Bio infernale

Das Europäische Parlament stimmt in dieser Woche über einen Antrag zur Zukunft der Biotechnologie ab.

Freie Bahn für die Biotech-Industrie? Diese Frage stellt sich voraussichtlich am Donnerstag dieser Woche dem EU-Parlament in Strasbourg. Und zwar bei der Abstimmung des so genannten Purvis-Berichts über »die Zukunft des Biotechnologie-Sektors«. Erstmals versucht das Gremium damit, sich in Fragen der Biotechnologie grundsätzlich zu positionieren. Und ein »Bio-Europa« nimmt Kontur an.

Bereits vor Monaten hatte der konservative britische EU-Abgeordnete John Purvis die Kollegen auf seinen Bericht eingestimmt. Gemeinsam mit einem ganz Großen der Biotech-Industrie lud er regelmäßig zum Info-Lunch im Europäischen Parlament (EP). »GlaxoSmithKline lädt ein« warben die Flugblätter, die die Euro-Parlamentarier zur Teilnahme animieren sollten.

GlaxoSmithKline ist ein britisch-amerikanisches Mega-Unternehmen, das kürzlich aus einer Fusion der beiden Pharma-Giganten GlaxoWellcome und SmithKline-Beecham hervorgegangen war, und zugleich einer der größten Biotech-Multis der Welt. Thema der Imbiss-Runden war die schöne neue Welt der Gentechnologie.

Die Verheißungen des Purvis-Berichts sind gewaltig. Biotechnologen wollen, so heißt es dort, »durch genetische Veränderungen Pflanzen hervorbringen, die schmackhafter, nahrhafter und billiger sind und weniger Chemikalien für ihr Wachstum benötigen« sowie landwirtschaftliche Nutztiere mit denselben Qualitäten schaffen, die zudem noch »gesünder und weniger krankheitsanfällig sind«. Auf diese Weise könnten genetische Defekte korrigiert, Wachstumsraten und Erträge sowie die Widerstandsfähigkeit gegen Bakterien und sogar das Verhalten verbessert werden.

Ende Februar nahm der Purvis-Bericht die erste Hürde in Brüssel - im Ausschuss für Industrie, Außenhandel, Forschung und Energie. Die zuständigen Euro-Parlamentarier schlossen sich mehrheitlich der positiven Einschätzung von Purvis an. Die Biotechnologiebranche in der EU müsse zum Wohl ihrer Bürger unterstützt werden, beschloss der Ausschuss. Schließlich habe man von dieser Zunft eine höhere Lebensqualität zu erwarten: bessere Lebensmittel, eine sauberere Umwelt, mehr Gesundheit.

Und nicht nur das: Die Biotechnologie-Industrie soll ein Schwerpunktthema auf dem nächsten EU-Ratsgipfel in Stockholm werden, um ihr den gebührenden Platz als zukunftsweisender Wirtschaftssektor einzuräumen. Zugleich wird die Kommission aufgefordert, einen Aktionsplan »Bio-Europa« auszuarbeiten, der von der Generaldirektion »Unternehmen« koordiniert werden soll.

Wie könnte das »Bio-Europa« der Zukunft nach den Wünschen des EP-Ausschusses aussehen? Zunächst muss es mehr Geld für die Biotechnologie-Industrie geben. Von den Mitgliedstaaten wird erwartet, die Finanzmittel für die Universitäten im Bereich der Biotechnologie aufzustocken. Auf EU-Ebene soll die finanzielle Unterstützung sowohl für biotechnologische Forschung allgemein als auch für alle potenziellen Anwendungsgebiete erhöht werden.

Transparenz darüber, wofür genau die Mittel eingesetzt werden, scheint weniger notwendig. So wurde ein Antrag abgelehnt, mit dem die Europäische Kommission aufgefordert werden sollte, eine öffentlich zugängliche Aufstellung über die Höhe der öffentlichen Mittel vorzulegen, die bereits für private Forschung zur Verfügung gestellt wurden. Eine solche Aufstellung hätte insbesondere Informationen darüber enthalten sollen, wie viele Eigenmittel die betreffenden Unternehmen in die Entwicklung neuer Produkte investieren, im Vergleich zur finanziellen Unterstützung aus öffentlichen. Purvis selbst gab an, der Biotechnologie-Sektor verwende etwa 45 Prozent seiner Erlöse für Forschung und Entwicklung.

