Doping in Finnland

Von der Loipe ins Labor

Finnland steht vor dem größten Dopingskandal seiner Geschichte. Was vor allem daran liegen dürfte, dass andere Nationen die besseren Mittel verwenden.

An personalintensive Wettbewerbe wie Staffelrennen mag man im Moment beim finnischen Skiverband kaum denken. Weil sechs Langläufer aus dem A-Kader bei der WM im finnischen Lahti des Dopings überführt wurden, besteht der finnische Skilanglaufkader momentan gerade noch aus einer 19jährigen Studentin, der Sprintweltmeisterin Pirjo Manninen.

Der Schock über die ersten ertappten finnischen Dopingsünder ist groß. Die Reaktionen im traditionell wintersportverrückten Finnland lassen sich vielleicht am ehesten mit einem Beispiel aus dem Fußballsport erklären. Man stelle sich vor, im Endspiel der Fußball-WM 2006 gewinnt die deutsche Fußballnationalmannschaft gegen die französische mit 3 zu 1. Doch nur wenige Tage später erweist sich das komplette Team als gedopt - der deutsche Fußball scheint am Ende.

Etwas ähnliches ereignet sich gerade in Finnland. Mit Mika Myllylä, Milla Jauho, Virpi Kuitonen, Jari Isometsä und Harri Kirvesniemi hat es Ende Februar ausgerechnet solche Athleten erwischt, die als unbestrittene Stars ihrer Sportart galten. Kirvesniemi gewann im Jahr 1980 seine erste Olympiamedaille, schon damals mit der leicht schrägen Kopfhaltung, die ihn so berühmt machen sollte. 21 Jahre später dachte er eigentlich immer noch nicht ans Aufhören. Nun sagt der 42jährige, der im Lauf seiner Karriere die Erde fünfmal auf Skiern umrundet hat: »Ich hoffe, dass ich wegen all der Jahre, die ich ohne Doping aktiv war, im Gedächtnis bleibe. Für mich wird es in diesem Frühjahr keinen Vaasa-Lauf geben. Und auch keine Olympischen Spiele in Salt Lake City. Meine Karriere ist beendet.«

An gedopte Sportler haben sich die Fans ja eigentlich schon längst gewöhnt. Meistens haben die Erwischten jedoch veraltete und deshalb leicht nachzuweisende Mittel verwendet. Oft fanden sich Athleten aus ärmeren Ländern wie Bulgarien oder Weißrussland unter den Deliquenten.

Dass mit den Finnen nun ein äußerst erfolgreiches europäisches Team aufgeflogen ist, widerspricht diesem Schema jedoch nicht unbedingt. Denn auch den finnischen Langläufern wurde die gängige Mischung aus Mittellosigkeit und Blauäugigkeit zum Verhängnis. Finnland ist schließlich ein für europäische Verhältnisse armes Land, dem Skiverband steht nur wenig Geld zur Verfügung. Die Erwartung des heimischen Publikums bei der WM im eigenen Land im Februar dieses Jahres war trotzdem enorm.

In einem Exklusivinterview mit dem norwegischen Dagbladet sprach der mittlerweile entlassene finnische Cheftrainer Kari-Pekka Kyrö vergangene Woche zum ersten Mal über die Dopingaffäre. Er hatte sofort nach Bekanntwerden der positiven Testergebnisse die Verantwortung übernommen, ebenso wie die betroffenen Sportler. Die üblichen Geschichten von vertauschten Zahnpastatuben oder kontaminierten Nahrungsergänzungsmitteln wurden erst gar nicht erzählt. Man hatte gedopt, und damit basta.

Der »meistgehasste Mann Finnlands« präsentierte sich im Interview gefasst. »Natürlich weiß ich, dass der Langlauf-Sport nun für mich erledigt ist«, sagt der 35jährige. »Wir waren dumme Amateure«, stellt Kyrö rückblickend fest, der Druck und die Erwartungen in Finnland bei der WM im eigenen Land seien einfach zu groß gewesen. Natürlich dürfe man ihn einen Lügner und Doper nennen.

Nur gegen die Behauptung, dass allein in seinem Team gedopt worden sei, wehrt er sich vehement. Nachdem am 17. Februar mit Jari Isometsä ein zweites Mitglied des finnischen Kaders nicht bestanden hatte, machte Kyrö eine Runde durch die Mannschaftsquartiere in Lathi. »Ich sprach mit vielen ausländischen Kollegen. Viele Mannschaften, so teilten sie mir mit, würden mittlerweile mit Human Albumin dopen. Das ist ungefähr dasselbe wie HES, aber man kann es derzeit noch nicht nachweisen, weil es aus dem Eigenblut der Athleten hergestellt wird.« Eine halbe Stunde, so Kyrö, habe er gebraucht, um das Mittel von den Trainern gleich zweier Nationalmannschaften gezeigt zu bekommen. Von welchen? Dazu wolle er nichts sagen, aber es habe sich um »europäische Teams« gehandelt. Seither ist für Kyrö klar: »Wir haben dumm gehandelt und altmodisch.«

