Gender-Debatte

Schlechte Wiederholungen

Der Transsexuelle taucht in der Queer-Theorie mal als trauriger Zwangsjackenträger, mal als fröhliches nicht-identitäres Subjekt auf.

Mit ihrem Buch »Gender Trouble« versuchte Judith Butler, die im US-Kontext vorherrschende Arbeitsteilung aufzubrechen, nach der Women Studies für Gender, die Gay and Lesbian Studies hingegen für Sexualität zuständig sind. Die Figur der Drag Queen sollte die konstitutive Verwobenheit der Identitätsachsen Homo/Hetero und Mann/ Frau verdeutlichen und wurde zum Symbol für die Operationen der heterosexuellen Matrix.

Seither wird die Figur der Transe in unzähligen Veröffentlichungen als überzeugendes Beispiel für das Dilemma der Zweigeschlechtlichkeit gehandelt. Obwohl dabei fast alle AutorInnen an Butler anknüpfen, fällt ihr Verhältnis zur Figur der Transe vollkommen unterschiedlich aus: Während sie von einigen TheoretikerInnen mit euphorischem Gestus als Symbol der viel zitierten »Auflösung der Geschlechter« gefeiert wird, taucht sie in anderen Ansätzen als verblendetes Opfer des medizinischen Apparates auf.

Um die Gründe dieser widersprüchlichen Rezeption Butlers herauszufinden, ist es sinnvoll, ihr explosives Theoriegemisch in den Blick zu nehmen. Butler, die in »Gender Trouble« an allen philosophischen Fronten gekämpft und auf allen Hochzeiten getanzt hatte, wurde im Anschluss daran zur perfekten Projektionsfläche der verschiedensten Theoriefraktionen. Seither ist sie nicht nur damit beschäftigt, so genannte Missverständnisse auszuräumen, sondern auch das (Miss-) Verhältnis ihrer theoretischen Protagonisten - allen voran Michel Foucault und Sigmund Freud - immer wieder neu zu verhandeln.

Mit ihrer Infragestellung der lähmenden Opposition von Essenzialismus und Konstruktivismus, in die weite Teile der feministischen Debatte sich Ende der achtziger Jahre verrannt hatten, rückt Butler schon in »Gender Trouble« implizit in die Nähe von Freud, der die Alternative »angeboren oder erworben« in seiner Auseinandersetzung mit dem Vorgang der Inversion für unzureichend erklärt hatte.

Den Grundpfeiler ihres Theoriegerüsts liefert jedoch Foucault. Im Anschluss an dessen Machtbegriff versteht Butler das Subjekt als Effekt eben jener Diskurse, die seine Existenz immer schon voraussetzen. Trotz ihrer Nähe zu Freud bleibt sie in »Gender Trouble« noch einem gewissen von Foucault inspirierten Misstrauen gegenüber der Psychoanalyse treu.

Traditionell haben die amerikanischen Gay and Lesbian Studies das Freudsche Inversionsmodell, nach dem der Homosexuelle als invertiert, also als psychisch dem anderen Geschlecht angehörig gedacht wird, als normalisierende und pathologisierende straight jacket (Zwangsjacke) aufgefasst. Im Anschluss daran problematisiert auch Butler die Wiedereinschreibung der Heterosexualität in die Homosexualität als paradigmatisch für die Operation der heterosexuellen Matrix, in der Homosexualität als solche undenkbar bleibt.

In der Rezeption von Butlers Arbeit wird der Einfluss Foucaults oft überbewertet und ihr Projekt auf eine Kritik am wissenschaftlichen Diskurs über Zweigeschlechtlichkeit eingeengt. Somit wird Butler für das Theorieprojekt des Konstruktivismus vereinnahmt, das sie eigentlich in Frage stellte. Bernice Hausmann analysiert zum Beispiel die klinische Behandlung von Transsexuellen als Foucaultsche Geständnisspraxis par excellence. In Butlers Namen erklärt sie, dass das transsexuelle Subjekt ein durch und durch künstliches Produkt des medizinischen Diskurses über natürliche Geschlechtsidentität sei. Bei Hausmann mutiert Butlers Konzept der heterosexuellen Matrix zu einer Art Verschwörungstheorie, derzufolge dem gesamten klinischen Diskurs über Transsexualität ein versteckter homophober Komplott zugrunde liegt.

Hausmanns konstruktivistische Analyse fällt einem technologischen Determinismus anheim, der dem medizinischen Diskurs eine monströse, alles bestimmende Wirkungsmacht zuspricht. Transsexuelle erscheinen in solchen Ansätzen als bloße Objekte des medizinischen Apparates und werden als reaktionäre und angepasste Subjekte abgestempelt, die sich der Zwangsjacke eines homophoben Diskurses auslieferten.

Eine solche Vereinnahmung von Butlers Arbeit übersieht nicht nur, dass sie gegen solche Abwertungen von gender benders angetreten war. Sie ignoriert auch, dass Butler schon in »Gender Trouble« Foucault einer wichtigen Kritik unterzieht. Indem sie den Theoretiker Foucault gegen den Historiker Focault liest, lokalisiert sie eine Spannung zwischen seiner Machtanalyse einerseits und seiner misstrauischen Distanz zu den von ihm analysierten wissenschaftlichen Diskursen andererseits.

