Der Wasserturm am Prenzlauer Berg

Wohnen im Tortenstück

Gefährliche Orte CXXV: Der Wasserturm in Prenzlauer Berg ist saniert - fast zumindest. Ein ideales Quartier für Yuppies, die sich aber nicht blicken lassen.

Prenzlauer Berg, Knaackstraße. Ein schneebedeckter kleiner Park, an einer Bank auf dem Kinderspielplatz stehen zwei Männer mit Bierdosen und Plastiktüte. Dahinter erhebt sich der Wasserturm. Der obere Teil des Gebäudes ist schon wieder sichtbar, das untere Drittel wird noch immer von Baugerüst und einer weißen Plastikplane verdeckt. Ein Zaun hält Neugierige vom Betreten des Grundstücks ab.

Am Fuß des Wasserturms ist ein Gedenkspruch für die Widerstandskämpfer und die Opfer der faschistischen Mörder angebracht - allerdings nur als Graffito. »Vor allem Familien haben in dem Turm gewohnt«, erzählt ein Nachbar. Der Mann im Acrylpullover mit buntem Jaquard-Muster, der eifrig und mit viel Geschepper Flaschen in den Glascontainer wirft, möchte selbst aber nicht in den ehemaligen Wasserturm ziehen. »Mir gefällt meine Wohnung besser«, sagt er.

Anfang März, so heißt es, soll alles fertig sein. 25 Bewohner sollen dann wieder in den sanierten Turm einziehen. In siebenmonatiger Bauzeit wurde das Dach neu gedeckt. Die Balustrade, die rund um den historischen Tank verläuft, ist auch neu aufgemauert. Benutzen kann man sie trotzdem nicht, die Bautechnik verbietet es. Ganz oben ist nur für die Vögel Platz, sie können sich nun in Nistkästen in aller Ruhe vermehren. Ansonsten wirkt das bewohnbare Baudenkmal wie ein Flickenteppich. Fehlende und kaputte Klinker wurden von neuen gelben ersetzt, einige der alten braunen Fensterrahmen fehlen auch. An ihrer Stelle glänzen jetzt weiße Rahmen. Allzu viel Glanz soll das Gebäude aber nicht ausstrahlen. Auf den ursprünglich geplanten Sandstrahl wurde verzichtet, damit etwas von dem Flair alter Bausubstanz erhalten bleibt.

Vielleicht wirkt der Turm deswegen auch noch nicht ganz fertig. Es sehe nicht wirklich so aus, als könnten da nächste Woche die Mieter einziehen, meint die Bedienung in dem kleinen Café schräg gegenüber.

Allerdings qualmt der Schornstein schon. Kreisförmig sind die Wohnungen auf vier Etagen verteilt. Die Zimmer sehen aus wie Tortenstücke. Das sei was »für Individualisten«, sagt Michael Pek, Wasserturmbewohner und Architekt. Die gewölbten Zimmerdecken und den Blick von der Eingangstür durch alle Zimmer der Wohnung findet er super. Alles Durchgangszimmer. Nichts für WGs, eher etwas für Yuppies.

Schließlich steht der Wasserturm ja auch nicht irgendwo, sondern in schicker Umgebung: Die meisten Häuser hier sind frisch renoviert, an Restaurants mangelt es nicht: Küche aus Sri Lanka, indische Spezialitäten, Schawarma, Falafel. Ein jüdisches Restaurant gibt es, und in die Räume der ehemaligen Szene-Kneipe »Kommandantur« ist mittlerweile eine Pizzeria gezogen.

Und auch der Turm hat sich verändert. Aus zehn Wohnungen wurden neun. Neue Küchen und Elektroanlagen sowie eine moderne Heizungsanlage sind eingebaut worden, was blieb, sind die alten Holzböden und die Türen. Extrawünsche der Mieter wurden zwar teilweise berücksichtigt, eines aber war klar: Grundriss und Zimmergrößen konnten nicht verändert werden. Der Denkmalschutz verbot auch den Einbau eines Aufzugs. Dafür sind die Toiletten und Bäder jetzt nicht nur ganz neu, sondern auch ganz klein und ganz fensterlos.

