Radical Jewish Culture

Gainsbourgs Ohren

»Du hattest die Ohren von Gainsbourg, aber du brauchtest keinen Scotch, um dich jede Nacht bis zu den Ohren abzufüllen«, singt Léo Ferré in einem seiner besten Chansons, »Pépée«. »Pépée« heißt Ferrés geliebter Affe, das Chanson ist ein Nekrolog, »man schläft immer mit Toten, man schläft immer mit Toten«.

Dieser Tote starb vor zehn Jahren, am 2. März 1991, der Nouvel Observateur erinnert: »Mit seinem groben Gesicht, seinen Kugelaugen, seiner hervortretenden Nase und seinen so großen Ohren, hält er sich für unansehnlich. Dieser mit einem gelben Stern ausstaffierte Pariser Herumtreiber ist überzeugt davon, dass er Strich für Strich der Karikatur des Juden gleicht, die die Deutschen im besetzten Frankreich verteilen lassen.«

Lucien Ginzburg, der sich Serge Gainsbourg nennt, versucht später, seine Schüchternheit mit Hässlichkeit zu überwinden und wird merkwürdigerweise immer schöner dadurch. Er erobert das Chanson, richtet es zugrunde und verkündet: »Ich hätte mir gerne ein Ohr abgeschnitten, wie van Gogh es für die Malerei getan hat, aber nicht für das Chanson.«

Er ist nicht das Genie des Chansons, diesen Part überlässt er großzügig Ferré, es ist bloß Mittel zum Zweck für ihn, ein besserer Molotow-Cocktail. Aber sprechen wir nicht über seine Skandale, sprechen wir über seine Ohren. Sie sind größer als die jedes anderen und sie hören also mehr, den Schmelz des Argot, den Rotz der Poesie, die Synkopen des Mambo, die Flüche des Jazz.

Seine frühen Chansons sind, kein Wunder, Ohrwürmer. »Le Poinçonneur des Lilas« (1957), der einsame Lochknipser, der irgendwann ins Loch fällt, »Requiem pour un twisteur« (1962), noch mehr in den Graben Gefallene, »Je suis venu de dire que je m'en vais« (1973), noch einer; doch diese Woche heißt mein Favorit »Les Amours perdues«. »Les amours perdues ne se retrouvent plus / et les amants délaissés peuvent toujours chercher«, näselt er da, die verlassenen Liebhaber schleichen ewig in der Wüste umher, auf der Suche nach den verwehten Spuren der verlorenen Lieben; absurdes Theater aus dem Jahr 1961. Aber er will nun einmal nicht Künstler werden.

Also hört er auf zu näseln, um zu grunzen, »moi non plus« und »ich werde zur Hölle fahren, aber mit einer Harley Davidson«. Er hält auf Stil. Dann steckt er seine Ohren hinter eine Kamera. »Je t'aime, moi non plus« (1975) zeigt Jane Birkin als jungenhafte Kellnerin, die sich in einen schwulen Müllfahrer, Joe Dallesandro, verliebt. Er kann mit ihr nur Analverkehr haben, was ihr aber furchtbar weh tut und ... Ach, die Franzosen beweisen Geschmack noch dann, wenn sie partout geschmacklos sein wollen. Ein von gewaltigen roten Ohren ersonnener Film also; Dallesandro sagt, er sei ihm von seinen Filmen der liebste.

Im Ganzen ein verpfuschtes Leben, immer erreicht er das Gegenteil dessen, was er erstrebt. Er will malen und wird Sänger, als er ein Kotzbrocken sein will, fallen ihm die Frauen um den Hals, als er alles in die Luft sprengt, wächst Wunderliches, selbst dass ihn die Antisemiten hassen, soll ihn kalt erwischt haben. »Weißt du denn nicht, dass der Nazarener / nichts von einem Arier hatte / und wenn er Gottes Sohn ist, wie ihr sagt / ist also / Gott ein Jude« (»Juif et Dieu«, 1984). Es folgen eine zweite und eine dritte Strophe, die eigens für die linken Antisemiten geschrieben sind; aber werfen wir die aus dem Spiel, heute und für immer.

»Ich gleiche Mickey Mouse, ich habe große Ohren und ein Riesenmaul.« Es bedarf keiner weiteren Beweise: Serge Gainsbourg ist ein schöner Mann.