Foucaults Idealisierung des Körpers und der Lüste des Hermaphroditen Herculine Barbin, die er jenseits des medizinischen Klassifikationsystems fasst, steht somit in direktem Widerspruch zu seiner Kritik an einem mystischen Ort vor und außerhalb der Macht. Bei Ansätzen wie denen Hausmanns, die mit ihrer Verteufelung des klinischen Diskurses implizit einen solchen unbefleckten Ort voraussetzen, bekommt »soziale Konstruktion« doch wieder eine negative Konnotation.

Nimmt man Foucaults These von der Produktivität der Macht jedoch ernst, werden jene Diskurse, die uns als Subjekt konstituieren, zu einer notwendigen Grundbedingung von Identität. Somit ist nicht nur der Transsexuelle ein künstliches Produkt eines bestimmten, historisch spezifischen Diskurses der Medizin, der Psychiatrie etc., sondern Subjektivität ist generell immer schon Effekt einer Entfremdung durch das Gesetz.

Butlers Kritik an Foucault markiert den Übergang von einer Theorie der Zwangsjacke zu einer Theorie des Wiederholungszwangs, die sie in »Bodies that Matter« weiter ausbaut. Performativität, erklärt Butler, ist nicht als ein einmaliger alles determinierender Akt zu verstehen, sondern als eine nie abschließbare sich wiederholende Praxis. Dabei ist nicht das Gelingen eines performativen Aktes konstitutiv für Bedeutungsbildung, sondern sein notwendiges Scheitern. Das Subjekt ist durch die Notwendigkeit, das Gesetz immer wieder zitieren zu müssen, nicht determiniert, sondern überhaupt erst zum Handeln befähigt.

Die Verlagerung des Fokus von einer Foucaultschen Analyse der Zwangsheterosexualität in spezifischen historischen Diskursen zu einer allgemeinen Theorie der Subjektivität im Modus der Wiederholung hat jedoch eine starke Spannung in Butlers Projekt hinterlassen, die sich in der widersprüchlichen Rezeption spiegelt. Vereinnahmt die Historikerin Hausmann Butlers Arbeit für eine deterministische Theorie der diskursiven Zwangsjacke, so stellt die Queer-Theoretikerin Judith Halberstam genau jenen Aspekt der grundsätzlichen Unabgeschlossenheit von Identität in den Vordergrund.

Halberstam reduziert Butlers Fomulierung, Geschlechtsidentität sei immer »Kopie ohne Original«, auf einen plumpen Universalismus, der sie zu dem übereifrigen Schluss führt, dass »wir alle Transsexuelle sind«. Und, im dialektischen Schweinsgalopp, kehrt sie diese These sogleich um und erklärt, dass es genau deshalb »keine Transsexuellen gibt«. Als Heilmittel gegen die von ihr selbst ins Spiel gebrachte Indifferenz führt Halberstam eine Art »queeres Bewusstsein« ins Feld: Wenn Geschlechterdarstellungen schon immer fiktiv gewesen seien, seien Unterschiede in der Intention des Subjekts zu suchen.

Subversiv sind bei ihr nur solche Darstellungen, die Geschlechtsidentität bewusst parodieren. Um den Weg in die posttranssexuel era antreten zu können, müssten wir nur lernen, Geschlecht »als Fiktion statt als Fakt« anzuerkennen. So wird der Transsexuelle zum konstitutiven Außen von Halberstams aufgeklärtem queeren Subjekt. Da Geschlechtsidentität und biologisches Geschlecht für sie »antiquierte Kategorien« sind, erscheinen jene, die im Rückgriff auf diese Begriffe Ansprüche auf eine Identität geltend machen, als Ewiggestrige.

Wenn Halberstam den Transsexuellen vorwirft, sie nähmen das »trans« aus dem Begriff »transsexuell« heraus, dann kann man ihr vorwerfen, dass sie den »Zwang« aus Butlers Konzept vom »Wiederholungszwang« entfernt. Wiederholen wird bei ihr zu einem simplen Neuschreiben und Performativität zu einem kreativen Akt des Selbstentwurfs. Geschichtlichkeit ist für Halberstam nicht von Gewicht, da Sprache für sie ein rein ideelles Vehikel im Dienst des sich seiner selbst bewusst werdenden, sprechenden Subjekts ist.

Dabei hatte selbst der Saint Foucault der Queer Theory festgestellt, dass der Urspung nicht im Menschen zu suchen sei, sondern dort, wo »der Mensch Worte zusammensetzt, die älter als alle Erinnerung sind«. So liegt die Möglichkeit zur Wiederholung und Resignifikation nicht nur in der Geschichtlichkeit der Sprache, sondern auch in jenen verworfenen und nicht-intendierten Bedeutungen, die über den Raum des Bewusstseins, des Innen, der Erinnerung hinausschießen. Denn Erinnerung ohne Vergessen wäre keine Erinnerung, sondern unendliche Selbstpräsenz.

Vielleicht bringt Freuds Konzept vom Wiederholungszwang das Dilemma der Queer Theory besser auf den Punkt, als Butler es könnte: »Wir wiederholen, weil wir uns nicht erinnern können.« Wenn Queer Theory nicht zu einem idealistischen Diskurs über absolutes Wissen und richtiges Bewusstsein verkommen will, wäre es nicht nur sinnvoll, ihr eigenes Unbewusstes in den Blick zu nehmen, sondern auch, wie Butler es tut, dem Unbewussten der Psychoanalyse einen Platz einzuräumen.