Zehn Jahre Irak-Embargo

Saddams Horrorshow

Das irakische Regime benutzt das Elend der Bevölkerung für seine Propaganda gegen das Embargo. Doch die Angst ist überall spürbar.

Kaum eines dieser Kinder wird überleben«, strahlt uns Dr. Assad el-Ashom im Kinderkrankenhaus von Basra triumphierend an. Kulisse ist die Krebsstation; Kinder mit aufgetriebenen Tumorbäuchen und aschfahlen, mageren Gesichtern vegetieren hier in überbelegten Zimmern. Einem etwa vierjährigen Jungen schiebt der Arzt die Schlafanzugsjacke hoch, um einen blaugeäderten prallen Ballonleib freizulegen, der grotesk vom sonst spindeldürren Körper des Kindes absticht. Der so vorgeführte kleine Patient fängt bitterlich zu weinen an, die Eltern schauen gequält, ohne einzugreifen. »Der Junge will nicht fotografiert, er will geheilt werden«, fährt el-Ashom mit vorwurfsvoller Miene fort, als hätten wir ihn zur Entkleidung des Jungen aufgefordert.

Wir steuern dem Ausgang zu, um den Eltern wieder Platz zu machen, die wegen unseres Besuches aus dem Zimmer vertrieben worden sind. Aus Mangel an Personal müssen die kleinen Krebspatienten rund um die Uhr von Familienangehörigen versorgt werden. Im gesamten Krankenhaus scharen sich Menschen in überfüllten Zimmern um die spartanischen Krankenpritschen. Hier und da hängt ein Arzt einen Tropf auf, ansonsten sieht man nirgendwo Krankenhauspersonal.

Nicht nur nach Ansicht el-Ashoms liegen auf der Krankenstation ohnehin nur Todeskandidaten. Beat Schweizer vom Internationalen Kommitee des Roten Kreuzes (IKRK) bestätigt uns später in Bagdad, dass für krebskranke Kinder die Heilungschancen im Irak derzeit gleich null sind. Die Krankenstation ist eigentlich nur ein makabrer Ausstellungsort. Es fehlt an medizinischer Ausstattung und vor allem an Spezialisten.

Auch im nächsten Krankenhaus führt der Chefgynäkologe mit wahrer Begeisterung eine siebzehnjährige verschleierte Irakerin mit dem Befund Gebärmutterkarzinom vor. Die Mutter fordert das völlig verschüchterte Mädchen auf, sich doch von uns filmen zu lassen. Die Patientin traut ihren Ohren nicht, darf sie doch sonst kaum mit Fremden reden. Traditionelle Werte und auch der Schrecken weichen dem tiefem Missionsgedanken, dämmert es uns spätestens hier.

Aus Anlass des zehnten Jahrestages der Bombardierung des Irak fuhren in den vergangenen Wochen Hunderte von Journalisten durch das Land, begleitet von Reiseführern des irakischen Propagandaministeriums, ohne die sich niemand hier bewegen darf. Es wurden vor allem eben diese Krebspatienten vorgeführt. Die starke Zunahme von Krebserkrankungen in der am heftigsten bombardierten Region Basra am Persischen Golf wird, auch von Vertretern humanitärer Organisationen, auf die Verwendung von Uranmunition im zweiten Golfkrieg zurückgeführt. Doch derzeit kann man einen Propagandafeldzug auf beiden Seiten beobachten. Auf der einen Seite der Irak, bemüht, den Repressionsapparat des Regimes hinter den Auswirkungen des Embargos auf die Zivilbevölkerung zu verstecken. Auf der anderen Seite die westlichen Staaten, die das Bild vom sauberen und unblutigen Krieg erhalten wollen.

Ob wir nicht noch ein anderes Krankenhaus besuchen wollen, drängt uns unser Guide Halit. Wir entscheiden uns für eine Krankenstation der Unikom (United Nations Iraq Kuwait Observation Mission) in Umm Quasr, nahe der kuwaitischen Grenze. Auf der linken Seite vor dem Eingang für die UN-Soldaten prangt die UN-Flagge, auf der rechten Seite steht neben einem anderen Eingang eines der allgegenwärtigen Bildnisse Saddam Husseins in überdimensionaler Größe. Im rechten Gebäude befindet sich die Vertretung der irakischen Bürokratie. Sie kontrolliert die Bewegungen der Uno-Soldaten und observiert die Besucher auf dem Unikom-Gelände. Selbst der Chefarzt der Abteilung, Dr. Friedrich Schuster vom Malteser Hilfsdienst, spricht fast nur Englisch mit uns, damit der irakische Bürokrat nicht den Eindruck gewinnt, es werde etwa hinter seinem Rücken getuschelt.

In das für Unikom-Angehörige eingerichtete Krankenhaus kommen auch Iraker aus der Umgebung, denn es ist medizinisch und personell bestens ausgestattet. Ambulant dürfen sie hier auch behandelt werden, aber die Ärzte bringen es in einigen Fällen nicht übers Herz, Patienten nach Hause zu schicken oder in ein irakisches Krankenhaus zu überweisen, wie es die irakische Seite eigentlich anordnet.

So wohnt seit einigen Wochen etwa Mohammed auf dem Unikom-Gelände. Der Sechsjährige leidet an einer seltenen Tropenkrankheit, die den Körper Fäulnisprozessen aussetzt. Der Körper des Kindes ist mit offenen Wunden übersät, die sich erst jetzt langsam schließen, seitdem das Ärzteteam die Behandlung mit teuren Medikamenten fortführt. »Mohammed wäre in einem irakischen Krankenhaus zum Tode verurteilt«, erzählt uns Schuster jetzt auf Deutsch. »Deshalb versuchen wir ihn möglichst lange hier zu behalten.« Das Kind fährt in unzählige Bandagen gewickelt glücklich auf einem Dreirad über die Station - ein nur zufällig Geretteter.

