Debatte um Faulheit und Arbeit

Schmarotzer mit Sonnenbrand

Nach Schröders Kampfansage an die Faulheit will nun CDU-Vize Wulff durch eine Liberalisierung der Arbeitslosenversicherung die Erwerbslosen um ihre Stütze bringen.

Wie hätten Sie's denn gern? Mit oder ohne Option auf eine ABM-Stelle? Darf's auch ein unterqualifizierter Job sein? Und wie sieht's mit der Bezahlung aus? Kommen Sie in den ersten vier bis acht Wochen der Arbeitslosigkeit auch ohne Knete klar?

Geht es nach den Vorstellungen des stellvertretenden CDU-Vorsitzenden Christian Wulff, dann droht der Arbeitslosenversicherung bald, was in der Renten- und Gesundheitspolitik schon durchgesetzt ist: die Liberalisierung bislang sozialstaatlich garantierter Leistungen und die Abschaffung des Solidarprinzips. Geht es nach dem Unionspolitiker, werden Arbeitnehmer demnächst nur noch zu einer Mindestabsicherung verpflichtet sein.

Die Idee des Unionspolitikers: Nur noch eine Mindestsicherung soll versicherungspflichtig bleiben. Für den Rest müssen die Beitragszahlenden auf freiwilliger Basis sorgen. Je nach Risikoeinschätzung sollen sie dann in die Kasse einzahlen, was ihnen ihre soziale Sicherheit in arbeitslosen Zeiten wert ist. Dass die Entscheidung nicht ganz freiwillig fallen wird, liegt auf der Hand. Schließlich hätten auch die Arbeitgeber ein Wörtchen mitzureden. Deren Beitrag zum Wulffschen Wahltarif würde, wie bei allen anderen Lohnnebenkosten auch, im gleichen Umfang sinken oder steigen.

Der Vorstoß sorgte für Verärgerung. Zumindest in den eigenen Reihen. Dem designierten Vorsitzenden der CDU-Sozialausschüsse (CDA), Hermann-Josef Arentz, galt der Vorschlag als »der brutalstmögliche Angriff auf 50 Jahre gute Sozialpolitik der Union«. Die Berliner Regierung dagegen reagierte mit Schweigen. Was wenig verwundert, war es doch Bundeskanzler Gerhard Schröder, der mit seiner Kampfansage an Drückeberger und sonstige Leistungsverweigerer den jüngsten Angriff auf die Rechte von Arbeitslosen erst in Gang setzte. Gleichzeitig mit dem Unionspolitiker Wulff hatte vergangene Woche auch der sozialdemokratische Staatssekretär im Arbeitsministerium, Gerd Andres, die Arbeitsscheuen ermahnt. Schließlich will die Regierung noch vor der Sommerpause Änderungsvorschläge für das Sozialgesetzbuch III (SGB III) einbringen, um Arbeitslose in den Niedriglohnsektor und in unqualifizierte Jobs zu zwingen. »Niemand soll sich in der Arbeitslosigkeit einrichten«, erklärte der SPD-Politiker.

Bereits Anfang des Monats hatte Andres konkrete Vorschläge für eine individuelle Betreuung von Arbeitslosen unterbreitet. (Jungle World, 16/01) Jobsuchende und Vermittler sollten demnach einen speziellen Eingliederungsvertrag schließen. Wer die Vereinbarungen ausschlägt, sprich: Jobangebote ablehnt, kann gegebenenfalls die Stütze komplett abschreiben, zumindest aber muss er oder sie mit erweiterten Sperrzeiten rechnen.

Dass solche Maßnahmen schon heute gegen Leistungsverweigerer angewandt werden, ist dem Mann aus dem Arbeitsministerium Walter Riesters natürlich nicht unbekannt. So lässt sich in einer Statistik der Nürnberger Bundesanstalt für Arbeit nachlesen, dass allein im vergangenen Jahr 74 000 Arbeitslose drei Monate lang auf ihr Geld verzichten mussten, 17 000 wurde die Zahlung komplett gestrichen. Und wer sein Geld schon über sieben Monate aus Nürnberg bezieht, für den gilt jede angebotene Tätigkeit als zumutbar. Eine verbindlichere individuelle Betreuung soll nun aber dafür sorgen, so das Kalkül von Andres, dass solche Sanktionen noch gezielter eingesetzt werden.