Auf die Idee mit dem HES-Doping, bei dem hämoglobinexpandierende Substanzen eingesetzt werden, um Nachweise von Blutdoping zu vertuschen, war das finnische Team nicht von allein gekommen. Nach der WM in Ramsau 1999 hatte der internationale Skiverband Fis berichtet, dass die meisten Sportler der anderen Mannschaften während der Wettkämpfe die damals noch nicht verbotenen plasmaexpandierenden Mittel benutzt hätten. »Im selben Jahr begannen auch wir, damit zu experimentieren. Als die Mittel aber auf der Dopingliste standen, hörten wir damit wieder auf.«

Vor der WM in Lahti hatte der Druck der Öffentlichkeit zugenommen: Man wollte Weltmeistertitel sehen. In der Mannschaftsleitung sei dann, so Kyrö, beschlossen worden, künstlich etwas nachzuhelfen. Niemand sei jedoch zum Doping gezwungen worden. Weil man selbst nicht auf dem neuesten medizinischen Stand war, suchte man Rat von außerhalb. Kyrö und einige Kollegen erkundigten sich bei Experten, ob HES mittlerweile nachweisbar sei. Die klare Antwort, die sie daraufhin »von verschiedenen nationalen und internationalen Quellen« erhielten, lautete: »Nein.« Von wem die falsche Information stammte, wollte Kyrö zunächst nicht sagen. Im Dagbladet-Interview präzisierte er letzte Woche: »Wir haben in Helsinki, Moskau und Wien nachgefragt.«

Was aus damaliger Sicht sinnvoll war, denn gerade die russischen und österreichischen Läufer hatten in Ramsau noch große Erfolge gefeiert. Bei dieser WM allerdings rangierten sie weit hinten, was in skandinavischen Medien zu ausgedehnten Spekulationen führte.

Dass HES doch nachweisbar war, stellte der ehemalige Leistungssportler erst während der Weltmeisterschaften fest, »als Janne Immonen erwischt wurde. Da wurde mir klar, dass ich nun alles aufdecken muss.« Die Panik in der finnischen Mannschaftsleitung war groß, aber nichts konnte die Bekanntgabe der Testergebnisse verhindern.

Kurz darauf schaltete sich sogar der finnische Staat ein. Justizminister Johannes Koskinen forderte eine komplette Untersuchung der Dopingfälle im Langlauf bis zurück in die siebziger Jahre. Die Sport- und Kulturministerin Suvi Linden verlangte nicht nur den Rücktritt der kompletten Funktionärsriege des Verbandes, sondern kündigte auch eine rigorose Änderung der bisherigen Sportförderung an. Umgerechnet 1,5 Milliarden Mark hatte Finnland seinen Athleten bisher jährlich zur Verfügung gestellt, nun sollen nur noch die Amateure finanziell abgesichert werden. Profis müssten in Zukunft von Sponsoren- und Werbegeldern leben. Was reichlich schwierig werden dürfte, denn sofort nach der Veröffentlichung der ersten Testergebnisse beendeten die meisten Geldgeber ihr Engagement beim finnischen Team.

Doch auch im Ausland sieht man, dass Doping nicht nur ein finnisches Problem ist. Der norwegische Experte Inggard Lereim, stellvertretender Vorsitzender des medizinischen Komitees der Fis, etwa erklärte, nach der »Doping-Tragödie um das finnische Langlaufteam« werde man überlegen, in Zukunft Tests von allen Startern in allen Konkurrenzen zu verlangen. Zudem deutete er an, dass man sich momentan mit der Entwicklung weiterer Tests beschäftige. »Es ist viel Spannendes im Gang«, sagte er, ohne auf Einzelheiten einzugehen.

Außerdem wurden nach Leheims Angaben von einem Forscher zwölf bis 15 Blutproben pro Wettbewerb genommen. Sie sollen zum Nachweis von Epo-Doping dienen. Das Verfahren ist allerdings von der Fis noch nicht zugelassen. So kann es also sein, dass weitere Sportler in Lahti eigentlich gedopt waren, ihre Namen allerdings nicht genannt werden dürfen. Im nächsten Jahr, ist sich Lereim sicher, wird der Test erlaubt sein, und dann wissen die Forscher schon, bei welchen Athleten sie besonders aufpassen müssen. Um dann doch wieder nur die zu erwischen, die mit veralteten Mitteln dopen.

Dem finnischen Langlauf wird das nicht helfen. Auch wenn Lereim Wert darauf legt, dass ihm die Finnen sehr leid tun. Die Fis solle ihnen helfen, damit die Sportart dort eine Zukunft habe, sagt er. Dass andere Nationen das Team richtiggehend verdammen, gefalle ihm gar nicht. Wahrscheinlich weil er genau weiß dass die Sportler aus Suomi einfach nur das Pech hatten, erwischt zu werden.