Berlusconis Wahlkampf in Italien

Ein ehrenwerter Mann

Silvio Berlusconi wird im italienischen Fernsehen der Korruption beschuldigt. Seiner Popularität schadet das nicht.

Noch sind die Parlamentswahlen am 13. Mai in Italien nicht entschieden. Weniger deshalb, weil die regierende Mitte-Links-Koalition des Ulivo (Olivenbaum) auf einmal die Publikumsgunst erobert hätte. Aber das italienische Wahlrecht, mit dem alle Parteien unzufrieden sind, ist sehr kompliziert. Ein Viertel der Sitze wird nach dem Verhältniswahlrecht, drei Viertel werden nach dem einfachen Mehrheitswahlrecht gemäß einem komplizierten Berechnungsverfahren vergeben.

In der Tat erhielt die Rechte bei den Wahlen 1996 die meisten Stimmen, aber nur eine Minderheit der Mandate. Damals war sie unabhängig von der Lega Nord angetreten, während der Ulivo ein Wahlbündnis mit der Rifondazione comunista abgeschlossen hatte. Diesmal ist es umgekehrt. Letztlich werden eine Handvoll unsicherer Wahlkreise entscheiden.

Aber nicht nur der gescheiterte »Nichtangriffspakt« mit Rifondazione behindert die Regierungskoalition, sondern auch ihr eigener Bewerber um das Ministerpräsidentenamt, Francesco Rutelli, der niemandem recht gefällt. Hieße der Kandidat heute noch Romano Prodi, würde sie wohl besser dastehen. So mancher eigentlich konservative Wähler, der letztes Mal den vertrauenserweckenden Prodi vorzog, fühlte sich getäuscht, als dieser nach zwei Jahren durch den ehemaligen Kommunisten Massimo D'Alema ersetzt wurde, und wird deshalb diesmal wieder Silvio Berlusconi wählen.

Rutelli versucht vergeblich, mit Berlusconi als Einschmeichler zu konkurrieren. Ein schönes Kompliment bekam er von seinem Gegner nach einem Auftritt in einer Talkshow: »Wenn ich nicht Berlusconi wäre, sähe ich keinen Grund, Rutelli nicht zu wählen.« Der Ex-Grüne und Ex-Radikale Rutelli weicht dem Thema Genmanipulation aus und will den Katholiken bei der Frage der Abtreibung »entgegenkommen«. Seine Anbiederung an der Mitte nützt ihm aber nicht viel: Als sich beide Kandidaten auf der Tagung des Industrieverbandes vorstellten, wurde Berlusconis Rede achtzehn Mal von Beifall unterbrochen, Rutellis einmal.

Was vor allem im Ausland sicher am meisten überrascht, ist nicht die Tatsache, dass rund die Hälfte der italienischen Wähler Rechtsparteien bevorzugt, und auch nicht, dass die früher ausgegrenzte extreme Rechte nach ein paar kosmetischen Operationen heute akzeptiert wird. Denn das ist auch anderswo so. Das Erstaunliche ist, dass eine so windige Figur wie Berlusconi nach sechs Jahren Opposition beste Chancen hat, wieder zum Ministerpräsidenten gewählt zu werden.

Seine Forza Italia wird höchstwahrscheinlich die stärkste Partei werden. Ihre Wähler hängen aber im Allgemeinen - anders als die Wähler der Alleanza Nazionale und der Lega Nord - keiner geschlossenen rechten, xenophoben, neoliberalen oder anders gearteten Ideologie an. Sie schenken ihr Vertrauen vielmehr ausdrücklich der Person Berlusconi.

Dabei verblüfft der Realitätsverlust: Seine Fans schreiben ihm das genaue Gegenteil seiner tatsächlichen Eigenschaften zu. Mag der »Cavaliere« auch seinen Kritikern als Verkörperung aller traditionellen Laster Italiens vorkommen, so erhoffen sich seine Anhänger, dass er endlich die Dinge wirklich in Bewegung bringt und veraltete Strukturen aufbricht.

Entbürokratisierung, Steuersenkungen und -vereinfachungen werden von ihm erwartet. Dass seine Regierung 1994 die Kühlschranksteuer abschaffte, rechnen ihm noch heute viele hoch an. Jemand, der sich aus eigenen Kräften ein Wirtschaftsimperium aufgebaut habe, sei auch in der Lage, das Land wieder flott zu machen.

Aber der von der Linken stets beschworene Interessenkonflikt, wenn der zweitgrößte Unternehmer des Landes an der Regierung ist, wird mit dem Argument bestritten, weil er schon so reich sei, habe Berlusconi es nicht nötig, Politik zu betreiben, um sich zu bereichern. Er habe ja sogar auf staatliche Leibwächter und Hubschrauber verzichtet, stattdessen seine eigenen benutzt und so staatliche Gelder gespart.

Seine Prozesse wegen Bilanzfälschung und Bestechung? Alle Unternehmer seien gezwungen zu bestechen, sonst bekämen sie keine öffentlichen Aufträge, und die Bilanz zu fälschen, sonst erstickten sie unter der Steuerlast. Die Unternehmer seien Opfer, nicht Urheber der öffentlichen Korruption; diese in einem Land, in dem es mehr Selbstständige als Arbeitnehmer gibt, gern zitierte Behauptung kommt auch Berlusconi zugute.

Das bis jetzt einzige Ereignis des ansonsten müden Wahlkampfs war eine große Polemik, nachdem das öffentliche Fernsehen Rai ausführlich das Buch »L'odore dei soldi« (»Der Geruch des Geldes«) von Marco Travaglio und Elio Veltri über Berlusconis Geschichte vorgestellt hatte, von dem 200 000 Exemplare verkauft wurden.

Zwar waren die darin enthaltenen Informationen vorher nicht unbekannt, aber hier werden sie in gebündelter Form dem großen Publikum vorgestellt. Vor allem werden die Gerichtsuntersuchungen erwähnt, die gegen Berlusconi und seinen sizilianischen Statthalter Marcello Dell'Utri, der bereits verhaftet wurde, wegen des Verdachts eingeleitet wurden, mit der Mafia kollaboriert und Kokainhandel betrieben zu haben. Sie sollen sogar mit der Ermordung des Mafia-Richters Paolo Borsellino 1992 und den der Mafia zugeschriebenen Attentaten im Sommer 1993, die mehrere Menschenleben kosteten, zu tun gehabt haben.

Das Buch beschreibt auch einige von Berlusconis raffinierten Schachtelsystemen beim Aufbau seiner Firmen. Es vermag allerdings keine wirkliche Antwort auf die Frage zu geben, wie es Berlusconi gelungen ist, sein Firmenimperium aus kleinen Anfängen zum nach Fiat größten Unternehmen Italiens zu machen.

Skrupellosigkeit, ein Riecher für neue Entwicklungen, Verbindungen zur Politik, die Beteiligung an geheimen Seilschaften wie der Freimaurerloge P2, mögliche Verbindungen zur Mafia: das alles gilt auch für Hunderte anderer Unternehmer. Es bleibt ungeklärt, wer dem Mailänder Bauunternehmer Berlusconi seinen beispiellosen Aufstieg ermöglicht hat. Es hätte jedenfalls kaum gelingen können ohne den Pakt mit dem Sozialistenchef Bettino Craxi, der es Berlusconi in den achtziger Jahren erlaubte, ein Quasi-Monopol im damals entstehenden überregionalen Privatfernsehen zu erwerben.