Marine gegen Bootsflüchtlinge

Singen oder fliehen

Immer mehr Flüchtlinge versuchen, in kleinen Booten aus der Dominikanischen Republik in die USA überzusetzen. Für viele endet das Unternehmen tödlich.

Die Hoffnung endete wenige Kilometer vor der Küste von Sint Maarten. Zuerst setzte der Motor elf Kilometer von der niederländischen Antilleninsel entfernt aus, dann überrollte eine starke Welle von Steuerbord die »Esperanza«, bevor sie von einer erneuten Wasserwoge begraben wurde. In Todesangst sprangen 48 Passagiere ohne Schwimmwesten über Bord, die meisten in den Tod. Auf ein Korallenriff getrieben, versank die auf der Karibik-Insel Sint Maarten registrierte zwölf Meter lange Holzbarkasse. Endstation für vier Dutzend illegale »Sin Papeles«, so genannte illegale Flüchtlinge, die ihr Glück in den Vereinigten Staaten von Amerika suchen wollten.

Ein französisches Fischerboot rettete Delia Rúa, eine 24 Jahre alte Dominikanerin, und ihren 23jährigen Landsmann Júan Pablo Santana, die sich in der Nacht vom 14. auf den 15. März für mehrere Stunden an einer Schiffsplanke festgeklammert hatten. 24 Stunden später fischte eine Fähre den Bootsführer und das einzige Besatzungsmitglied rund sechs Seemeilen von der Insel entfernt aus dem Wasser. Sie sind wegen »Menschenhandels« inhaftiert. 23 Leichen wurden in den Tagen danach angeschwemmt, 15 in Saint Martín, im französischen Teil des Antillenarchipels, acht im niederländischen Teil. Zehn der Toten waren Frauen, fünf davon stammten aus der Dominikanischen Republik, fünf aus Asien. 21 Personen sind verschwunden; ob die Haifische sie gefressen haben, ob sie auf den Grund gesunken sind - niemand weiß es.

Keine 18 Stunden nach der Schiffskatastrophe im Ostteil der Antillen rief der Oberbefehlshaber der dominikanischen Kriegsmarine, Vizeadmiral Luis Alberto Humeau Hidalgo, erneut zur Pressekonferenz. Soeben hatten Fischer zwei dominikanische boat people vor der haitianischen Küste - die Dominikanische Republik und Haiti teilen sich die Karibik-Insel Hispaniola - aus Seenot gerettet.

Die beiden blieben die einzigen Überlebenden von ursprünglich 60 Bootsinsassen, die illegal in Richtung Miami aufgebrochen waren. Tagelang war das Schiff mit Motorschaden auf hoher See hin und her getrieben worden und schließlich auf ein Riff aufgelaufen. Nur noch elf bereits stark verweste Leichen konnten später gerettet werden.

Knapp zehn Tage zuvor hatten mehrere Kriegsschiffe der dominikanischen Marine gemeinsam mit der US-amerikanischen Küstenwache die Meerenge zwischen der Ostküste der Dominikanischen Republik und dem mit den USA assoziierten Puerto Rico auf der Suche nach einem Boot mit 70 Insassen durchkreuzt. Beunruhigte Familienangehörige hatten den Zivilschutz in Santo Domingo informiert, nachdem sie vergeblich auf eine Nachricht ihrer Verwandten gewartet hatten, dass sie im US-Paradies angekommen seien. Nach wenigen Tagen wurde die Suche abgebrochen. Möglicherweise sind alle ertrunken, wie bereits viele vor ihnen, die in den letzten Jahrzehnten immer wieder versucht hatten, der sozialen Misere zu entgehen, indem sie das Land verlassen.

Die »Reisemonate« um die Jahreswende begünstigen den Versuch, die wenigen Seemeilen zwischen der Ostküste der Dominikanischen Republik und Puerto Rico zu überwinden. Das Meer ist nicht so unruhig, und während der Feiertage ist das Personal der Küstenwache kräftig ausgedünnt. Zusätzlich sorgten der Amtswechsel im fernen Washington und das Gerücht, in diesem Zusammenhang würden so genannte illegale Einwanderer amnestiert und mit der begehrten Greencard beglückt, für die zusätzliche Vermehrung von »Sin Papeles«.

Zwischen September und Dezember des vergangenen Jahres hat die dominikanische Marine 173 so genannte Yolas, Kleinboote mit Illegalen, aufgebracht. Wie viele Personen dabei festgenommen und wie viele in diesem Zeitraum nicht gefasst wurden, will José de Jesús Peña Almonte nicht verraten.

Der stellvertretende Chef des Marinegeheimdienstes M2 widerspricht aber auch nicht den Schätzungen der dominikanischen Wochenzeitung Rumbo, wonach über 12 000 Personen beim Versuch festgenommen worden seien, das Land illegal zu verlassen. Bei 31 Aktionen innerhalb von zwei Wochen habe der Marinegeheimdienst Schiffskapitäne, Schlepper und illegale Auswanderer festgenommen und ihre Boote zerstört, bestätigt Peña Almonte jedoch Informationen des Generalstabs der Marine und zeigt eine bunte Grafik, auf denen jene Orte an der Ostküste mit Sternchen markiert sind, wo Festnahmen erfolgten.

»Dies sind Zentren, wo immer wieder Yolas starten«, sagt der Geheimdienstmann. »Im Zusammenhang mit der Costguard haben wir den Canal de la Mona für Yolas beinahe abgeriegelt«, berichtet der oberste Chef der dominikanischen Marine, Luis Albert Humeau Hidalgo. Der Vizeadmiral spricht von einem »vollen Erfolg« bei der Präsentation einer Werbekampagne. »Un consejo de la Marine de Guerra«, ein Rat der Kriegsmarine, soll pauperisierte DominikanerInnen mit Bachata- und Merengueklängen von dem oft tödlich endenden Versuch abhalten, auszuwandern. »No te vayas, te vas a morir« (»Geh nicht, du wirst sterben«), singt Joseph »Luchy« Santos, und in einem Werbespot bittet die zittrige Stimme einer alten Frau: »Junge, die Yola ist nicht die Lösung.«

Ein Journalist bezweifelt, dass die musikalische Animation angesichts eines Durchschnittseinkommens von rund 300 Mark monatlich und einer inoffiziellen Arbeitslosenquote von knapp fünfzig Prozent irgendeine Wirkung auf seine Landsleute haben wird. »Die Abriegelung des Canal de la Mona hat nur dazu geführt, dass die Illegalen sich längere und gefährlichere Wege in Richtung USA suchen. Wie wir sehen, steigt derzeit die Zahl der Toten.«

»40 000 illegale 'Yolaner' sind im letzten Jahr verhaftet worden, aber viele andere haben es geschafft«, berichtet eine Rechtsanwältin, die sich seit Jahren mit Gelegenheitsjobs über Wasser hält und monatlich knapp dreihundert Mark aufbringen muss, um ihren Sohn in einer »guten Schule« unterbringen zu können. »In New York gibt es mehr dominikanische Rechtsanwälte, die als Taxifahrer arbeiten, als zugelassene Anwälte hier im Land.« Die Juristin hat längst schon ihre Koffer gepackt; noch fehlt es ihr am Geld, um den Flug nach Europa bezahlen zu können. »Dort habe ich wenigstens die Hoffnung, meine Familie zu ernähren. Auch wenn ich als Putzfrau arbeiten muss.«