Kritik am Kosovo-Krieg

Unbekannt verzogen

Unerhörtes hat sich zugetragen, aber kaum einer weiß davon. Bis zum Osterwochenende unterrichtete von allen großen Zeitungen allein die Süddeutsche am 11. April ihre Leser, der Bedeutung des Vorfalls angemessen auf der Titelseite. Die Überschrift lautete: »Friedensforscher auf dem Kriegspfad«. Das mit öffentlichen Geldern finanzierte Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg, zu dessen Mentoren u.a. der SPD-Sicherheitsexperte Egon Bahr gehört, hatte einige unpopuläre Dinge thematisiert. Zum zweiten Jahrestag der Nato-Luftangriffe gegen Serbien richteten Dieter S. Lutz und Reinhard Mutz, die Direktoren der Einrichtung, einen offenen Brief an die Mitglieder des Bundestags.

Bezugnehmend auf die jüngere Diskussion um die Hintergründe und Auswirkungen der Nato-Aktion (Jungle World, 13/01), enthielt das Schreiben harte Vorwürfe. Die Interventionsstaaten hätten, »indem sie das Recht in die eigene Hand nahmen, einen rechtswidrigen Angriffskrieg geführt«. In eklatanter Weise verletzt worden seien das Völkerrecht, der Nordatlantikvertrag der Nato sowie - durch den Teilnahmebeschluss des Bundestages - das deutsche Grundgesetz. Hierzulande mache sich »das Gefühl breit, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit stünden je nach Belieben zur Disposition der jeweiligen politischen Machthaber«.

Auch unter »Effizienzkriterien« sehen die Friedensforscher in der Intervention keinen Erfolg. Die Verhandlungen von Rambouillet hätten den Serben einen nicht akzeptablen »Diktatfrieden« aufzwingen sollen, die OSZE-Vermittlungsmission sei ungenügend unterstützt worden und Frieden für das Kosovo sei nicht in Sicht. Zudem finden sie heute die »Befürchtung«, die Nato habe sich in dem Konflikt »sehenden Auges zum Instrument einer auch mit den Mitteln von Terror und Mord nach Unabhängigkeit und Macht strebenden UCK gemacht, zumindest aber machen lassen«.

Mit einem Blick auf das »Massaker von Racak«, das »KZ von Pristina« oder den von Rudolf Scharping erfundenen »Hufeisenplan« fragen Lutz und Mutz: »Ist der mittlerweile weitverbreitete Eindruck wirklich berechtigt, gerade in Deutschland sei die gezielte Manipulation der Öffentlichkeit am erfolgreichsten gelungen, weil am meisten übertrieben und am stärksten getäuscht wurde?«

Wie reagierte man in Berlin auf das Schreiben? Die PDS beglückwünschte Lutz augenblicklich; der SPD-Fraktionschef Peter Struck dagegen zeigte sich empört. Der Brief enthalte »schwerste Anschuldigungen« gegen Regierung und Parlament, »bis hin zu kaum erträglichen Verleumdungen«. Entsprechend erkannte Strucks Stellvertreter Gernot Erler in dem Brief mehrere Fälle »einseitiger und tendenziöser Fakteninterpretation«. Die anderen Parteien haben noch nichts verlauten lassen, für die Union arbeitet der außenpolitische Sprecher Karl Lamers an einer Stellungnahme.

Betrachtet man die jüngere Geschichte der etablierten Friedensforschung, ist die Stellungnahme aus Hamburg in Ton und Inhalt ziemlich ungewöhnlich. Während der vergangenen Jahre hatte man sich bei maßgeblichen Politikern beliebt gemacht, indem man gewohnheitsmäßig vor Aufrüstung warnte, eine stärkere Förderung der zivilen Konfliktprävention verlangte und Expertisen über die unheilvolle militärische Dominanz der USA anfertigte. Für diese harmlos pseudokritische Begleitmusik zur Militärpolitik der Bundesregierung wurde allein das Hamburger Institut von Rot-Grün mit insgesamt einer Million Mark belohnt. Deshalb dürfte die weitere Diskussion über diese Angelegenheit recht lustig werden. Wenn es eine gibt. Im Moment sieht es eher so aus, als seien die Adressaten des Briefs unbekannt verzogen.

Wortlaut des offenen Briefes unter: uni-hamburg.de