Debatte um Integration

Sprachkurse für Ruderer

In der Einwanderungsdiskussion wird der Ton schärfer. Wer bleiben will, muss sich integrieren.

Die Vorsitzende des Paritätischen Wohlfahrtsverbands Barbara Stolterfoht war es, die in der vergangenen Woche die Sorge von Bevölkerungswissenschaft, Zuwanderungskommission und Wirtschaft treffend ausdrückte: Das Boot sei bald so leer, »dass wir niemanden mehr zum Rudern haben«.

Vermutlich war ihr nicht bewusst, dass sie mit dieser Äußerung MigrantInnen mit Galeerensklaven gleichsetzt, was allerdings so falsch nicht ist. Jedenfalls wurde in der seit über zwei Wochen andauernden Integrationsdebatte deutlich, dass MigrantInnen nicht nur wie schon seit Jahrzehnten ihre Arbeitskraft der deutschen Wirtschaft zur Verfügung stellen sollen. Sie sollen sich auch in Sprache, Kindererziehung, PartnerInnenwahl und Altersversorgung, also im Bereich gesellschaftlicher Reproduktion, völlig auf die deutsche Mehrheitsgesellschaft einlassen, um so unauffälliger und besser verwertbar zu sein. Denn die Wirtschaft braucht inzwischen immer weniger unqualifizierte, kaum Deutsch sprechende Arbeitskräfte, die man früher als so genannte GastarbeiterInnen ins Land holte.

Jahrzehnte lang sollten ArbeitsmigrantInnen sich hier nicht wirklich zu Hause fühlen, sondern nach der Erwerbstätigkeit wieder in ihre Herkunftsländer verschwinden. Schon deshalb erhielt der Nachwuchs nicht automatisch die deutsche Staatsbürgerschaft. Nun, da Zuwanderung immer stärker als ökonomische Notwendigkeit betrachtet wird, erklären PolitkerInnen und Zeitungen den MigrantInnen, dass sie alles falsch gemacht hätten.

Fachleute wie die Berliner Ausländerbeauftragte Barbara John werfen besonders den türkischen BerlinerInnen vor, sich nicht ausreichend zu integrieren. 42 Prozent der erwerbstätigen TürkInnen in der Hauptstadt seien arbeitslos gemeldet. Weil, wie ja auch Kanzler Gerhard Schröder mit seiner »Faulen«-Schelte deutlich machte, Arbeitslosigkeit prinzipiell selbst verschuldet ist, lässt sich eine Erklärung schnell finden: Schlechte Sprachkenntnisse seien der Grund für geringe Qualifikation und fehlende Arbeit.

Für die fehlenden Sprachkenntnisse sind natürlich auch wieder die MigrantInnen selbst verantwortlich, denn Fernsehen, Reisen und Telefon verbänden sie zu stark mit der Türkei. Abhilfe verspricht da nur die Weitergabe deutschen Kulturgutes: Türkische Mütter sollten mit ihren Kindern doch deutsche Lieder singen, sagte John der Welt am Sontag. Eine weitere Verfehlung der hier lebenden TürkInnen sei es, Geld in die Türkei zu schicken und es dort in Immobilien anzulegen, anstatt für die kostspielige Ausbildung der Kinder zu sparen.

Im völligen Widerspruch zur weltberühmten deutschen Offenheit steht auch der Aufenthalt und die Arbeit von MigrantInnen an Orten, an denen sich nur Menschen mit gemeinsamer Herkunft finden; »ethnische Nischenwirtschaft« und »Selbst-Gettoisierung« nennt das der Berliner Tagesspiegel. Dessen Chefredakteur Giovanni di Lorenzo empört sich auch über die »soziale und kulturelle Rückständigkeit« der EinwanderInnen, die unter anderem daran ablesbar sei, dass viele in Berlin lebende türkische Männer Frauen aus der Türkei heiraten. Das alles passt nicht in ein Integrationskonzept, das sich am besten mit Eindeutschung übersetzen lässt, wobei der deutsche Pass nicht etwa am Anfang, sondern erst als abschließende Belohnung vergeben wird.

Die Integration soll mittels Integrationspaketen und Integrationsverträgen gelingen, die ein Bundesintegrationsgesetz festlegt. So jedenfalls lautet der jüngste Vorschlag der Arbeits- und SozialministerInnen der Bundesländer. Sie wollen den »bleibeberechtigten« AusländerInnen wie schon den SpätaussiedlerInnen das Recht auf Sprachkurse zugestehen. Aber wehe denen, die von diesem Recht keinen Gebrauch machen! Die Integrationsverträge werden zurzeit im Modellversuch an SpätaussiedlerInnen getestet. Dabei verpflichten sich die MigrantInnen, Sprachkurse, individuelle Beratung und Fortbildungsstätten zu besuchen und »aktiv« an ihrer Integration mitzuwirken.

