Doppelter Machtkampf

Die Verhaftung Milosevics hat den innerjugoslawischen Konflikt um die Zukunft der Föderation auf eine neue Ebene gebracht. Die USA und Deutschland positionieren sich auf Seiten Djindjics - und gegen Kostunica.

Mit der spektakulären Festnahme Slobodan Milosevics durch serbische Polizeitruppen droht das ehemalige Oppositionsbündnis in Jugoslawien zu zerbrechen. Nur noch schwer lassen sich die tiefen politischen Risse zwischen den beiden wichtigsten Protagonisten des Umsturzes vom vergangenen Oktober verbergen. Für den national-konservativen Rechtsprofessor Vojislav Kostunica, der Milosevic bei den jugoslawischen Präsidentschaftswahlen im vergangenen September schlagen konnte, bedeutet die Festnahme seines Vorgängers eine Demütigung. Stets hatte Kostunica sich gegen das Den Haager Tribunal gestellt, das er im Wahlkampf als »amerikanische Institution« abgelehnt hatte. Mit ernster Miene verkündet er nun, dass niemand über dem Gesetz stehen könne, und kaschiert damit seine Niederlage - auch wenn Milosevic formal zunächst vor ein serbisches Gericht gestellt werden soll.

Vorläufig durchgesetzt hat sich dagegen Zoran Djindjic. Der neoliberale Politiker konnte Ende Dezember die Wahl zum neuen Ministerpräsidenten des serbischen Teilstaates der jugoslawischen Föderation gewinnen. Djindjic steht für einen bedingunglosen pro-westlichen Kurs und hat mit dem Befehl zur Festnahme Milosevics vor allem den USA gegenüber Loyalität bewiesen. Im Gegensatz zu Kostunica ist er weniger in nationaler Symbolik verhaftet und versucht, sich als pragmatischer Reformer ganz nach dem Geschmack der »westlichen Gemeinschaft« zu präsentieren.

Hinter der Auseinandersetzung zwischen Kostunica und Djindjic, die in Jugoslawien seit Wochen mit aggressiver werdendem Tonfall geführt wird, verbergen sich tief gehende politische Differenzen. Dabei spiegeln sich in den Positionen der Kontrahenten nicht nur die innerjugoslawischen Kräfteverhältnisse wider. Vielmehr stehen Djindjic und Kostunica für unterschiedliche politische Optionen im Gerangel um Hegemonie und strategische Positionen, welche auf dem Balkan zwischen den USA, den Ländern der Europäischen Union und Russland ausgetragen werden.

Kostunica konnte die Wahlen im September nur deshalb gewinnen, weil Milosevic dem Juristen, der 1974 unter Tito wegen »Antikommunismus« und »Nationalismus« von der Belgrader Universität relegiert worden war, schwerlich vorwerfen konnte, ein »Nato-Lakai« zu sein, wie Djindjic stets bezeichnet wurde. Schließlich hatte Kostunica niemals Zweifel daran gelassen, einen serbischen Einheitsstaat anzustreben, der neben der serbischen Republik auch die serbischen Teile Bosniens und Kroatiens und vor allem das Kosovo beinhalten soll. Obwohl die westlichen Medien Kostunicas Wahlsieg ausgiebig feierten, warnten bereits im Herbst Beobachter davor, dass er nicht die beste Option sei.

Seither blieb das Verhältnis zwischen Kostunica und vor allem den USA gespannt. Neben der von Kostunica verweigerten Kooperation mit dem Den Haager Tribunal fordern die USA auch die Freilassung von mehreren Hundert Kosovo-Albanern, die während des Kosovo-Kriegs von serbisch-jugoslawischen Truppen als »Terroristen« inhaftiert wurden und die bis heute in verschiedenen Gefängnissen in Serbien inhaftiert sind.

Außerdem drängen die USA darauf, dass Kostunica die Militärhilfe für die serbische Armee in Bosnien einstellen solle. Vor dem außenpolitischen Komitee des US-Senats ereiferte sich Morton Abramowitz vom Nato-Think Tank International Crisis Group am 15. März darüber, dass Kostunica den von Den Haag gesuchten bosnischen Serbenführer Radovan Karadzic als »Nationalhelden« feiern würde.

