Ein Jahr Widerstand gegen die blau-schwarze Regierung in Wien

Das Zentrum verschieben!

Linke Widerstandsstrategien müssen lokale Kontexte berücksichtigen.

Fast ebenso niederschmetternd wie der europaweit wachsende Einfluss rechtsextremer Parteien und rassistischer Mobs ist die Konzeptlosigkeit, mit der die Linke darauf reagiert.

Dafür gab es vergangenes Jahr sowohl in Deutschland als auch in Österreich genügend konkrete Belege. In beiden Staaten erstarkt die radikale Rechte. Obwohl sie in Deutschland weitgehend als außerparlamentarische Opposition agiert, während sie in Österreich seit einem Jahr an der Regierung beteiligt ist, sind nicht nur die rassistischen Formationen beider Länder vergleichbar,hier wie dort fehlt es auch an einer linken Alternative.

Die Frage lautet, wie antirassistische Politik außerhalb des Rahmens aussehen kann, der bislang die konzeptuelle Voraussetzung jeglicher politischen Betätigung bildete: die Nation.

Alle Ansätze für eine »transnationale« antirassistische Politik stehen jedoch vor dem grundsätzlichen Problem, permanent die spezifischen Bedingungen verschiedener nationaler Kontexte reflektieren zu müssen. Denn dass bestimmte Phänomene die gleiche Erscheinungsform haben, heißt nicht, dass sie das gleiche bedeuten.

Ein Beispiel sind die Großdemonstrationen vom vergangenen Jahr in Österreich und Deutschland. In Österreich hatte die Opposition zu einem Aufmarsch unter dem Motto, »Keine Koalition mit dem Rassismus«, aufgerufen. Das Etikett »Antirassismus« diente als Motiv, um faktisch für den Erhalt eines rassistischen Sozialstaates zu demonstrieren. Vordergründig richtete sich diese Kundgebung gegen eine drohende rassistische Zukunft, im Grunde stand sie jedoch für den Protektionismus der Vergangenheit ein.

In Deutschland hingegen schickte die amtierende Regierung ihre Beamten zum »Aufstand der Anständigen« gegen den rassistischen Mob auf die Straße. Hier wiederum diente »Antirassimus« als Vorwand, um für den Wirtschaftsstandort Deutschland zu demonstrieren. Auf den ersten Blick schien sich der vom Staat organisierte Protest gegen die Wiederkehr der faschistischen Vergangenheit zu wenden, tatsächlich wurde jedoch für eine weltmarktkompatible Zukunft demonstriert. In diesem Konzept duldet der exportorientierte Nützlichkeitsrassismus zwar die Anwesenheit leicht ausbeutbarer Migranten, ihre politische und soziale Gleichberechtigung bleibt aber undenkbar.

Das Ergebnis der Großdemonstrationen in beiden Ländern ist ebenso identisch wie die Unwirksamkeit gegenüber dem Phänomen, das vorgeblich bekämpft werden soll: dem des Rassismus. Ein Grund dafür ist, dass sie klare nationale Anrufungen darstellten. Ihre Leitmotive sind das nationale Ansehen und die nationalen Interessen. Im Fall von Deutschland werden diese Interessen liberal definiert, im Fall von Österreich protektionistisch.

Mit politischem Antirassismus haben beide Projekte allerdings nichts zu tun - im Gegenteil. Großdemonstrationen dieser Art sind eher als Alarmsignal für bevorstehende rassistische Repressionsmaßnahmen des Staates zu deuten. Denn auch in Deutschland wurde das Asylrecht faktisch abgeschafft, während sich die Anständigen massenhaft in die Lichterketten gegen den Rassismus einreihten.

Ein Antirassismus, der auf die Nation schielt, führt sich also selbst ad absurdum. Trotzdem betreibt die Linke in Deutschland nicht nur antinationale, sondern sogar antideutsche Politik mit Vorliebe im nationalen Rahmen - nämlich unter Deutschen. Das Problem einer möglichen transnationalen antirassistischen Linken hängt mit den verschiedenen nationalen Verblendungen zusammen. Obwohl das Resultat dieser Verblendungen - der Rassismus - überall gleich ist, müssen antirassistische und antifaschistische Strategien ebenso verschieden sein wie die jeweiligen lokalen Ausformungen des Rassismus.