Insbesondere weist der Ausschuss auf die Wichtigkeit von Freilandversuchen hin, um die »Umweltverträglichkeit« zu prüfen. Hand in Hand damit geht der rechtliche Schutz derjenigen, die diese Versuche durchführen.

Nicht folgen wollte der Ausschuss hingegen dem Antrag der grünen Abgeordneten Ilka Schröder, die forderte, Freilandversuche wegen der potenziellen Risiken die Genehmigung zu verweigern. Ebenfalls keine Zustimmung fand die Forderung, Biotech-Unternehmen, die für die Einführung genetisch manipulierter Organismen auf dem Markt verantwortlich sind, müssten für mögliche Folgen auch die zivilrechtliche Haftung übernehmen.

Neue Einsatzfelder für die Gentechnologie eröffnen sich, etwa bei der Trinkwasser-Aufbereitung durch genetisch manipulierte Mikroorganismen, die auch als Ersatz für die »derzeit eingesetzten gefährlichen Chemikalien« bei der Wiederherstellung von Böden und zur Entwicklung »nachhaltiger und umweltfreundlicher Energiequellen« - einschließlich Biogas, Wasserstoff und Äthanol - verwendet werden sollen.

Auch in der Entwicklungspolitik eines künftigen »Bio-Europas« soll die Biotechnologie eine größere Rolle spielen. Der Ausschuss für Industrie, Außenhandel, Forschung und Energie ist der Ansicht, dass Biotech-Anwendungen dazu beitragen können, landwirtschaftliche, ökologische und gesundheitliche Probleme in den Entwicklungsländern zu verringern. Er tritt ferner dafür ein, biotechnologischen Anwendungen in den Forschungsprogrammen der EU Priorität zu verleihen sowie in die handelspolitischen Diskussionen einzubeziehen.

Dass Hunger auf der Welt nicht nur ein Problem der Nahrungsmittelerzeugung ist, sondern vielfach auch ein Verteilungsproblem - das leuchtete dem Ausschuss indes nicht ein. So wenig wie die Befürchtung, dass biotechnologische Anwendungen zu einer Verminderung der biologischen Vielfalt in Entwicklungsländern führen. Aktuelle internationale Diskussionen um Biopiraterie und den Schutz indigener Gesellschaften vor der Nutzung und Kommerzialisierung ihres traditionellen Wissens durch Pharmaindustrie und Agrobusiness wurden im Purvis-Bericht nicht einmal ansatzweise thematisiert.

Auch auf die datenschutzrechtlichen Aspekte eines »Bio-Europas« wird kaum eingegangen. Die Verwendung von und der Zugang zu personenbezogenen genetischen Daten durch Dritte müssten im Hinblick auf eine gesetzliche Regelung erörtert werden, heißt es in dem Bericht. Die Mehrheit der Ausschuss-Abgeordneten meinte zwar, dass im Mittelpunkt einer solchen Regelung der Schutz der persönlichen Integrität sowie die verbindliche Bedingung stehen sollte, dass die betroffene Person zustimmt. Abgelehnt wurde jedoch der Antrag, dass personenbezogene Daten, die in den Bereich der Privatsphäre fallen, geschützt und dem Zugriff sowie der weitergehenden Nutzung durch Dritte - wie Versicherungsgesellschaften, Arbeitgeber, Behörden oder Vertreter kommerzieller Interessen - entzogen werden müssten.

Völlig unter den Tisch fiel die Diskussion um die immer enger werdenden Verbindungen zwischen Informations- und Biotechnologie. Eins jedoch ist klar: Die Zukunft der Biotechnologie in einem »Bio-Europa« wird jeden Bereich gesellschaftlichen und persönlichen Lebens berühren. Mit diesem Bericht könnten die Weichen im Europäischen Parlament gestellt werden.