EU-Referendum in der Schweiz

Offshore in den Alpen

Per Plebiszit stimmte eine große Mehrheit der Schweizer am Wochenende gegen einen raschen EU-Beitritt.

Ein von der habgierigen EU gerupftes Huhn zierte die Plakate, die in den letzten Wochen in der ganzen Schweiz zu sehen waren. Die Brüsseler Bürokraten wollten den Schweizern nicht nur die »Freiheit« wegnehmen, sondern auch den »hart erarbeiteten Wohlstand«, warnte die nationalistische Schweizer Volkspartei (SVP). Mit Erfolg. Am Wochenende stimmten die Schweizer über die von der Neuen Europäischen Bewegung initiierte Volksinitiative »Ja zu Europa!« ab. Fast jeder vierte Wahlberechtigte lehnte die Initiative, die den Bundesrat auf die sofortige Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit der EU verpflichten wollte, ab.

In den Wochen vor der Abstimmung hatte sich eine weitgehend flaue Debatte um die Ziele der Initiative entwickelt. Auf das Hohelied des »herausragenden Sonderfalles Schweiz« und das nationale Untergangsszenario der SVP-Isolationisten reagierten die »Euroturbos« mit öffentlichen Bekenntnissen für die Schweiz ebenso wie für Europa. So schmückten sie am Valentinstag verschiedene Denkmäler des Landes mit gelben Rosen.

Das Initiativkomitee »Ja zu Europa!« warb mit Slogans wie »Europa entsteht - Entscheiden wir mit« für eine möglichst rasche Integration der Schweiz in die EU. Gerade wer zu den traditionellen Werten der Schweiz stehe, müsse Ja sagen zu Europa. »Asylfragen, die Umweltproblematik, die organisierte Kriminalität. Das alles müssen wir in Europa gemeinsam lösen«, beschwor Marc Sutter, FDP-Abgeordneter und Präsident der Neuen Europäischen Bewegung, seine Eidgenossen.

Die Charmeoffensive gegenüber den nationalistischen Herzen der SVP, die von vornherein chancenlos war, führte zu einer Nationalisierung der Debatte, die sich mehrheitlich um die Frage drehte, wie die Wahrung der »Landesinteressen« im Zeitalter der Globalisierung am besten zu bewerkstelligen sei.

Die Werbung für ein »Ja zu Europa« führte zu einer äußerst unkritischen Haltung gegenüber der EU: »Seit mehr als 50 Jahren lebt Westeuropa in Frieden, Demokratie und Wohlstand. (...) Miteinander suchen die Mitgliedsstaaten der EU nach Lösungen für die wirtschaftlichen und sozialen, ökologischen und sicherheitspolitischen Probleme einer globalisierten Welt, und lassen sich dabei durch gemeinsame Werte leiten wie Rechtsgleichheit, Solidarität, Demokratie. Es sind auch die Werte der Schweiz«, schrieb beispielsweise das Initiativkomitee. Während die Initiative vor allem von der parlamentarischen und gewerkschaftlichen Linken sowie Teilen der liberalen bürgerlichen Parteien unterstützt wurde, vereinten sich auf der anderen Seite die Isolationisten mit denjenigen, die sich zwar gegen die Tempovorgabe der Initiative, nicht aber grundsätzlich gegen einen EU-Beitritt aussprachen.

Dies bedauerte vor allem der Bundesrat, der sich selbst zum Ziel eines EU-Beitritts bekennt, aber die Forderung »Sofort verhandeln!« entschieden ablehnte. Während die Parlamentarier nach der Schlappe bei der Abstimmung einen eigenen Weg nach Europa finden willl, deuten die Nationalisten das Ergebnis als grundsätzliches Nein zu weiteren Integrationsschritten. »Einen EU-Beitritt kann sich der Bundesrat nun abschminken«, strahlte der SVP-Vorsitzende Christoph Blocher am vergangenen Sonntag in die Kameras, »der Souverän, also der Chef des Bundesrates, will keine Annäherung an Europa. Daran kann nun nicht mehr gerüttelt werden.«

Die Annäherung der Schweiz an die EU ist seit einigen Jahren ein politischer Dauerbrenner. Seit 1992 gab es mehrere Abstimmungen, in denen es um die Beziehung zwischen der Schweiz und der EU ging. Einen ersten Höhepunkt erlebte die Diskussion um die europäische Integration 1992 mit der Abstimmung zum Europäischen Wirtschaftsraum (EWR). Dem äußerst knappen Nein ging eine erbitterte Debatte voraus, die in den seither viel beschworenen »Röstigraben« zwischen der EU-freundlichen Romandie und der integrationsskeptischen Deutschschweiz führte.

Nach dem Nein zur Volksinitiative »EU-Beitrittsverhandlungen vors Volk!« 1997 war die Abstimmung über die bilateralen Verträge mit der EU im letzten Jahr von kontroversen Debatten begleitet, die jedoch die Intensität der Auseinandersetzungen um den EWR nicht erreichten. Das Ja zu diesen Verträgen bestätigte die pragmatische Politik des Bundesrats und befriedigte weite Kreise der Wirtschaft.

Sehr zurückhaltend verhielt sich bei der Volksabstimmung der Verband der Schweizer Unternehmen Economiesuisse. Der Verband sieht momentan wenig Handlungsbedarf für die Schweizer Wirtschaft und ist mit den bisher ausgehandelten bilateralen Verträgen zufrieden. Das europäische Sozialmodell mit seiner »hohen Regulierungsdichte« und seinen »schwerfälligen Strukturen« ist dem Economiesuisse jedenfalls ein Dorn im Auge. Auch die Schweizer Bankenwelt zeigte kein Interesse an einer weiteren Annäherung an die EU; die »Off-shore-Position« des Finanzplatzes Schweiz steht schon genug unter Druck.

Im Gegensatz zu den Wirtschafts- und Arbeitgeberverbänden, denen ein »Händler-Europa« vollauf genügt, setzt die kämpferischste Gewerkschaft der Schweiz, die Gewerkschaft Bau und Industrie (GBI), voll auf den EU-Beitritt. »Nur als Vollmitglied können wir dazu beitragen, dass aus einem rein wirtschaftlichen ein soziales, politisches und bürgernahes Europa wird«, heißt es in einer Erklärung.

Wie die Grünen und die Sozialdemokraten strebt auch der Schweizerische Gewerkschaftsbund (SGB) sofortige Beitrittsverhandlungen an. Was Economiesuisse kritisieren musste, erschien dem SGB als Fortschritt für die Arbeitnehmer. In einer ausführlichen Standortbestimmung erläutertete der SGB, welche Vorteile der EU-Beitritt für die Arbeitnehmer mit sich bringen würde. Angesichts des Abstimmungsergebnisses scheint diese Argumentation die Schweizer offensichtlich wenig überzeugt zu haben.