Ein Jahr Widerstand gegen die blau-schwarze Regierung in Wien

Who killed Ostarrichi?

Die migrantische Bewegung setzt nicht auf die Dämonisierung Haiders, sondern auf die politische Konfrontation mit dem Erbe der Sozialpartnerschaft.

Integration kann nur gelingen, wenn auch die Zuwanderer ein gewisses Maß an Bereitschaft zeigen, Wertvorstellungen des österreichischen Kulturkreises anzunehmen.« Das erklärte vor wenigen Monaten Elisabeth Mezuljanik, die Bereichsleiterin für Integration in Wien.

Was die deutsche Debatte um die Leitkultur durch die merkwürdige Verknüpfung des revolutionären Wortes »Aufstand« mit dem bürgerlich-konservativen Terminus »Anständigkeit« für Hunderttausende sympathisch griffig macht, hat auch in Österreich bereits Tradition.

Nach dem Muster der deutschen Lichterketten verschmolzen 1993 fünf Prozent der österreichischen Bevölkerung zu einem so genannten Lichtermeer gegen das Ausländervolksbegehren von Jörg Haider. Kurz darauf beförderte die Ausländerbehörde im Zuge der Verschärfung des so genannten Fremdengesetzes mehrere zehntausend ImmigrantInnen aus dem Land.

»Keine Koalition mit dem Rassismus« rufend, protestierten 80 000 Menschen im November 1998 erneut gegen Jörg Haider. Als klar wurde, dass die rechtsgerichtete Koalition nicht zu verhindern war, rief der plötzlich entmachtete Teil der österreichischen Sozialpartnerschaft, die Arbeiteraristokratie, im Februar 2000 wieder mehrere hunderttausend besorgte StaatsbürgerInnen auf den Wiener Heldenplatz. Dieses Mal skandierte man: »Wir sind Österreich!«

Die Bedeutung der Großdemonstrationen für die Zivilgesellschaft in Österreich liegt in dem Versuch, ein Zeichensystem zu entwickeln, das vor allem die rassistische Nomenklatura der Sozialpartnerschaft vorm Untergang retten soll.

»Ein Zeichen setzen«, lautete im Februar vergangenen Jahres eine der am meisten verwendeten Redewendungen in der Öffentlichkeit. Ein »Zeichen der Empörung setzen«, müsste es wohl richtig heißen. Denn bei den Demonstrationen ging es vor allem um einen politisch korrekten Kommentar der aktuellen Ereignisse, weil man den omnipräsenten staatlichen Rassismus nicht thematisieren wollte. Aber auch, weil die Geldgeber nach den Demonstrationen von 1993 bereits eine gründliche Entsorgung des politischen zugunsten eines moralischen Antirassismus bewirkt hatten. Mit der Rede vom »Zeichen setzen« wurde eine Ansammlung verborgener Bedeutungen und heimlicher Verweise geschaffen, in der die große Koalition und die Sozialpartnerschaft ihre Ehrenpositionen einnehmen konnten.

Und wenn die Mehrheit der zivilgesellschaftlichen Anständigen schon keine politische Partizipation für MigrantInnen in Österreich befürwortet, dann sollte doch zumindest mit Gesten des republikanischen Aufstandes im Namen des Antirassismus vor dem Bösewicht Haider gewarnt werden. So verwandelt sich Politik in Magie: Man verhängt einen Bann über das Böse, mit dessen Hilfe Ostarrichi - das hässliche Zerrbild Österreichs - vertrieben werden soll, das sich durch den Einfluss des Dämonen Jörg Haider ausbreiten konnte.

Deshalb waren die großen Demonstrationen vor allem eine Mobilisierung zur Ehrenrettung der Nation - der Nation der Anständigen. Die migrantischen Gruppen haben diese Ideologeme erkannt und sich nicht daran beteiligt. Denn dieses Österreich - egal wie ehrenhaft es daherkommt - ist der Staat, in dem Nicht-ÖsterreicherInnen seit Jahrzehnten rassistisch diskriminiert werden.

Trotzdem eröffneten sich im Zuge der öffentlichen Artikulationen gegen die blau-schwarze Regierung auch neue Spielräume für die antirassistische Szene. Das Wort »Rassismus« fand endlich Eingang in den alltäglichen Sprachgebrauch und verdrängte zumindest teilweise den verharmlosenden Terminus »Fremdenfeindlichkeit«. Außerdem konnte in der verstärkten Rezeption der theoretischen Auseinandersetzungen um den Rassismus der sinnentleerte Machtmechanismus der Sozialpartnerschaft aufgezeigt werden. Und nicht zuletzt hat die zwar politisch heterogene und äußerst kritikwürdige Widerstandsbewegung zumindest neue öffentliche Räume erschlossen. Damit eröffnete sich auch die Möglichkeit, andere Inhalte zu perpetuieren.