Wir hätten gern mit Leuten in den Dörfern von Umm Qasr geredet. Doch selbst wenn unsere geheimdienstliche Eskorte uns gelassen hätte, niemand hätte etwa über Ungerechtigkeiten in der Verteilung der wegen der Sanktionen rationierten Güter offen mit uns gesprochen. Der Erlös des irakischen Ölverkaufs im Rahmen des Programms »Food for Oil« geht zwar auf ein Treuhandkonto in New York, und der Irak darf nur ganz bestimmte Güter einkaufen. Die Verteilung obliegt aber irakischer Aufsicht, und es kommt immer wieder zu Ungerechtigkeiten, die glaubwürdige Organisationen wie Pro Asyl und Wadi mit Berichten vor allem von Flüchtlingen dokumentieren.

Unser nächster Programmpunkt ist ein Besuch bei einer Familie in der Altstadt von Basra. Die Hausfrau leiert pflichtbewusst ihr Leid herunter. Vor dem Golf-Krieg war sie wohlhabend, hatte eine reiche Aussteuer mitgebracht. Tatsächlich ist davon nichts übrig geblieben. Der Boden ist aus Stein, die Wände sind kahl, und als einzige Möbelstücke stehen ein Herd und eine Holzbank in dem Raum. In einer kleinen Kammer liegen ein paar Decken, hier nächtigt die sechsköpfige Familie. Lebensmittel werden am Anfang des Monats über Bezugskarten verteilt, doch Kleidung und Schulbücher kann die Frau nicht von den 3 500 Dinar (etwa 15 Mark) bezahlen, die ihr Mann im Monat als Grundschullehrer verdient. Also hat sie Stück für Stück den Hausrat verkauft. Sie schimpft auf Amerika, die Briten und das Embargo.

Der Besuch in einer »revolutionären Schule« in Basra verläuft nach dem gleichen Schema. Die Grundschüler werden in ihren Klassen ordentlich zusammengebrüllt, um zu demonstrieren, wie diszipliniert sie dann sind. Der Lehrer erzählt uns nicht ohne Stolz, dass die Leistungen der Schüler immer schlechter werden, weil sie alle arbeiten müssten, um das Familieneinkommen aufzubessern.

Uns überkommt immer mehr ein Gefühl des Unwillens: Ja, die Lage der Bevölkerung ist wirklich erbärmlich, aber hier führt auch das irakische Regime einen Propagandakrieg und benutzt kranke und verelendete Menschen als Schaustücke. Die Sanktionen haben zu einem Prozess der Verelendung geführt, der in vielen UN-Berichten dokumentiert ist. Dem Regime haben sie nicht geschadet. Sie haben ihm noch perfektere Repressionsmittel in die Hand gegeben, denn die Bevölkerung ist vom staatlichen Verteilungsapparat abhängig, den der Clan Saddam Husseins dominiert.

In einem Restaurant in Basra lachen Halit und der Fahrer, als uns die Rechnung präsentiert wird; der Preis für ein Gericht entspricht dem Gehalt, das den beiden monatlich gezahlt wird. Wir fragen sie, wer außer uns noch in diesen Lokalen esse, denn wir sehen hier auch arabische Gäste, die die Preise bezahlen können, obwohl doch angeblich alle von staatlichen Gehältern und Lebensmittelkarten leben. Die beiden schweigen verkrampft, hastig verschwinden sie in Richtung Auto, und das Thema ist abgeschlossen.

Diese Reaktion auf Fragen, die direkt oder indirekt die Macht- und Geldelite betreffen, erleben wir immer wieder. Eigentlich kann man im Irak alles kaufen. Auf dem Schwarzmarkt in Bagdad und selbst im verarmten Basra gibt es Fernseher, es gibt Läden mit überteuerter europäischer Markenmode und Restaurants mit Preisen, wie sie sonst nur in London, Paris und New York verlangt werden. Das Geld dafür hat nur die Hussein-Oligarchie, und es kommt aus dem Erlös von Ölexporten, allerdings nicht im Rahmen des Food-for-Oil-Programms. Es gibt mehrere Schmuggelwege aus dem Irak, jährlich soll Saddam Hussein etwa eine Milliarde Dollar an Nebeneinnahmen einstreichen. Damit kann man den kolossalen Sicherheitsapparat leicht finanzieren.

Dessen Brutalität hat sich noch gesteigert, seitdem Saddam Husseins ältester Sohnes Uday vor drei Jahren ein Attentat nur knapp überlebte. Journalisten werden aus ihren Redaktionen abgeholt und massakriert, falls sie etwas anderes als ergebene Hofberichterstattung liefern. So wusste Anfang des Jahres niemand, wie auf die Gerüchte über den schlechten Gesundheitszustand Saddam Husseins zu reagieren sei; es blieb bei trockenen Dementis. Die tatsächlichen Hintergründe erklärte uns ein Diplomat: Hussein habe auf der zehnstündigen Neujahrsparade einhändig 163 Mal mit einem schweren Jagdgewehr in die Luft geschossen. Diese archaische Kraft- und Machtdemonstration führte dann zu einer Verkrampfung der Schulter- und Brustmuskulatur, sodass er einen leichten Schwächeanfall erlitt. Ansonsten erfreue sich der Präsident bester Gesundheit.