Besoldungsreform an den Hochschulen

Humboldt wird gemobbt

Die geplante Besoldungsreform an den Hochschulen erneuert die alten Privilegien der Professoren.

Dass die deutsche Universität »im Kern verrottet« sei, war schon vor zehn Jahren keine neue Einsicht. Bezeichnenderweise aber zog Dieter Simon dieses Fazit erst, nachdem er sein Amt als Vorsitzender des Wissenschaftsrats Anfang der neunziger Jahre abgegeben hatte. Zu einem Zeitpunkt also, als es dem Gremium, das diese Zustände fördert, ohnehin nur noch um die Entsorgung der verrotteten Reste ging.

Was aber tun die deutschen Universitätslehrer und die immer noch verschwindend wenigen Universitätslehrerinnen nach einem Jahrzehnt der Debatten über Hochschulreform und -reaktion? Hirnlos verteidigen sie ihre schmalen Privilegien. So bewiesen Ende März stolze 3 759 Professoren mit einer vierseitigen Großanzeige in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, dass sie ihren Beruf als Hochschullehrer am besten nicht ausüben sollten.

Denn mit ihrem Plädoyer für eine Dienstrechtsreform - kurz gesagt geht es dabei um mehr Geld für Spitzen-Professoren, für Junior-Professoren und den besten Nachwuchs - setzen sie sich dafür ein, die Universitäten einzurichten für das, was gerade marktgängig ist.

Die Kampagne des stockkonservativen Deutschen Hochschulverbandes gegen das von Bildungsministerin Edelgard Bulmahn (SPD) geplante Gesetz zur Reform des Besoldungssystems zeigt, dass die lange Tradition der Selbst- und Fremdtäuschung an den deutschen Hochschulen keinen Bruch erfahren hat. Was die Pläne Bulmahns mit dem Mobilisierungsversuch der Professoren-Lobby verbindet, ist die Verschleierung nötiger Einsichten sowie die Verhinderung nötiger struktureller Reformen. Beiden Seiten geht es hinter aller Reform-Rhetorik vor allem darum, den deutschen Professoren ihren Beamtenstatus zu sichern und eine Besoldungsreform durchzuführen, die nichts kostet. Bei der Verteidigung alter Privilegien treffen sich die Ministerin und die Hochschullehrerschaft wieder.

Nicht zuletzt der Umstand, dass Professoren und Ministerialbürokratie jahrzehntelang so taten, als gelte das Humboldtsche Bildungsideal noch, hat dafür gesorgt, dass dessen bester und wichtigster Bestandteil - ein auf das Reifen der Persönlichkeit bezogenes Bildungsverständnis - zu Discountpreisen verschleudert worden ist.

Um Gründe für diesen Ausverkauf zu finden, muss man nicht einmal auf die NSDAP-Mitglieder und -Sympathisanten unter den Hochschullehrern zwischen 1933 und 1945 verweisen. Vielmehr hatte die Ausdifferenzierung der Wissenschaft und ihre praktische Umsetzung in Wirtschaft, Politik und Militär schon in der Weimarer Republik das Humboldtsche Wissenschaftsverständnis fundamental ausgehöhlt und damit das humanistische Erbe der deutschen Universität gründlich zerstört.

Wirklich verwundern kann es daher nicht, dass ein Kreis von Hochschullehrern 1948 das Credo des ehemaligen preußischen Kultusministers Becker wiederholen konnte, ohne rot zu werden: »Die deutsche Universität ist im Kern gesund.«

Aber auch nach dem Aufbruch von 1967 ist die ablehnende Haltung gegenüber strukturellen Reformen nur hier und da ein wenig gestört worden; durch alle möglichen Reformen ist die lange Kontinuität der Selbsttäuschung über die Zustände an den Unis seitdem längst wiederhergestellt worden. So konnte es - und kann es weiter - geschehen, dass die Universität zum Synonym für eine enteignete, bürokratisch ausdifferenzierte Anstalt hochgradig abhängiger Quasi-Wissenschaften geworden ist, an der Jahr für Jahr immer wieder neu auf eine Weise herumgedoktert wird, als wäre sie »im Kern gesund«.

Das jedoch, was an Humboldts Vorstellungen zu retten wäre, würde durch eine auf die Förderung von vermeintlichen Spitzenkräften gepolte Dienstrechts- und Bildungsreform vollends zerstört. Wissenschaftliche Forschung, die auslotet, wie scheinbar disparate Probleme und Daten zusammengebracht werden können und so zur allgemeinen, letztlich politischen Urteilskraft beiträgt, muss deshalb zwangsläufig auf der Strecke bleiben. Das Gerede von der nötigen Interdisziplinarität und dem Praxisbezug der Wissenschaft ist auf diese Weise verurteilt, Geschwätz zu bleiben und die Schwelle zu einer demokratischen und menschenrechtlichen Orientierung innerhalb der so genannten technisch-wissenschaftlichen Welt nicht zu überschreiten.

Vielmehr bleiben Flexibilisierung und Mobilisierung gerade in der rot-grünen Bildungspolitik Trumpf; mit der äußeren Ökonomisierung der Wissenschaften korrespondiert die innere. Deshalb stehen mit der vorgesehenen Abschaffung des Normalstudiums und der als Modularisierung bezeichneten Vereinheitlichung universitäter Lehr- und Lernprozesse die Angleichung des Wissenschaftsbetriebs an die Fertigbackanstalten etwa der Kamps-Bäckereien bereits als nächstes auf dem Programm der Bundesbildungsministerin und ihrer Kollegen in den Ländern.

Auch bei der geplanten Reform der so genannten wissenschaftlichen Evaluation soll die Qualität der Wissenschaft primär an ihrem Beitrag zur kapitalistischen Profitabilität gemessen werden. Sekundär ist, ob sie einen Kapitalismus mit menschlichem Antlitz erlaubt.

Natürlich kann man von niemandem erwarten, eine Universitätsreform vorzulegen, die die bestehende Ausdifferenzierung der Einzelwissenschaften einfach aufhöbe oder drastisch zurückschnitte. Auch das ökonomische Kalkül lässt sich nicht einfach aus den Lehrsälen vertreiben, wenn es darum geht, möglichst alle Mitglieder einer Gesellschaft langfristig auszubilden, damit sie in einer unübersichtlicher gewordenen Welt ein Stück selbstbewusster Urteilskraft erwerben.

Indes wäre es alle Anstrengungen wert, die oben beschriebenen Entwicklungen institutionell zumindest auszubalancieren, das heißt, sie mit Gegengewichten und Quersichten zu versehen.

Doch Bulmahn, wie auch dem Hochschulverband, scheint nicht einmal zu dämmern, dass ihr ökonomisch begründeter Ausverkauf über kurz oder lang gesellschaftlich verdummende Folgen zeitigt. Gerade wer in ökonomischen Kategorien denkt, sollte die aktuelle Ökonomisierung als das Kontraproduktivste erkennen, was man sich vorstellen kann.