»Idiology« von Mouse On Mars

Ideologie ist für Idioten

Mouse On Mars sind die Niedlichen.

Leo Gärtner: Mouse On Mars: Was wissen wir über die?

Walt Voss: Das sind zwei Jungs aus Köln, die machen seit einer ganzen Weile Musik, so eine Mischung aus allem. Dafür einen Begriff zu finden, ist schwierig - irgendwie ist es electronica. Damit sind Mouse On Mars ziemlich erfolgreich, weniger in Deutschland allerdings, aber in der Jahres-Bestenliste der New York Times vom vergangenen Jahr waren sie auf Platz 7. Ihre Sachen veröffentlichen sie auf ih-rem eigenen Label, und sie haben auch was mit einem Plattenladen zu tun, der alles Mögliche verkauft, auch Avantgarde-Musik. In einem Wort: Mouse On Mars sind die Guten.

Gärtner: Wie - die Guten?

Voss: Naja, das sind die, die alles richtig machen. Die, die die Werte dessen, was irgendwann mal Underground hieß, dorthin gerettet haben, wo heute alle stehen, die es gerne hätten, dass es wieder so was gibt wie einen Underground, aber die zu schlau sind, um sich in die Tasche zu lügen und zu sagen: Gibt's doch, hier bei uns. Die also deshalb gut finden, was nach Underground aussieht.

Gärtner: Also sind sie doch nicht so richtig die Guten.

Voss: Eher die Niedlichen. Mäuse auf dem Mars. Kleine süße Tierchen, die sich spielerisch durch eine merkwürdige, undurchschaubare Umgebung bewegen. Eine Umgebung, die manche für feindlich halten, man brauchte schließlich die ganze Technik, von der Erde zum Mars zu kommen, aber für die Mäuse ist es ein Spielfeld. Vielleicht waren sie auch die Labormäuse, die nach dem Absturz des Raumschiffs übrig geblieben sind, oder sie waren die Mäuse, die immer überall sind, so wie die Ratten an Bord von Segelschiffen. Die sind niedlich. Aber niedlich in so einem Sinne, wie »Die Niedlichen« von Felix Reidenbach niedlich war.

Gärtner: Die sehen ja auch putzig aus. Mit den wuscheligen Haaren und dem ernsten Blick.

Voss: Wann immer man Interviews mit denen liest oder Artikel über die, da steht dann immer, dass die so sympathisch sind, dass man sich so gut unterhalten kann mit denen, ich habe immer das Gefühl, die finden alle so toll, weil die einem selbst so ähnlich sind. Offen, interessiert, all das.

Gärtner: Und das findest du nicht gut?

Voss: Nee. Irgendwie nicht. Das ist mir zu hippiesk, um ehrlich zu sein.

Gärtner: Hippiesk? Find ich gar nicht.

Voss: Klar ist das hippiesk. Voll Krautrock. Wie in so einer WDR-Dokumentation aus den Siebzigern, die ich neulich mal gesehen hab. Da saßen lauter bärtige Typen auf mittelalterlichen Burgen und haben schreckliche Musik gemacht, und das war alles irre bedeutungsschwanger.

Gärtner: Da gehen jetzt aber zwei Sachen durcheinander. Die Musik mag sich in so einer Krautrock-Tradition bewegen, aber die Haltung ist doch eine ganz andere. Das ist doch überhaupt nicht bedeutungsschwanger. Mouse On Mars werfen doch eher kleine Skizzen hin. Mit Werk und Wichtigkeit und diesem ganzen Kram haben die doch gar nichts zu tun, das ist doch unabgeschlossen, was die machen.

Voss: Ja, aber heute sind Werke nun mal unabgeschlossen. Wer ernst genommen werden will, wird sich kaum hinstellen und noch mal das klassische Kunstwerk neu erfinden, das muss doch alles weich und offen und netzwerkkompatibel und unabgeschlossen sein. Gerade an dieser Schnittstelle zwischen Kunst und Pop.

Gärtner: Wenn du die Platte anmachst, ist erst mal zehn Sekunden Pause. Du hörst gar nichts. Stille als Anfang.

Voss: Ja. Genau, da siehst du, wie die das machen. Von wegen Skizze. Das ist eine Pause wie ein Gemälde. Dafür haben die bestimmt Tage gebraucht, sich zu überlegen, ob das nun acht Sekunden lang sein muss oder zwölf oder zehn.

Gärtner: Und wo ist das Problem?

Voss: Das ist Schnickschnack. Das ist mir zu kunstgewerblich.

Gärtner: Das ist doch Blödsinn, Du kannst doch nicht, nur weil nach und nach die Arbeiterklasse, die Jugendlichen und alle anderen Subjekte den Bach runtergegangen sind, dich jetzt hinstellen und sagen, nichts geht mehr, bleibt mir alle vom Hals mit euren Entwürfen, ich hör jetzt nur noch Musik aus der Zeit vor der Ölkrise. Nur weil du glaubst, zu schlau zu sein, noch an den Underground zu glauben, kannst du doch nicht die Versuche, sich korrekt zu verhalten, in die Tonne hauen.

Voss: Eine bestimmte Form von kunstgewerblicher Unverbindlichkeit muss halt nicht sein. Oder was glaubst du, warum die Platte »Idiology« heißt. Dass kann doch nur bedeuten, Ideologie ist für Idioten, und wir machen jetzt ganz ideologiefrei das, was wir für richtig halten, geben uns dem Zufall anheim, spielen mit den Geräten, und das sollen wir uns jetzt anhören.

Gärtner: Aber so ist das doch auch. Das ist doch eine klare Sicht der Dinge. Ideologie ist doch auch für Idioten. Was für einen Rest glaubst du denn da retten zu wollen? Dem Zufall zu seinem Recht zu verhelfen, der Verspieltheit, der Unvorhersehbarkeit, dem Kleinen und dem, das sich gegen die Erklärung nicht einmal sperrt, sondern das sich erst einmal jenseits davon bewegt - das ist doch prima.

Mouse On Mars: »Idiology«. Sonig / Our Choice / Zomba