Vor kurzem fand während der so genannten »Kulturkarawane gegen rechts« in Klagenfurt (Kärnten) eine Protestveranstaltung statt, bei der sich zehn Teilnehmer in einem riesigen Saal verloren - genauer gesagt neun, denn der zur Beobachtung abkommandierte Staatspolizist verließ nach einer halben Stunde mit fröhlichem Gruß den Saal. Wären die 200 000 Demonstranten vom »Aufstand der Anständigen« aus Berlin in Kärnten aufgetaucht, wo Antifaschismus als pathologische Abweichung gilt, wäre dies ein Ereignis von höchster politischer Brisanz gewesen. Umgekehrt hätte der staatliche Antifaschismus der deutschen Regierung entlarvt werden können, wenn sich in Berlin statt 200 000 nur zehn Personen eingefunden hätten und der Rest dem Spektakel aus Protest gegen die Heuchelei der Regierung ferngeblieben wäre.

Strategien des Widerstandes müssen sich also gleichzeitig an verschiedenen rassistischen und antisemitischen Formationen orientieren und zudem berücksichtigen, ob das Bekenntnis zur faschistischen Vergangenheit oder aber das Bekenntnis zu einer rassistischen Zukunft hegemonial ist.

In Kärnten beispielsweise behält derzeit noch das traditionsreiche Ressentiment die Oberhand. Unter Inkaufnahme wirtschaftlicher Einbußen verfolgt man eine Politik der Nullzuwanderung. Dabei handelt es sich gewissermaßen um selbst auferlegte Wirtschaftssanktionen, wenn noch die Zuwanderung von 1 500 Informationstechnologie-Spezialisten verweigert wird. Im rot-grünen Deutschland dominiert dagegen ein pragmatischer Nützlichkeitsrassismus, der auf die Ausbeutung hochqualifizierter Immigranten abzielt.

Die zeitliche Einordnung bereitet dem Widerstand indes noch mehr Probleme als die räumliche. Sollte in erster Linie gegen das Fortwirken der faschistischen Vergangenheit in der Gegenwart protestiert werden, wie viele Antifa-Gruppen meinen? Oder sollte man vor allem der Gegenwart neoliberal-rassistischer Zukunftsszenarien entgegentreten, wie antirassistische und migrantische Organisationen glauben?

Beide Ansätze nehmen nicht zur Kenntnis, dass sich Vergangenheit und Zukunft oft kaum auseinander halten lassen. Der Politikstil von Jörg Haider ist dafür das beste Beispiel. Gekonnt kombiniert er eine ungebrochene Vorliebe für völkische Traditionen mit Popstar-Allüren und New-Economy-Rhetorik. Auch wenn Haider natürlich nicht der einzige Rassist in Österreich ist, steht fest, dass ihm und seiner FPÖ durchaus innovative Kombinationen aus alten und neuen Rassismen und Antisemitismen einfallen.

Antifaschistische Proteste, die vielen in Deutschland spätestens seit dem rotgrünen Staatsantifa-Spektakel als anachronistisch erscheinen, wären daher in Kärnten auch künftig eine gute Idee. Und was in Wien vielen als verlockende Perspektive erscheint - ein rot-grünes Regierungsprojekt - ist in Deutschland aus antirassistischer Sicht längst indiskutabel. Der rot-grüne Nützlichkeitsrassismus, der mit der Green Card die Zuwanderung neuer entrechteter Arbeitskräfte befördert, erinnert in seinem ungeschminkten Utilitarismus an die Ära der ersten Anwerbeabkommen in den fünfziger Jahren. In Österreich ist diese Form des Rassismus noch Zukunftsmusik, etwa wenn der ÖVP-Kandidat für den Posten des Wiener Bürgermeisters, Bernhard Goerg, ungeniert von der »Selektion von Einwanderern« im Namen des nationalen Interesses schwärmt.

Ebenso wurde die gesellschaftliche Visualisierung von Migranten, die beispielsweise die Initiative Wiener Wahl Partie (WWP) fordert, in Deutschland schon verwirklicht. Ins Blickfeld rückten dabei allerdings vor allem die von der Kulturindustrie gehypten Salonkanaken oder aber streberische Jungunternehmer. Von politischer Subjektkonstitution war indes nur am Rande die Rede.

In Deutschland ist andererseits eine erstaunlich breite politische Debatte über die Gleichberechtigung und das Wahlrecht für Migranten - unabhängig von der Nationalität -, wie sie die WWP im Vorfeld der Wiener Gemeinderatswahlen anstieß, wegen der verfeindeten und fragmentierten linken Szenen derzeit undenkbar.

Soll die Krise sowohl antifaschistischer als auch antirassistischer Konzepte überwunden werden, muss auch das politische Denken selbst von nationalen Schranken und kulturalistischem Ballast befreit werden.