Ein halbes Jahr nach dem Blood & Honour-Verbot

Rechtsrock für alle

Vor einem halben Jahr wurde das Blood & Honour-Netzwerk verboten. Auswirkungen hatte das Verbot bisher kaum.

Die Bilanz ist ernüchternd, zumindest für Otto Schily. Nachdem der Bundesinnenminister im letzten September das Verbot des Neonazi-Netzwerks Blood & Honour (B & H) verordnet hatte, sprach er noch von einer großen »Symbolwirkung«. Ein knappes halbes Jahr nach dem Verbot sind sich unabhängige Rechtsextremismus-Experten über dessen Wirkungslosigkeit weitgehend einig. »Die Aktivisten von Blood & Honour machen unverdrossen weiter«, sagt Bernd Wagner, der Leiter des Zentrums Demokratische Kultur in Berlin.

Michael Weiss, Autor eines Handbuchs über die rechtsextreme Musikszene, äußert sich ähnlich: Selbst »das Blood & Honour-Vertriebssystem ist durch das Verbot nicht gestört worden«. Das sei auch kaum verwunderlich. »Schließlich haben diese Strukturen größtenteils schon vor dem Verbot im Grenzbereich der Illegalität agiert.« Allenfalls die Anzahl der B & H-Konzerte sei zurückgegangen. Wenn es Aktivisten dennoch gelinge, ein Konzert zu organisieren, kommen immer noch mehrere Hundert Besucher.

So reisten Anfang Februar rund 600 Neonazis aus dem gesamten Bundesgebiet zu einem Konzert mit den einschlägig bekannten Bands Noie Werte, Nordmacht und Deutsche Patrioten nach Hamburg. Die Organisatoren des Konzerts - neben anderen der Hamburger B & H-Aktivist Torben Klebe und Tim Bartling aus Neumünster - hatten für eine »private Geburtstagsfeier« Räume des alevitischen Kulturvereins angemietet, ausgerechnet in einem Stadtteil, den Rechte als »multikulturelles Ghetto« stigmatisieren. Als deutlich wurde, dass es sich bei der Veranstaltung um ein Nazi-Konzert handelte, wollte der Kulturverein den Vertrag kündigen, was jedoch nicht zuletzt an der mangelnden Unterstützung der Hamburger Polizei scheiterte.

Die Ordnungshüter hielten sich an diesem Abend ohnehin auffällig zurück. Trotz Verstärkung durch neun Polizeihundertschaften aus Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen und Schleswig-Holstein wartete die Hamburger Einsatzleitung das Ende des Konzerts ab. Als die Neonazis schließlich zum Verlassen des Saales aufgefordert wurden, stimmte die überwiegende Mehrheit der Konzertbesucher das übliche »Deutschland den Deutschen«-Gebrüll an und warf Flaschen und Gläser auf die Beamten. Drei Neonazis wurden daraufhin festgenommen, die restlichen Konzertbesucher konnten unbehelligt abziehen. Man habe nur wenige Straftäter ausmachen können, sagte ein Polizeisprecher, denn die Schutzvisiere der Beamten, »die aus der Kälte kamen«, seien sofort beschlagen gewesen. Die Reaktion der Neonazis: Unter dem Motto, »Rechtsradikale Musik für alle - überall«, marschierten vergangenes Wochenende rund 200 Kameraden durch Hamburg.

Nicht nur wegen der jüngsten Ereignisse liegt Norddeutschland bei den B & H-Aktivitäten weit vorne. Bereits zehn Tage nach dem Verbot hatten B & H-Kameraden gemeinsam mit den Hammerskins Nordmark ein Konzert im Landkreis Lüneburg organisiert. Beim Versuch, das Konzert zu beenden, waren 46 Polizeibeamte verletzt worden. Ähnliches ereignete sich im sächsischen Kittlitz, als Polizeibeamte Anfang Dezember vergangenen Jahres ein Konzert im Jugendclub Glossen beenden wollten, der von der Kameradschaft Odins Legion betriebenen wird.

»Die Bereitschaft, Konzerte militant zu verteidigen, ist seit dem Verbot gestiegen«, meint auch Michael Weiss. Um der staatlichen Verfolgung zu entgehen, so Weiss, greifen die Nazi-Aktivisten vielfach auf private Räume und Grundstücke, aber auch auf Gaststätten in ländlichen Regionen und Veranstaltungsorte im Ausland zurück. Dort habe die Zahl der Konzerte mit Beteiligung deutscher Neonazibands im vergangenen Jahr erheblich zugenommen.

Auch der Vertrieb des verbotenen Blood & Honour-Hochglanzmagazins läuft uneingeschränkt weiter, wie das Antifaschistische Infoblatt Ende letzten Jahres berichtete. Noch im Oktober 2000 sei die aktuelle Ausgabe per Post verschickt worden. In einem beigefügten Schreiben wurden die Kameraden lediglich vor einer Kontaktaufnahme über die bisher bekannten B & H-Postfächer gewarnt. Und die ebenfalls verbotene Nachwuchsorganisation White Youth, die als Rekrutierungs- und Vorfeldorganisation für Blood & Honour gilt, verkündete im Internet trotzig: »Wir machen weiter.«

Weiterzumachen wie bisher, ist für die gut organisierten Kameraden nicht allzu schwer, zumal sich die staatlichen Ermittlungsbehörden, trotz der Lippenbekenntnisse vom letzten Sommer, merklich zurückhalten. So stellte beispielsweise die Berliner Staatsanwaltschaft ein Ermittlungsverfahren gegen den ehemaligen Anführer von B & H-Deutschland, Stephan Lange, wegen der Verbreitung und Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen vor kurzem ein. 1 500 Exemplare des B & H-Magazins Nr. 9 und knapp 2000 CDs der US-amerikanischen Neonaziproduktionsfirma Panzerfaust Records waren im März 2000 bei Lange beschlagnahmt worden.

Ob das Verbot nun die gewünschte Wirkung hatte oder nicht, darüber sind sich selbst die Innenbehörden der Länder nicht einig. Das sachsen-anhaltinische Innenministerium etwa will zu dem Thema lieber gar nichts sagen und teilte auf Anfrage der PDS-Landtagsabgeordneten Britta Ferchland mit, dass man diese Frage »aus Gründen der Geheimhaltung und des Quellenschutzes« nicht beantworten könne.

Im Monatsbericht des Thüringer Landesamtes für Verfassungsschutz vom Januar dieses Jahres heißt es zwar, dass in Thüringen keine Fortsetzungsaktivitäten von B & H bekannt seien. Doch auch der Thüringer VS muss zugeben, dass das Logo der verbotenen Organisation »innerhalb der Szene offensichtlich weiterhin große Zugkraft« besitze.

Steffen Dittes, PDS-Abgeordneter im thüringischen Landtag, weist darüber hinaus auf einen neuen Trend in der Neonazi-Musikszene hin. Auffällig sei, so Dittes, die verstärkte Zusammenarbeit von Neonazis und dem so genannten NS-Black-Metal sowie die Bestrebungen von bekannten Thüringer Nazi-Kadern, neue Vertriebsstrukturen zu schaffen. Auch dies ist eine Möglichkeit, die Infrastruktur aufrecht zu erhalten und Sympathisanten zu erreichen.