In Jugoslawien dagegen ist Kostunica immer noch populär. Mittlerweile wird er sogar von der Milosevic-Partei SPS gelobt. »Wir unterstützen Präsident Kostunicas strategische Richtung«, meinte der SPS-Kader Nikola Sainovic kürzlich. Die führenden Generäle in der Jugoslawischen Bundesarmee wie deren Generalstabschef Nebojsa Pavkovic, der schon unter Milosevic in diesem Rang diente und beim Umsturz im Oktober eine Schlüsselrolle spielte, gelten ohnehin als Kostunica-Anhänger.

Während Kostunica vor allem von den USA, aber auch von Großbritannien und Deutschland angegriffen wird, kommen ihm Russland und etwas leiser Frankreich zu Hilfe. Russlands Außenminister Igor Iwanow sicherte Kostunica bei einem Besuch in Belgrad vor einigen Tagen seine Unterstützung zu. Und am Dienstag vergangener Woche forderte der französische Außenminister Hubert Védrine seinen US-Kollegen Colin Powell immerhin auf, das Ultimatum, das am Sonntagfrüh zur Festnahme Milosevics führen sollte, auszusetzen und nachsichtiger mit Jugoslawien zu sein.

Hinter dieser Konstellation scheint die nach wie vor ungelöste Frage nach den Grenzziehungen im Gebiet Jugoslawiens zu stehen. Russland mahnt aus eigenen Interessen - schließlich führt die Regierung Krieg in Tschetschenien -, die staatliche Souveränität Jugoslawiens nicht zu gefährden und spricht sich vehement gegen die Unabhängigkeit von Kosovo und Montenegro aus.

Die Signale aus Washington, London und Berlin sehen jedoch anders aus. Hier betonen die Außenpolitiker zwar auch, dass »wir heute nicht beginnen dürfen, wieder Grenzen zu verändern«, wie Joseph Fischer bei einer Bundestagsdebatte vergangene Woche meinte. Tatsächlich aber zeigen sie sich den kosovo-albanischen und montenegrinischen Sezessionisten gegenüber äußerst hilfsbereit. Ganz offen folgert etwa der ehemalige Nato-Oberkommandierende in Europa, General Wesley Clark, aus der Mazedonien-Krise in der Washington Post vom 20. März: »Die Stabilisierung des Kosovo heißt, dass wir unsere eigenen Versprechen einhalten und Wahlen für eine legislative Körperschaft mit wirklichen Machtbefugnissen abhalten müssen.« Also die Unabhängigkeit.

Die US-Regierung scheint ebenso wie die britische und die deutsche momentan auf Djindjic zu setzen. Nur mit ihm, kaum aber mit Kostunica lässt sich die Zersplitterung Jugoslawiens fortsetzen. Wahrscheinlich liegt diese auch im Interesse der angestrebten geostrategischen Kontrolle über den Balkan mit Stoßrichtung gegen Russland.

Noch aber ist Kostunica jugoslawischer Präsident, und kampflos scheint er das Terrain auch nicht räumen zu wollen. Sollte das Dos-Bündnis platzen und käme es in Montenegro im Juni tatsächlich zum angekündigten Unabhängigkeitsreferendum, wären Neuwahlen sowohl in Serbien als auch auf jugoslawischer Ebene unausweichlich. Das machte Kostunica bei einem Treffen seiner Partei DSS bereits vergangene Woche klar.

Kostunica ist nach Meinungsumfragen noch immer populärer als Djindjic, dessen wirtschaftliches Reformprogamm seit Januar zu erheblichen Preissteigerungen und wachsendem Unmut führt. Wessen Liebling Djindjic nun wirklich ist, wird sich wiederum wohl erst entscheiden, wenn er sich gegen Kostunica durchsetzen sollte. »Es wird immer deutlicher, dass das Schicksal vieler politischer und wirtschaftlicher Reformen, über die in Serbien viel geredet wird, erst entschieden wird, wenn der Belgrader Machtkampf ausgetragen ist«, schrieb der serbische Journalist Zeljko Cvijanovic vergangene Woche.