Berlusconi gewinnt Wahlen

Die Nacht der großen Schlange

Nach einer chaotischen Nacht hat Silvio Berlusconis Haus der Freiheit die italienischen Parlamentswahlen gewonnen.

Als in der Nacht zum Montag die ersten Wahlergebnisse bekannt wurden, rasten hupende Autos durch die italienische Hauptstadt. Aus den Fenstern flatterten die rot-weiß-grünen Banner von Forza Italia, die mit ihrem dynamischen Schriftzug den der italienischen Fußballfans sehr ähnlich sind. Diese Art, den Wahlsieg der Partei des rechten Koalitionsführers Silvio Berlusconi zu feiern, war durchaus angemessen; schließlich führt er seine Partei wie einen Fußballclub.

Berlusconis Sieg ist zwar ein Schock für viele Italiener, eine Überraschung ist er nicht. Bis zuletzt führte sein Wahlbündnis Haus der Freiheit in den Umfragen. Und offenbar geben Anhänger der Forza Italia ihre politische Präferenz nur ungern zu, denn die Zahl der Berlusconi-Wähler hat die Prognosen noch bei weitem übertroffen. Ein Drittel der Stimmen zu erlangen, ist in Italien, wo es eine Vielzahl kleinerer Parteien gibt, eine Sensation.

Bereits kurz nach Mitternacht gab ein Sprecher Berlusconis den Sieg des Hauses der Freiheit bekannt. Dabei waren zahlreiche Wahllokale noch gar nicht geschlossen, und erst ein Drittel der Stimmen war ausgezählt. Da die Zahl der Wahllokale aus Ersparnisgründen um ein Drittel reduziert worden war, bildeten sich vor den verbliebenen in vielen Orten lange Schlangen.

Aus dem römischen Innenministerium kam daher am späten Sonntagabend noch die Anweisung, die Öffnungszeiten zu verlängern, was dazu führte, dass die letzten Stimmen erst am frühen Montagmorgen abgegeben wurden. Währenddessen gab es im Fernsehen bereits die ersten Hochrechnungen und Kommentare.

Doch trotz der chaotischen Umstände ist die Rechnung des Cavaliere aufgegangen. Zwar hat der auf seine Person zentrierte Wahlkampf seine Koalitionspartner merklich Stimmen gekostet. Die rassistische Lega Nord, die vor fünf Jahren noch zehn Prozent der Wähler für sich gewinnen konnte, schaffte es diesmal nur knapp über die Vier-Prozent-Hürde. Und auch die postfaschistische Alleanza Nazionale schnitt schlechter ab als erwartet.

Nur Berlusconi ist als strahlender Sieger aus diesen Wahlen hervorgegangen, die er zu einem Referendum für oder gegen sich gemacht hatte. In den Wahlen zur Abgeordnetenkammer lag er mit rund 45 Prozent der Stimmen klar vor seinem Konkurrenten Francesco Rutelli vom Mitte-links-Bündnis L'Ulivo (Olivenbaum), das auf knapp 39 Prozent der Stimmen kam. Und auch im Senat erhielt das Haus der Freiheit die Mehrheit.

In der letzten Woche hatte sich der Oppositionsführer noch einmal zu Höchstleistungen aufgeschwungen. Die ihm gehörenden Privatsender übertrugen seine Wahlauftritte in voller Länge. Als Höhepunkt der Selbstinszenierung präsentierte Berlusconi - ganz Unternehmer auch in Staatsangelegenheiten - in der Fernsehshow »Porta a Porta« einen Vertrag, den er mit den Italienern schließen wolle. Sollte er als Premierminister nicht mindestens vier seiner fünf wichtigsten Programmpunkte (weniger Steuern, mehr Sicherheit, weniger Arbeitslose, höhere Renten, Ausbau der Infrastruktur) verwirklichen, werde er sich nicht zur Wiederwahl aufstellen lassen. Feierlich setzte Berlusconi in Anwesenheit eines Notars vor laufenden Kameras seine Unterschrift unter den in bester Amtssprache gehaltenen Vertrag.

Berlusconis ununterbrochene Medienpräsenz täuschte jedoch darüber hinweg, dass sich der rechte Kandidat während des Wahl-Endspurtes kein einziges Mal den Fragen eines unabhängigen Journalisten stellte. Bei allen Fernsehauftritten stand Berlusconi einem Interviewpartner gegenüber, der in einem der vielen Unternehmen arbeitet, an denen sein Medienimperium beteiligt ist. Doch sogar die zumeist sehr harmlosen Fragen ignorierte der Cavaliere regelmäßig und ließ sich in seiner Wahlpropaganda nicht unterbrechen. Vielleicht ermöglichte er damit einen Ausblick auf kommende Zeiten, wenn der Koalitionschef neben seinen drei Privatsendern auch die politische Kontrolle über die drei staatlichen Sender innehat.

