen, bei denen noch immer wöchentlich rund tausend Personen unangemeldet quer durch die Stadt ziehen, haben sich direkt aus den spontanen Protesten der frühen Februartage entwickelt. Selbst ihre Heterogenität ist geblieben, wenn auch das anfangs entspannte gemeinsame Protestwandern heute nach einigen Stunden im Konflikt mit der Polizei oder einem verärgerten Autofahrer zu eskalieren droht.

Sowohl die Donnerstagsdemonstrationen als auch der Mund zeichnen sich gegenüber den Homepages dadurch aus, dass sie nicht reine Repräsentationsflächen bieten, sondern Diskussionsräume sind. In dieser Funktion haben sie auch nach den energiegeladenen Protesten im Februar vergangenen Jahres nachhaltig gewirkt.

Diese Demonstrationen waren vor allem von der Wut und der Hilflosigkeit angesichts der politischen Entwicklung geprägt. In dieser Situation sind auch durchaus unerfüllbare Erwartungen entstanden - etwa dass die Regierung durch die Proteste zum Rücktritt gezwungen werden könnte. Während diese Hoffnung wohl schon Ende Februar zerplatzte, konnte sich der Anspruch des Protestes länger halten, die neue Regierung und ihre Herrschaft nicht Normalität werden zu lassen. Doch diese Einschätzung verdeutlichte vor allem, wie wenige offene Konflikte es in Österreich in den letzten 50 Jahren gegeben hat. Heute gelten die wöchentlichen Proteste als normal und werden kaum noch wahrgenommen. Während der ORF sich der Berichterstattung über die Demonstrationen von Anfang an verweigert hat, tauchen sie im öffentlich-rechtlichen Radio immerhin noch in den Verkehrsmeldungen auf.

Eine Diskussion bricht innerhalb des »Widerstandes« immer wieder auf: Die einen beschwören den Rückzug auf den gemeinsamen Konsens auf die Gegnerschaft zu einer Regierung mit FPÖ-Beteiligung. Ihnen gegenüber stehen all jene, die die Kontinuitäten des staatlichen Rassismus in Österreich betonen und besonders die Sozialdemokratie nicht aus ihrer Pflicht entlassen wollen. Auch angesichts solcher Differenzen scheint der beste Kitt der Opposition das Pathos zu sein.

Das Spiel von Sprecher und Publikum bei Großdemonstrationen folgt wohl immer gewissen Beschwörungsformen. Doch selbst abseits der Massenkundgebungen war der Februar 2000 von einem linken Mainstream geprägt, der in Opposition zu einer rechten Regierung selbst die nationale Karte gespielt und dabei am Pathos nicht gespart hat. Erstaunlicherweise zeugen alle Schlüsselphrasen dieser Bewegung - Widerstand, Aufstand der Zivilgesellschaft, das andere Österreich - von der Wende von einer ironischen zu einer pathetischen Politik. Seitdem die Repression der Regierung als überraschende »Re-evaluierung« kritischer Projekte und Institutionen auftritt und rassistische Positionen, ganz der neuen (europäischen) Mode folgend, mit neoliberaler Argumentation verbunden werden, wirkt das Pathos des »Widerstandes« oft übertrieben.

Die spannendsten Projekte des vergangenen Jahres haben sich hingegen dadurch ausgezeichnet, dass sie sich diesem Pathos verweigerten. Erwähnenswert erscheinen besonders Initiativen wie gettoattack, Performing Resistance oder Volkstanz, die ihr symbolisches Kapital aus Kunst und Pop verwenden, um unterschiedliche Szenen und Medien zu politisieren. Gleichzeitig haben sie sich so erflogreich bemüht, dem Zwang zur Institutionalisierung nicht zu erliegen, dass zwei von ihnen sich mittlerweile praktisch aufgelöst haben. Die meisten Aktionen dieser Gruppen zeichneten sich dadurch aus, dass sie mit den Mitteln der künstlerischen Intervention antirassistische Politik betrieben.

Wirklich nachhaltig an der Arbeit dieser Initiativen wirkt in erster Linie die Schaffung eines Diskursortes, an dem neue Projekte erwachsen. Als entscheidend haben sich so primär die performativen Momente dieser Form des Widerstandes erwiesen, die nicht unter den Vorzeichen eines pathetischen linken Patriotismus entstanden sind. Besonders gut lässt sich das am Projekt Wiener Wahl Partie illustrieren.

Aus einer Kooperation von Echo, einem Verein Jugendlicher der zweiten Migrantengeneration, gettoattack und der Initiative Minderheiten entstand ein Projekt, das die politische Partizipation von MigrantInnen anlässlich der Wahlen zum Wiener Gemeinderat im kommenden März thematisiert. Die Wahl Partie zielt damit primär darauf ab, das (vermeintlich) eigene politische Lager zu formieren. Die notorischen Diskussionen über die Eroberung der Stammtische werden damit zweitrangig und ein linker Patriotismus, der notwendig paternalistisch ist, erscheint nicht als Option.

Zur gleichen Zeit ist allerdings im gesamten Widerstand auch die Kritik an Konzepten des linken Patriotismus und an deren spezifischer Form des Pathos lauter geworden. Im Laufe des Jahres schien die Rede vom »anderen Österreich« dubioser denn je. Selbst Mainstream-Organisationen wie die Demokratische Offensive, die als Initiatorin der Massendemonstrationen seit dem Herbst 1999 auf eine Mischung aus alternativem Nationalismus und Humanismus gesetzt hat, scheint angesichts der vehementen Kritik ihre Strategie zu überdenken. Nachdem ein linker Patriotismus im vergangenen Jahr großteils gescheitert ist, gibt es zumindest die Hoffnung, dass sich nun andere Strategien abseits einer pathetischen linken Politik durchsetzen.

Ari Joskowicz ist Historiker und Mitglied von gettoattack.