Zudem will der SPD-Politiker jenseits der staatlichen Verwaltung auch öffentliche Träger, Vereine oder Firmen in die Vermittlung einbeziehen. »Die passen auch auf, dass jemand morgens aufsteht und zum Job geht. So umfassende Sozialbetreuung kann das Arbeitsamt nicht leisten«, frohlockte Andres letzte Woche in der Financial Times Deutschland. Mit der Gesetzesänderung »bekommen wir eine neue Balance zwischen sozialen Leistungen und Pflichten. Dann hat der Arbeitslose einen Anspruch, aber er hat auch gegenüber dem Amt und der Gesellschaft eine gewisse Bringschuld«. Deutlicher hatte es vorher schon Schröder ausgedrückt: »Wer arbeiten kann, aber nicht will, der kann nicht mit Solidarität rechnen.«

Bringschuld? Solidarität? Im Diskurs der Sozialdemokraten um den Zwang zur Arbeit müssen moralische Begrifflichkeiten herhalten, wo mit einem rationalen Blick auf die Wirklichkeit beim besten Willen nichts zu erklären ist. In wessen Schuld sollte etwa ein Malocher stehen, der zwanzig Jahre in die Arbeitslosenversicherung eingezahlt und obendrein in derselben Zeit erheblichen Mehrwert erwirtschaftet hat, von dem er selbst keinen Pfennig zu sehen bekam?

Warum sollte eine ehemals berufstätige Hausfrau, die ohnehin schon doppelte Arbeit fürs halbe Geld geleistet hat, ein geruhsameres Leben auf Kosten des Arbeitsamtes nicht der täglichen Plackerei vorziehen? War es nicht die Regierung selbst, die in den vergangenen Jahren Milliardenbeträge aus der Arbeitslosenversicherung kassierte, um sie in fremde Projekte zu investieren?

Nein, logisch ist das alles nicht, zumal die Erwerbslosen sowieso häufig dazu verdammt sind, die dürftige Stütze durch Schwarzarbeit aufzubessern. Weil aber der positive Bezug auf die Lohnarbeit zum sozialdemokratischen Selbstverständnis zählt, bleibt nur der ideologische Rückgriff auf den Gemeinschaftssinn, auf eine Gesellschaft von vermeintlich gleichen Staatsbürgern, um die Konkurrenzfähigkeit der heimischen Industrie zu sichern und das deutsche Lohnniveau zu senken. Wer es also vorzieht, die tristen Ostertage auf Kosten des Arbeitsamtes im Süden zu verbringen, begeht einen Betrug am deutschen Gemeinwesen. Der »Faulenzer«, in der Berliner B.Z. bezeichnenderweise als braun gebrannter Strandurlauber im Liegestuhl dargestellt, wird jenseits jeglicher Evidenz zum Schädling, zum Schmarotzer.

Die Konsequenzen heißen Kontrolle, Disziplinierung, Strafe. Die Nürnberger Bundesanstalt für Arbeit avanciert so zum Wächter über die oberste Pflicht eines jeden deutschen Staatsbürgers: die ständige Bereitschaft zur Arbeit. Entsprechender Beifall dürfte Riester, Andres und Schröder gewiss sein. Nach einer Untersuchung des Allensbacher Instituts befürworten 72 Prozent der West- und 60 Prozent der Ostdeutschen die Verpflichtung zur gemeinnützigen Arbeit, etwa in städtischen Grünanlagen.

Und trotz aller gegenteiligen Erklärungen von Gewerkschaftern ist die Hälfte der Bevölkerung davon überzeugt, dass viele Arbeitslose nicht arbeiten wollen. Dabei betont selbst Eberhard Mann von der Bundesanstalt für Arbeit, Erwerbslose, die sich um angebotene Jobs drücken, seien eine Randerscheinung. »Sie bestimmen die Arbeitslosigkeit nicht«, sagte er der taz.

Im Gegensatz zur sozialdemokratischen Inszenierung kommt Unionsmann Wulff mit seinem Vorschlag zur Liberalisierung der Arbeitslosenversicherung ganz ohne Moral aus. Nicht Kriterien wie Faulheit oder Solidarität, sondern die rationale Kalkulation eines Leistungsempfängers bestimmen seine Überlegungen. Wer mehr investiert, kann länger kassieren und muss sich folgerichtig nicht so schnell für wenig Geld verkaufen. Wer es sich leisten kann, finanziert die Option auf eine ABM-Stelle gleich mit und kann so sein Anrecht auf Arbeitslosengeld noch ausdehnen, anstatt in die Sozialhilfe abzurutschen.

Diese radikal wirtschaftsliberale Logik bedeutet aber auch, dass jene, die schon jetzt in Niedriglohnsektoren abgestiegen sind, mit jedem Zyklus der Arbeitslosigkeit tiefer sinken und noch schneller bei der sozialhilfefinanzierten Zwangsarbeit landen werden. Was also darunter zu verstehen ist, wenn ausgerechnet der CDU/CSU-Fraktionsvorsitzende Friedrich Merz als Reaktion auf die Schrödersche »Faulenzer-Debatte« vergangene Woche »ein Recht auf Faulheit« einräumte, hat am deutlichsten der Unionspolitiker Arentz zum Ausdruck gebracht: eine »brutale Risikoselektion«.