EU streitet um Raketenabwehrsysteme der USA und Russlands

Kontrollierte Defensive

Wladi mir Putin hat vergangene Woche seinen Gegenvorschlag zum geplanten Atomraketenabwehrsystem (NMD) der USA präsentiert. Es handelt sich um präzisierte Pläne für eine gemeinsame russisch-europäische Raketenabwehr, die er bereits im Juni letzten Jahres vorgestellt hatte. Im Gegensatz zum NMD soll die Variante des russischen Präsidenten allerdings keinen Bruch des 1972 zwischen den USA und der Sowjetunion geschlossenen Vertrages zur Beschränkung der Raktenabwehr (ABM) bedeuten. Vor allem die USA fürchten, dass ihr Territorium vor den russischen Raketen nicht geschützt oder dass sie gar gefährdet seien.

Da das europäisch-russische Raketenabwehrprojekt darüber hinaus technisch und finanziell kaum realisierbar erscheint, sind Putins jüngste Äußerungen weniger als ernst gemeinter Vorschlag, denn als politischer Vorstoß zu werten, um eine vage Verhandlungsbereitschaft zur Einschränkung des ABM-Vertrages zu signalisieren.

Bereits auf der Münchener Konferenz für Sicherheitspolitik hatte Verteidigungsminister Rudolf Scharping Anfang Februar - ebenfalls im Zusammenhang mit der NMD-Debatte - die Notwendigkeit bekräftigt, Russland »in die euro-atlantischen Strukturen stärker zu integrieren«.

Warum diese Integration »notwendig«, aber noch nicht erfolgt ist, ließ Scharping hingegen offen. Es existiert zwar seit 1997 eine Partnerschafts-Charta zwischen Russland und der Nato. Die ist aber bislang eine Partnerschaft auf dem Papier geblieben. Denn der Westen und insbesondere Europa verfolgen eine Politik, die die außenpolitischen Prioritäten Russlands völlig unberücksichtigt lässt. Dazu gehört die Schwächung der Uno und der OSZE, beispielsweise durch militärische Einsätze ohne das Mandat des Weltsicherheitsrates. Und auch die Ost-Erweiterung der Nato, die das Nordatlantische Militärbündnis immer näher an russische Grenzen rücken lässt, ist längst im Gange.

Dabei hätte die Ankündigung der neuen US-Regierung, das NMD-Projekt zu realisieren, in der Logik europäisch-militärischer Machtinteressen genau der richtige Anlass sein können, sich mit Russland gegen die USA zu verbünden. Vor allem aber wäre es für Europa eine weitere günstige Gelegenheit gewesen, sich als eigenständiger militärpolitischer Akteur auf internationaler Ebene zu profilieren. Und Putin hat deutlich signalisiert, dass er eine aktive Unterstützung der russischen Position durch die Europäer willkommen heißen würde.

Inzwischen ist diese Perspektive in Europa jedoch so gut wie abgeschrieben. Angesichts der momentanen Krise der transatlantischen Beziehungen versuchen die europäischen Nato-Mitglieder vor allem, die USA in ihrer Sorge zu beschwichtigen, die neue gemeinsame europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik könnte zuviel Eigendynamik entwickeln. Außerdem ist nun nicht mehr mit der Unterstützung Großbritanniens für die russisch-europäische Perspektive zu rechnen. Anthony Blair hat der Bush-Administration bereits zugesichert, dass er die Radarstation im britischen Fylingdales für das NMD zur Verfügung stellen würde.

Die Bundesregierung hingegen hat sich fürs Lavieren entschieden. Zwar forderte Gerhard Schröder die US-Regierung auf, bei den Planungen für das NMD-Projekt die »vielfältigen Implikationen für ihre Verbündeten angemessen zu berücksichtigen«. Zugleich betonte Joseph Fischer vergangene Woche in Washington, dass es sich bei den NMD-Plänen um eine »nationale Entscheidung der USA« handele. Einiges scheint darauf hinzuweisen, dass die meisten europäischen Nato-Staaten mit dem Projekt einer eigenen regionalen NMD-Variante im Rahmen der EU-Militärpolitik sympathisieren.