Ein Beispiel sind die neu gegründeten Nachrichtendienste, die sich am Muster der Mailinglisten orientieren und eine klare Sprache sprechen, wie die »Plattform für eine Welt ohne Rassismus«. Während die OrganisatorInnen der Großdemonstrationen die Parole »Keine Koalition mit dem Rassismus« lancierten, forderte die Plattform: »Keine Koalition mit dem SP-VP-FP-Staatsrassismus!«

Auch die Szene der MigrantInnen selbst hat sich mit der Schwächung des sozialpartnerschaftlichen Würgegriffs, und noch stärker seit dem Antritt der schwarz-blauen Regierung, gewandelt. Die erste Generation von organisierten MigrantInnen in Österreich verfolgte eine identitäre Lobby-Politik. Wegen des Dreiecksverhältnisses Ursprungsland-Diaspora-Aufnahmeland und der dadurch bedingten Machtkonstellationen reagierte diese Generation auf die benachteiligenden Bedingungen innerhalb des direkten Lebensumfeldes mit ethnisch sortierten Selbstorganisationen.

Zur Unterstützung suchte man sich diverse Partner. Die »JugoslawInnen« in Österreich unterhielten beispielsweise eine paternalistisch geprägte Partnerschaft mit dem Österreichischen Gewerkschaftsbund. Der weigert sich zwar bis heute, MigrantInnen das passive Wahlrecht bei Betriebsratswahlen zu gewähren, stellte jedoch finanzielle Mittel für die eher folkloristischen Aktivitäten der jugoslawischen Vereine bereit. Der Auflösungsprozess der Sozialpartnerschaft hat die gesellschaftspolitischen Bedingungen für die defensive Ausrichtung der traditionellen Seilschaften aus der ersten MigrantInnen-Generation verändert.

In den neunziger Jahren entstanden migrantische Zusammenhänge mit dem Anspruch, die Selbstorganisation in einen größeren politischen Kontext zu stellen. Das Bedürfnis nach breiteren Bündnissen resultierte aus der Erkenntnis, dass das rassistische System in allen Lebensbereichen für verschiedene soziale Gruppen Benachteiligungen produziert und dass die migrantische Identitätspolitik der früheren Jahre außerdem nicht zur Vergrößerung ihrer Machtbasis geführt hat. Ende 1999 gründeten sich in Wien Zusammenschlüsse von MigrantInnen, die sich um strategische Bündnisse mit anderen minoritären Gruppen bemühten, um politisches Terrain gegen die neue Regierung zu gewinnen, statt sich den mit moralischem Antirassimus aufgeladenen Großdemonstrationen anzuschließen.

So entwickelten sich früher undenkbare Koalitionen aus MigrantInnen, Feministinnen oder Behindertenorganisationen sowie Netzwerke, Diskussions- und Aktionsplattformen, die das identitäre Verständnis von Widerstand generell in Frage stellen und vor allem die politische Konfontation mit den hartnäckigen Resten der sozialpartnerschaftlichen Harmonie in Österreich suchen. Bündnissen wie der Wiener Wahlpartie geht es darum, Mehrheiten zu schaffen und die Lücken des Systems aufzuspüren.

Im Gegensatz zur MigrantInnenszene der ersten Generation, in der Gefolgschafts- und Lobbypolitik dominierten, verhindern diese neuen Formen der politischen Intervention die Absorption der WortführerInnen durch die Herrschenden. Ein Beispiel für diese Vereinnahmungsstrategien sind die eingebürgerten MigrantInnen, die, mit neuen Privilegien ausgestattet, ihre Stimme oft genug gegen die Interessen anderer minoritärer Gruppen erheben.

Für die neue migrantisch geprägte Szene ist Jörg Haider nicht das Sinnbild des Rassismus in Österreich. Denn wie der hegemoniale rassistische Diskurs in diesem Land beschaffen ist, zeigt viel eher die österreichische Variante der »deutschen Leitkultur«, nämlich der »österreichische Kulturkreis«, den Elisabeth Mezuljanik bemüht. Und schließlich haben auch nicht Jörg Haider oder die FPÖ das rassistische Gesetzeswerk in den letzten 40 Jahren geschaffen, sondern, in der Sozialpartnerschaft vereint, der Gewerkschaftsbund und die Wirtschaftskammer sowie die beiden traditionellen österreichischen Großparteien.

Ljubomir Bratic ist Bundessprecher von Austrian Network Against Racism (ANAR) und einer der RedakteurInnen der publizistischen Plattform widerst@nd-MUND (www.no-racism.net)