Proteste in Österreich

Scheitern mit Stil

Seit einem Jahr wird gegen die blau-schwarze Regierung in Österreich demonstriert.

Die Demonstranten sind vergnügt. Dabei gibt es nicht den geringsten Grund dazu. Genau ein Jahr nach dem Amtsantritt der blau-schwarzen Koalitionsregierung aus Volkspartei (ÖVP) und Freiheitlicher Partei (FPÖ) stolpern am ersten Februarwochenende ein paar tausend Demonstranten in dichtem Schneetreiben durch Wien. Vielleicht sind es 5 000, vielleicht sogar 8 000, wie die Veranstalter später behaupten. Genau ist das nicht zu schätzen, zumal die TeilnehmerInnenzahl wegen des Wetters heftig fluktuiert. Etwa 60 Gruppierungen haben zum Protestmarsch »Ein Jahr Widerstand« aufgerufen. Die großen und einflussreichen liberalen Gruppierungen haben sich jedoch vom Aufruf ferngehalten. So ist vor allem das übliche Personal der schon zur Tradition gewordenen Donnerstagsdemonstrationen anwesend.

Neben dem Soundpolitisierungsmobil der ausdauernden Volkstanzleute aus der Wiener Elektronikszene sind hauptsächlich grüne und kommunistische Fahnen zu sehen. Der vierstündige Gewaltmarsch ist eine Art Demo-Jogging durch halb Wien. Die TeilnehmerInnen sind jedoch nach einem Jahr anhaltender Protestwandertage schon gegen solche Strapazen immunisiert.

Auch Selbstzweifel wegen der mäßigen TeilnehmerInnenzahlen und des nahezu vollständigen Desinteresses der Medien an den Protestaktionen können die Marschierer nicht mehr aus der Ruhe bringen. Sie scheinen gegen jedes Widernis abgehärtet zu sein. Trotzig hält einer ein Transparent in die Höhe, das die Lage auf den Punkt bringt: »Ein Jahr Widerstand ist zwecklos.«

Vergleicht man die heutige Situation der außerparlamentarischen Opposition Österreichs mit der vorjährigen, scheint sie zunächst tatsächlich fatal. Standen vor einem Jahr noch über 200 000 Demonstranten auf dem Wiener Heldenplatz, so sind es heute gerade noch ein paar Prozent davon. Sie haben sich auf den angrenzenden Ballhausplatz zurückgezogen, der wie das Vorzimmer des bevorzugten Massenaufmarschplatzes der Österreicher wirkt.

Doch auch er ist nicht voll. Angesichts des grauenhaften Potpourris aus Toleranzgedudel und vergreistem Bänkelsang ist das auch egal. Es ist ohnehin zu kalt. Auf dem Heldenplatz steht im Dämmerungszwielicht verloren der Sattelschlepper vom Volkstanz. Vermummte Gestalten zappeln und rutschen im Schneegestöber umher. »Breughel on speed«, kommentiert ein Teilnehmer das verzweifelte Idyll.

Aber Masse ist nicht Klasse. Und an Klasse haben die trotzigen Überbleibsel der ehemaligen Massenbewegung, die sich hochtrabend Widerstand nannte, in gewissem Sinne gewonnen. Die Politisierung derjenigen, die jetzt noch demonstrieren, hat sich verändert. Viele junge Leute sind dabei, die sich vom hysterischen Gezeter freiheitlicher Politiker gegen die Demos nicht einschüchtern lassen. Kaum noch zu sehen sind hingegen die Künstler und Intellektuellen, die noch vor einem Jahr die Kundgebungen geprägt haben. Während einige mittlerweile offen mit der Regierung kollaborieren, fehlt es anderen am Mut, der einstweiligen Niederlage ins Gesicht zu sehen und sich zu unpopulistischer Politik zu bekennen.

So ist auch die Distanzierung der größeren Initiativen von der Aktion zu verstehen. Die demokratische Initative, vor einem Jahr noch Mitveranstalterin der Demo, ließ verlauten, dass sie an der Feier von Jahrestagen nicht interessiert sei. Dabei plant sie mit weiteren Organisationen eine Großdemonstration am 17. März anlässlich der Wiener Wahlen. Auf diese Weise verlieren die Protestaktionen zwar quantitativ an Gewicht, das politische Profil der einzelnen Initiativen wird jedoch klarer. Aber auf solche Details kommt es angesichts einer Regierung, die fester denn je im Sattel sitzt, auch nicht an.

Interessanter an den Aktivitäten der verbliebenen Oppositionellen ist jedoch ein anderes Problem. Wie zu erwarten war, verteidigen sich nunmehr verschiedene Interessengruppen gegen den neoliberalen Abbau des Sozialstaates - Lehrer, Zivildienstleistende, Sozialversicherte, StudentInnen. Alle kämpfen um ihre jeweiligen sozialstaatlichen Vergünstigungen. Jenseits des puren Verteilungskampfes konkurrieren jedoch auch zwei implizite politische Tendenzen in der Opposition, die sich bislang gegenseitig blockierten.

Während sich ein Teil der Opposition auf antifaschistische Politik konzentriert, stellt der andere die antirassistische Politik in den Vordergrund. In Österreich sind beide Positionen keineswegs kongruent. Während für die antifaschistischen Gruppen die Beteiligung der FPÖ an der Regierung weiterhin ein Gräuel ist, fällt sie für diejenigen, die sich hauptsächlich antirassistischen Anliegen verpflichtet fühlen, weniger ins Gewicht.

So würden die Antifaschisten auch mit dem protektionistischen Flügel der Sozialdemokratischen Partei (SPÖ) oder dem ÖGB (Österreichischer Gewerkschaftsverband) paktieren, um die freiheitliche Regierungsbeteiligung zu behindern, für die antirassistischen Gruppen jedoch unterscheiden sich SPÖ-Positionen kaum von denen der amtierenden Regierung.

Dieser Konflikt wurde bislang kaum artikuliert, und er wird von Seiten der liberalen Oppositionellen auch gerne mit humanistischer Rhetorik verschleiert. Hinzu kommt, dass die liberale Opposition bislang mit Ansätzen hantierte, die aus der Ära des Protests gegen den ehemaligen österreichischen Präsidenten Kurt Waldheim und dessen Nazivergangenheit datieren. Angesichts der herrschenden Variante völkischer New Economy und der rasanten Dekonstruktion der fordistischen Nationalwirtschaft wirken diese Methoden jedoch recht verstaubt.

Das Problem besteht umgekehrt aber auch auf Seiten etwa der Selbstorganisationen der Migranten, die die Vorliebe der Österreicher für antisemitische Formationen der Volksgemeinschaft unterschätzen. Eine Vermittlung beider Ansätze schien bislang aussichtslos. Neuerdings entwickelt der Protest jedoch ein gewisses Faible für aussichtslose Anliegen, sowie ein Talent, auch das Scheitern mit Stil zu bewältigen. Im letzten Jahr wurde zwar nicht die Regierung beseitigt, dafür aber das Selbstmitleid. Das ist schon ein Anfang.