Vor der Auslieferung nach Den Haag?

Kopfgeld für Milosevic

Zu den dreistesten der vielen Lügen, die im Westen über Slobodan Milosevic verbreitet wurden, zählte stets die Behauptung, bei dem am Wochenende Verhafteten habe es sich um den letzten sozialistischen Staatschef in Europa gehandelt. Denn abgesehen von den Jahren zwischen 1984 und 1987, die Milosevic als Vorsitzender des Belgrader Stadtverbandes des Kommunistischen Bundes unter anderem damit zubrachte, serbische Nationalisten, Reaktionäre und Antikommunisten aus Kultur und Wissenschaft zu entfernen, hatte er mit den Lehren von Karl Marx u.a. nur wenig im Sinn.

Im Gegenteil. Der Aufstieg vom zweitrangigen Apparatschik zum nationalistischen Volkstribun gelang Milosevic bereits 1987, als er bei einem Besuch im Kosovo randalierenden serbischen Demonstranten zurief: »In Zukunft wird euch keiner mehr schlagen!« Nur wenig später sollte der mörderische Showdown der Nationalismen in Jugoslawien für Jahre des wirtschaftlichen Mangels sorgen, der durch das internationale Handelsembargo gegen Serbien und Montenegro noch verschlimmert wurde. Wer Milosevic bei der Verwaltung dieses Elends sozialistische Motive unterstellt, liegt daneben, der Begriff der kriegerischen Raubökonomie trifft die Sache eher.

Wegen Amtsmissbrauchs, Mordes und Korruption, Entführung und Wahlfälschung soll dem früheren Präsidenten deshalb nun in Belgrad der Prozess gemacht werden. »Ein Schritt in die richtige Richtung«, hieß es nach der Verhaftung in den Hauptstädten des Westens. Die Gelegenheit, mit Milosevic auch das über ein Jahrzehnt lang renitente serbische System auf die Anklagebank des Uno-Kriegsverbrechertribunals zu zerren, will sich die so genannte internationale Gemeinschaft natürlich trotzdem nicht entgehen lassen: Den Haag, nicht Belgrad, sei der richtige Ort, um über die Verantwortung der serbischen Führung für die Kriege auf dem Balkan zu urteilen. Wohl nicht zuletzt deshalb, weil in einem solchen Prozess die internationale Mitschuld an der Verlängerung der Kriege in Bosnien und Kroatien auch juristisch endlich ad acta gelegt werden könnte.

Nicht zu sprechen von der Bombardierung Jugoslawiens 1999. Seit dem Ende des 78-tägigen Nato-Kriegs wartete man in Berlin, Brüssel, Washington und London ohnehin nur noch darauf, seine Früchte zu ernten. Eine Schlappe wie 1991 im Irak, als die Truppen Saddam Husseins vernichtend geschlagen wurden, der zum Oberschurken Ernannte aber an der Macht bleiben konnte, wollte man sich nicht noch einmal leisten.

Mit dem Kopfgeld aus Washington - zig Millionen Dollar US-amerikanischer Finanzhilfe sind weiter an die Kooperation mit Den Haag gebunden - haben die Menschenrechtsimperialisten bereits Erfolg gehabt. Der zweite Schritt aber, die Bestrafung von Milosevics Untaten durch das Kriegsverbrechertribunal, könnte ungleich schwerer fallen. Setzt es doch die Bereitschaft der neuen Führung in Belgrad voraus, eine weitaus engere Zusammenarbeit mit den Komplizen des Nato-Krieges einzugehen, als sie der Prozess gegen Milosevic im eigenen Land bedeutet.

Daher verwundert es nicht, dass die Chefanklägerin des Tribunals, Carla del Ponte, bereits am Wochenende forderte, der Uno-Sicherheitsrat müsse erneut Sanktionen gegen Serbien verhängen, sollte Belgrad sich weigern, Milosevic auszuliefern. Die Drohung, die gleichen Maßnahmen zu ergreifen, mit der Serbien schon über ein Jahrzehnt lang für die Verbrechen einzelner Poltiker und Militärs bestraft wurde, zeigt: Was Recht ist und was nicht, entscheidet auch nach der Verhaftung Milosevics kein Gericht, sondern jenes internationale Ordnungsregime, das bereits die Protektorate im Kosovo und in Bosnien installiert hat. Etwas anderes zu behaupten, wäre eine Lüge.