Das Ganze steht unter dem bereits aus der Arbeitsmarktpolitik bekannten Motto »fördern und fordern« und hört sich natürlich viel besser an als die Pläne des nordrhein-westfälischen Innenministers Fritz Behrens (SPD), der allen, die nicht brav ihre Sprachkurse besuchen, das Wohngeld kürzen oder politisch konsequent gleich die Aufenthaltsgenehmigung entziehen will. Das CDU/FDP-regierte Baden-Württemberg hat ähnliche Pläne.

Aber die Bundesregierung favorisiert den sanften und grundgesetzkonformen Zwang. So wirbt die Bundesausländerbeauftragte Marielusie Beck (Bündnis 90 / Die Grünen) schon länger für ein System mit dem großartigen Namen »Willkommen Integrationsschecks für Neuzuwanderer« - programmatisch abgekürzt: WIN. Die Schecks berechtigen zu verschiedenen Sprachkurs- und Beratungsmodulen, also Bausteinen, die flexibel und individuell kombiniert werden sollen. Wer das Angebot annimmt, darf, so steht es in Becks Programm, mit »aufenthalts- und arbeitsgenehmigungsrechtlichen Zugangserleichterungen« rechnen, »die geeignet sind, Integration zusätzlich zu befördern«.

Kein Wunder, dass jene, über die da ständig geredet wird, das Wort Integration nicht mehr hören können. Safter Cinar, den Sprecher des Türkischen Bundes Berlin Brandenburg, stört vor allem, dass die deutsche Sprache das Hauptkritierium sein soll. »Integriert ist doch, wer hier lebt und einigermaßen zurechtkommt.« Die Pflege der Muttersprache sei nicht, wie allseits behauptet, desintegrativ, sondern vielmehr integrationsfördernd. Schließlich würden viele Eltern mit ihren Kindern bis zur Einschulung auch deshalb Türkisch sprechen, weil sie Angst hätten, den Kindern würde diese Sprache sonst völlig fremd. Und der Bundesausländerbeirat setzt sich neuerdings ebenfalls für Sprachförderung ein: Deutsche PolitikerInnen sollten Türkischkurse besuchen.

Noch deutlicher erklärt der Paritätische Wohlfahrtsverband, wie selbstverständlich Mehrsprachigkeit sein sollte. Deutschland sei eine multilinguale Gesellschaft mit der Verkehrssprache Deutsch. Der Verband plädiert dafür, Sprachkurse auch den Menschen anzubieten, die sich nur zeitweilig in Deutschland aufhalten. Doch diese Idee widerspricht wohl nicht nur dem Gesellschaftsbild, sondern auch der Kosten-Nutzen-Rechnung der Regierung. Ihre Zuwanderungskommission will die MigrantInnen, wie es in einem Bericht in der neuesten Ausgabe des Spiegel heißt, in Zukunft in vier verschiedene Kategorien aufteilen, deren Integration dann vermutlich unterschiedlich stark »gefördert und gefordert« wird.

Neben dem Daueraufenthalt gibt es da den temporären Aufenthalt, den ebenfalls zeitlich begrenzten Aufenthalt aus humanitären Gründen und das politische Asyl, das - in seiner stark beschnittenen Form - vorerst erhalten bleiben soll. Ausländischen Fachleuten will die Kommission nach kanadischem Vorbild dann einen Daueraufenthalt genehmigen, wenn sie mit Alter, Sprachkenntnissen und Berufserfahrung möglichst viele Punkte gesammelt haben. Um die angebliche »Integrationsfähigkeit« der deutschen Gesellschaft nicht zu überfordern, plädiert die Zuwanderungskommission dafür, zunächst nur 10 000 hoch qualifizierte Fachleute ins Land zu holen.

Dabei allerdings könnte sie Schwierigkeiten mit der Wirtschaft bekommen, die schon jetzt andere Aufnahmemodi verlangt. Erst vergangene Woche rügte der Bundesverband des Deutschen Groß- und Außenhandels die siebenjährige Übergangsregelung, die die Bundesregierung soeben für die EU-Osterweiterung durchgesetzt hat (siehe auch Seite 14). Gerade wenig qualifizierte StellenbewerberInnen seien in Deutschland kaum zu finden, so Verbandspräsident Anton Börner. Er hätte gerne eine »Greencard für alle« - und gleichzeitig keine Mindestlöhne. Ein paar richtige Galeerensklaven braucht das deutsche Boot eben auch noch.