Vier Millionen Mark hat der Umbau gekostet. Mehr als vier Fünftel davon stammen aus öffentlichen Fördermitteln und von der Denkmalpflege, 750 000 Mark zahlt die Wohnungsbaugesellschaft im Prenzlauer Berg (WIP). Für die Sanierung von neun Wohnungen eine unverhältnismäßig hohe Summe. Allein das Gerüst kostete 600 000 Mark. Der WIP-Geschäftsführer Klaus-Dieter Freidland gesteht: »Nicht der Kopf, sondern der Bauch traf hier die Entscheidung für die Sanierung.«

Dafür aber bleiben die Mieten billig. In den umliegenden Häusern zahlt man schon bis zu 22 Mark für den Quadratmeter, wie eine junge Frau in rotem Mantel erzählt. Mit einem Kopfnicken zeigt sie auf eines der frisch renovierten Häuser in der Kolmarer Straße. Ob sie wohl gerne im Turm wohnen würde? Sie lächelt und verneint. Eigentlich gebe es nur einen Grund, sich eine der sonderbar geschnittenen Wohnungen zu angeln: Eine Warmmiete von ungefähr elf Mark pro Quadratmeter erscheint ihr wirklich sehr attraktiv.

Entworfen hatte den Turm der englische Ingenieur Henry Gill. Mitte des 19. Jahrhunderts ließ die englische Waterworks Company einen unterirdischen Wasserbehälter und einen Steigrohrturm aus gelben Klinkern für die erste Wasserversorgungsanlage Berlins errichten. 1874 übernahm die Stadt die Anlage und erweiterte die Wasserversorgung, die bis dahin nur 300 Häuser umfasst hatte. Nach drei Jahren Bauzeit wurde der 30 Meter hohe Wasserturm mit zehn Beamtenwohnungen 1877 fertig gestellt.

Doch Berlin wuchs schnell, der Wasserverbrauch auch, und ein Tiefbehälter mit einem Fassungsvermögen von 7 000 Kubikmetern wurde gebaut. Im Oktober 1914 wurde der Wasserturm stillgelegt, nur das Hochreservoir blieb bis 1952 als Druckanzeiger in Betrieb. Seitdem ist der »dicke Hermann« ein reines Wohnhaus, das seit 1977 unter Denkmalschutz steht. Aber nicht als Mahnmal für die Opfer des Faschismus, wie das Graffito behauptet, sondern als »Denkmal der Industriegeschichte«.

Ein Denkmal mit Mietern: Neben dem Architekten Pek soll hier auch eine »berühmte Schauspielerin« wohnen. Welche, das weiß aber niemand so recht. Ihre Ansprüche werden gleich hier im Kiez befriedigt. In der Rykestraße stattet »Ambiente und Lebensart« Wohnungen mit gehobenem Schnickschnack aus, im »Schöhnheitswahn« werden die Nägel modelliert und die Gesichter verschönert, der Laden sieht aus wie eine Zahnarztpraxis. Im kleinen Schmuckladen in der Diedenhofer Straße kann man selbst Schmuck herstellen. Für die Ökos unter den Bewohnern gibt es eine Naturheilpraxis, für die Kenner der spanischen Küche gibt es eine Tapasbar. Ein attraktives Viertel nahe der neuen Mitte eben.

»Viele suchen hier eine Wohnung«, weiß einer der beiden Polizisten, die ihren Posten vor der Synagoge in der Rykestraße bezogen haben. Auf seinen Streifengängen sehe er viele Zettel an den Laternenmasten kleben. Dabei sind viele Wohnungen leer, weil sie zu teuer sind. Die Bauherren machen trotzdem weiter, in der Kolmarer Straße wird gerade ein Altbau zu einem Lofthaus saniert.

Und die Yuppies? Sie lassen sich einfach nicht blicken. Nur ältere, gerade ihr Mittagessen verdauende Spaziergänger, Mütter mit Kindern und Touristen bevölkern die Straße und das Gelände des Wasserturms.

Vielleicht ändert sich das ja, wenn das noch nicht vergebene Dachgeschoss des Turms vermietet wird. Ein Café wünscht sich der für die Sanierung zuständige Architekt Wolfgang Wittmann. Eine geklaute Idee, wie Wittmann vergangene Woche im Tagesspiegel verriet: »Die gibt es in Frankreich in alten Wassertürmen häufig.«