Otto Schily

Der Staat bin ich

Der Feind steht rechts III. Innenminister Otto Schily will 2002 zurücktreten. Zeit wird's.

Der Amtsantritt war standesgemäß. Im November 1998, keine zwei Monate nach dem Wahlsieg von Rot-Grün, überraschte Otto Schily all die, die sich nach der Ära Manfred Kanthers auf einen liberaleren Bundesinnenminister eingestellt hatten. »Die Grenze der Belastbarkeit Deutschlands durch Zuwanderung ist überschritten«, knüpfte er im Tagesspiegel an die vom CDU-Hardliner immer verfochtene harte Linie an. Aber vielleicht tat er das ja nur, um Zweifel an seiner Befähigung zu diesem Amt von vornherein auszuräumen. Jedenfalls wussten jetzt alle, die vorher nichts Genaues über Schily wussten, dass er die Ansprüche an einen deutschen Innenminister erfüllte.

Seitdem ist es Schily immer wieder gelungen, durch rechtspopulistische Äußerungen in der eigenen Koalition für Unmut zu sorgen. Die Grünen trauten sich nicht, am Stuhl ihres früheren Parteifreunds zu sägen, und der Beifall vom rechten Flügel der SPD oder vom Kollegen Günther Beckstein (CSU) war ihm gewiss: Schily ist der perfekte Innenminister der Neuen Mitte.

Ganz anthroposophischer Freigeist, wehrt er sich gegen »Denkverbote« und »Tabus« in der Asyldiskussion. Meist leitet er seine Offensiven mit einer liberalen Floskel ein, wie etwa in einem Interview mit der Zeit: »Ein Asylsuchender ist kein Schuldiger, der um Gnade bittet.« Es folgte sogleich die Forderung nach einem Eingriff in ein Grundrecht: »Wir müssen uns aber mit Blick auf Europa und auf die europäische Asylrechtsdebatte dem Gedanken öffnen, dass nicht jede Wohltat, die wir einem Menschen zuwenden, einklagbar sein muss.« Kein Wunder, dass Schily auch schon mal laut über die völlige Abschaffung des Asylrechts nachgedacht hat. Und allzu gerne redet er von den »Belastungen«, die durch Zuwanderung entstünden. Die schnelle Rückführung der Kosovo-Flüchtlinge lag ihm stets ebenso sehr am Herzen wie die Kritik an der angeblich mangelnden Integrationsbereitschaft der hier lebenden Ausländer.

Grüne Karrieren haben es eben in sich. Sei es Joseph Fischers Marathon vom Straßenkämpfer zum Außenminister oder Jürgen Trittins Sprung vom Kommunistischen Bund ins Umweltministerium. Die Karriere von Otto Schily bildet da keine Ausnahme. Nur, wie konnte es kommen, dass jemand, der früher Leute aus der RAF verteidigte, heute das Demonstrationsrecht einschränken will? Dass jemand, der selbst an Sitzblockaden gegen die Stationierung von Pershing-Raketen teilnahm, gegen Anti-Castor-Demonstranten das Gesetz mit aller Härte anwenden will?

Otto Schily wurde 1932 als Sohn des Hüttendirektors Franz Schily in Bochum geboren und wuchs in einem von der Anthroposophie Rudolf Steiners geprägten Elternhaus auf. Gerne wird kolportiert, dass die Nationalsozialisten 1941 bei Schilys Eltern Bücher beschlagnahmten. Er studierte Rechts- und Politikwissenschaft in Berlin, stand früh schon dem Sozialistischen Deutschen Studentenbund (SDS) nahe und pflegte Kontakte zu Rudi Dutschke und Horst Mahler. Als Mahler wegen seiner RAF-Mitgliedschaft vor Gericht musste, verteidigte Schily ihn.

Schily war darüber hinaus Vertrauensanwalt von Gudrun Ensslin im Stammheim-Prozess, was ihm die Bezeichnung »Terroristenanwalt« einbrachte. Er war maßgeblich daran beteiligt, dass sich die RAFlerin Katharina Hammerschmidt freiwillig den Behörden stellte. Sie starb nach kurzer Haft an einem Tumor, der möglicherweise im Gefängnis nicht entsprechend behandelt wurde. Im Rückblick sagte Schily über diese Erfahrungen: »Die Erbarmungslosigkeit des Staates hat mich tief getroffen. Der Staat muss doch das Maß bewahren.« Vielleicht hat er aber damals einfach nur begriffen, dass es sich gegen diesen Staat schlecht leben lässt.

Schily wurde aber noch von anderen historischen Ereignissen geprägt. »1956, die blutige Niederschlagung des Ungarn-Aufstandes, das war ein unglaublich wichtiger Einschnitt für mich«, sagte er dem Tagesspiegel. »Wir standen kurz davor, uns auf dem Schwarzmarkt eine Maschinenpistole und einen Jeep zu kaufen, hinzufahren und mitzukämpfen.« Ein paar Jahre später, beim Mauerbau, blieb er dann nicht mehr untätig: »Ich bin mit ein paar Leuten zur Mauer gefahren und habe ausdauernd gehupt.«

1980 trat Schily den Grünen bei. Und da dort alles recht fix ging, saß er bereits 1983 im Bundestag. Von Anfang an zählte er zur Fraktion der Realos und sprach sich für Bündnisse mit der SPD aus und gegen das Rotationsprinzip, das ihn den schönen Bundestagssitz gekostet hätte. Er saß im Untersuchungsausschuss zum ersten CDU-Parteispendenskandal, der Flick-Affäre, und erstattete 1986 Anzeige gegen den damaligen Bundeskanzler Helmut Kohl wegen Verdachts auf Falschaussage.

Schily war der erste Anzugträger der Grünen, und nicht nur deshalb gab es zusehends Konflikte zwischen ihm und seiner Partei. Vor allem sein Reformkurs stieß auf Widerstand. Als er 1989 mit seiner Kandidatur für den Fraktionsvorstand scheiterte, erklärte er seinen Austritt und schloss sich wenig später der SPD an. Dort wurde er Koordinator für Rechts- und Innenpolitik. Nach dem Sieg von SPD und Grünen bei der Bundestagswahl 1998 wurde er schließlich Bundesinnenminister.

Schily bezeichnet sich selbst als »Law-and-Order-Mann«. »Ohne Sicherheit gibt es keine Freiheit«, betont er immer wieder gern. Seine inoffizielle Dienstanweisung lautet: weniger Ausländer, weniger Nazis. Zu diesem Zweck setzte er im letzten Jahr eine Zuwanderungskommission ein, die sich bereits Selektionskriterien und Schikanen für die gefürchteten Zuwanderer ausdenkt. Und damit kein Verdacht aufkommt, gibt es ein passendes Aussteigerprogramm für Rechtsextremisten. So hat Schily den Staat dazu gebracht, dass er wieder Maß hält. Wer eine andere Ausländerpolitik in Deutschland wünscht, kann nur hoffen, dass Schily sein Versprechen erfüllt: »Ich höre 2002 auf, definitiv.«

Nur ein einziges Mal in seiner turbulenten Karriere hat Schily etwas unzweifelhaft sehr Schönes getan. Am Abend der ersten freien Wahl in der DDR im März 1990, als klar war, dass die Ostdeutschen massenhaft die CDU gewählt hatten, sagte er, nach den Gründen für das Ergebnis befragt: »Darum.« Und hielt eine Banane in die Fernsehkameras. Aber wie immer, wenn einem etwas an den Grünen gefallen könnte, kam postwendend die Entschuldigung.