Es scheint Berlusconi nicht geschadet zu haben, dass er bis zuletzt keine Antwort auf die Frage nach diesem Interessenkonflikt geben konnte. Die italienische »Anomalie«, dass ein Unternehmer als Regierungschef sich die politischen Bedingungen für seine wirtschaftlichen Erfolge schaffen kann und zugleich über alle überregionalen Fernsehsender und mehrere große Tageszeitungen verfügt, stört offenbar nur eine Minderheit im Land. Die Mehrzahl der Italiener bewundert im Gegenteil den Erfolg und den Reichtum dieses Selfmademan.

Im vergangenen Monat geisterte immer wieder das Gerücht durch die italienische Presse, Berlusconi wolle sein Medienimperium an den Australier Rupert Murdoch verkaufen. Doch da selbst Murdoch die für eine solche Transaktion notwendigen Milliarden nicht jederzeit aufbringen kann, wird nicht viel dran sein. Auf die drängenden Nachfragen musste Berlusconi schließlich zugeben, dass es nicht zu einem Verkauf kommen werde.

Stattdessen versprach er lediglich, innerhalb der ersten hundert Tage seiner Regierung eine Lösung des Interessenkonfliktes zu finden, möglicherweise in Form einer Gesetzesänderung.

Geschadet es hat Berlusconi offenbar auch nicht, dass sich nur sieben Tage vor der Wahl einer seiner prominentesten Bündnispartner von ihm distanzierte. Der ehemalige Staatspräsident Francesco Cossiga störte sich nicht etwa an Berlusconis Mafiaverbindungen oder an den internationalen Ermittlungen gegen ihn. Er distanzierte sich, nachdem Berlusconi in einer Wahlrede seinen Lieblingsfeind, den vor knapp einem Jahr zurückgetretenen Premier Massimo D'Alema, als »einen alten Bolschewisten« beschimpft hatte, den er »mal richtig arbeiten« schicken werde.

Die Berichte in der Weltpresse über Berlusconis fragwürdige Vergangenheit wurden in Italien als Angriffe empfunden und als Einmischung in interne Angelegenheiten. Die italienische Öffentlichkeit reagierte mit nationalistischem Trotz. Selbst Staatspräsident Carlo Azeglio Ciampi sah sich genötigt, darauf hinzuweisen, dass die Wahl der Regierung eine souveräne Entscheidung des italienischen Volkes sei. Der plötzlich ausgebrochene Patriotismus machte sich in der vergangenen Woche in geradezu absurden Beschuldigungen gegen ausländische Medien Luft, selbst in den liberalen Zeitungen, die Berlusconi ansonsten kritisch beobachten.

Während der Olivenbaum für den Status quo stand, hat Berlusconi seinen Wählern eine »Revolution« versprochen. Doch wie wird diese Revolution aussehen? Die Ankündigung von Umberto Bossi, dem Vorsitzenden der rassistischen Lega Nord, »wir werden unsere Gegner an einem Tag ausschalten«, wird sich vorerst wohl nicht wahr machen lassen. Größeren Erfolg verspricht dagegen der Angriff auf die Justiz, den der absolutistische Koalitionschef Berlusconi plant. Er hat bereits angekündigt, Richteramt und Staatsanwaltschaft, die in der italienischen Magistratur bisher vereint sind, künftig zu trennen. Zudem soll die Regierung der Justiz jährlich die Prioritäten der Strafverfolgung vorschreiben. Beide Reformen würden der Politik eine weitgehende Kontrolle über die Justiz verschaffen.

Selbst vor der Verfassung will Berlusconi nicht Halt machen. Abgesehen hat er es vor allem auf den Artikel 41 der italienischen Verfassung, der die Freiheit privater unternehmerischer Tätigkeit festlegt. Der Artikel behindere die Unternehmer, so Berlusconi. Mit einem Haus der Freiheit an der Regierung sollen sie wohl mit weitreichenden Freiheiten rechnen.

In einem Punkt sind sich alle italienischen Kommentatoren einig. Zu einem ähnlich kurzen Auftritt wie 1994 wird es diesmal nicht kommen. Damals war die Regierungskoalition unter Berlusconi nach nur sieben Monaten Amtszeit auseinander gebrochen, der Cavaliere musste zurücktreten. Doch man hat dazugelernt im Haus der Freiheit. Diesmal ist Berlusconi besser vorbereitet.