Flüchtlingsproteste gegen Residenzpflicht

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Bis zum Wochenende protestieren Flüchtlinge in Berlin gegen die Residenzpflicht.

Ich habe die Diskussionen satt«, sagt Osaren Igbinoba auf einem der Vorbereitungstreffen für die bundesweiten Aktionstage gegen die Residenzpflicht in Berlin. »Es hat ja keinen Sinn, nach einer Reiseerlaubnis zu fragen, die bekommt sowieso niemand«, bekräftigt Gaston Edua, wie Igbinoba Mitglied der Flüchtlingsorganisation The Voice.

Es geht um das Residenzpflichtgesetz, das es Asylbewerbern in Deutschland verbietet, ohne Erlaubnis den Landkreis zu verlassen, in dem ihre Unterkunft liegt. Gegen dieses Gesetz werden Flüchtlinge vom 17. bis zum 19. Mai auf dem Schlossplatz in Berlin-Mitte protestieren. »Movement is our Right« lautet das Motto der Aktionstage.

In den letzten Monaten haben ihre Initiatoren Flüchtlingsheime besucht, um möglichst viele Menschen nach Berlin einzuladen. »Die Resonanz in den Heimen ist gut. Viele werden kommen, um für ihr Recht auf Bewegung zu demonstrieren«, berichtet Mohammed Abdel Amine, ein Mitarbeiter der Flüchtlingsinitiative Brandenburg, die gemeinsam mit dem Africa Forum von The Voice die Kampagne vorbereitet und koordiniert hat. Die Vorbereitungsgruppe schätzt, dass auf sie Kosten in Höhe von 120 000 Mark für die An- und Abreise, Unterbringung und Verpflegung der Teilnehmer zukommen. Bisher reichten die finanziellen Mittel kaum für die Mobilisierung aus, da die Kampagne auf Spenden angewiesen ist.

Das Programm der nächsten Tage: Am Donnerstag wird eine Flüchtlingsdelegation dem Bundestag ein Memorandum zur Abschaffung der Residenzpflicht übergeben; anschließend findet von 11 bis 13 Uhr am Brandenburger Tor eine Kundgebung statt. Für Samstag um 12 Uhr rufen die Veranstalter zu einer bundesweiten Demonstration auf. An allen drei Tagen wird es auf dem Schlossplatz Podiumsdiskussionen und Arbeitsgruppen zum Thema geben. Eine ständige Ausstellung, Filme und Fotos sollen dort außerdem die Lebensverhältnisse der Flüchtlinge und die bisherigen Aktionen von Flüchtlingsinitiativen dokumentieren.

Die Residenzpflicht ist seit 1982 im Asylverfahrensgesetz festgeschrieben und besteht nur in Deutschland. Zugleich wurde damals die Unterbringung der Flüchtlinge in Heimen eingeführt. Seitdem weisen die Ausländerbehörden Asylbewerbern ein Flüchtlingsheim und somit einen Landkreis zu, wobei die Unterkünfte meist außerhalb von größeren Ortschaften und oft mitten im Wald liegen. »Ich habe für ganz Deutschland Asyl beantragt und nicht nur für den Landkreis Havelland«, bemerkt ein Mitarbeiter der Flüchtlingsinitiative Brandenburg dazu lapidar.

Um Freunde zu besuchen oder zum Arzt zu fahren, müssen viele Flüchtlinge bei der Ausländerbehörde einen Antrag auf Reiseerlaubnis stellen, und das dürfen sie nach Weisung des Bundesinnenministeriums höchstens zweimal im Monat. Der Antrag selbst kostet sie nicht selten zwischen 15 und 20 Mark, bei einem monatlichen Taschengeld von 80 Mark.

»Ich habe mich entschlossen, nie für mein Recht, mich zu bewegen, zu bezahlen, da nehme ich auch eine Gefängnisstrafe in Kauf«, sagt Cornelius Yufanyi von The Voice. Er weiß, wovon er spricht. Zwar wurde sein Verfahren wegen Verletzung der Residenzpflicht im Oktober 2000 eingestellt, doch Yufanyi kämpft weiter für einen Freispruch.

The Voice vergleicht die Residenzpflicht zuweilen mit den Passgesetzen des Apartheidsystems in Südafrika. Dabei muss man nicht solche Vergleiche bemühen, um den institutionalisierten Rassismus kenntlich zu machen, der mit diesem Gesetz verbunden ist. Es verwehrt Flüchtlingen schlicht das Grundrecht auf Bewegungsfreiheit und kriminalisiert sie, wenn sie es dennoch in Anspruch nehmen.

Polizei und Bundesgrenzschutz können jederzeit und überall Flüchtlinge nach ihrer Reiseerlaubnis fragen und sie so ohne jeden weiteren Anlass einer Kontrolle unterziehen. Das geschieht selektiv und rassistisch, in der Regel gilt: Je dunkler die Hautfarbe, um so größer ist die Gefahr, grundlos kontrolliert zu werden. Verstoßen Asylbewerber gegen die Residenzpflicht, drohen ihnen Geldstrafen bis 5 000 Mark, Gefängnis oder, bei mehrmaligem Verstoß, gar die Abschiebung.

Selbst der wiederholte Protest des UN-Flüchtlingskommissariats (UNHCR), die Residenzpflicht sei mit dem internationalem Recht nicht vereinbar, ist auf taube Ohren gestoßen. Deutschland hat zwar den Artikel 13 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte unterzeichnet: »Jeder hat das Recht auf Bewegungsfreiheit und auf freie Wahl seines Wohnortes innerhalb eines Staates.« Doch auch das Bundesverfassungsgericht (BVerG) sieht in der Aufenthaltsbeschränkung keinen Verstoß gegen das Grundgesetz.

In einem Urteil des BVerG aus dem Jahr 1997 heißt es, die Residenzpflicht verletze die Grundrechte auch dann nicht, wenn Flüchtlinge gegen sie verstoßen und dafür bestraft werden. Es gebe die Möglichkeit der vorherigen Genehmigung, und Termine bei Anwälten dürften ohne Erlaubnis wahrgenommen werden.

Vor allem wenn es um die Teilnahme an politischen Veranstaltungen geht, erteilen die Ausländerbehörden jedoch nur selten Genehmigungen. So konnte vor einem Jahr am ersten von Flüchtlingen selbst organisierten zwölftägigen Kongress der Karawane in Jena die Hälfte der Interessenten mangels Reiseerlaubnis nicht teilnehmen. Das Innenministerium Brandenburgs hatte die Ausländerbehörden angehalten, keine Reisen zu genehmigen. Weder sei eine Teilnahme von öffentlichem Interesse, noch stelle die Ablehnung der Anträge eine unzumutbare Härte dar. Auch andere Bundesländer verweigerten den Flüchtlingen die Erlaubnis, nach Jena zu reisen.

So wurde die Abschaffung der Residenzpflicht zu einem zentralen Thema des Kongresses, die Kampagne gegen die Residenzpflicht entstand. »Wenn wir selbst dieses Gesetz nicht beachten, indem wir ohne Erlaubnis reisen, wird es nutzlos. Deshalb rufen wir zum zivilen Ungehorsam auf«, so Cornelius Yufanyi. Ein Marsch der Flüchtlinge nach Berlin wurde geplant und jetzt in die Tat umgesetzt.

Die Flüchtlinge, die an den drei Aktionstagen in Berlin teilnehmen wollen, sollen sich weigern, eine Reiseerlaubnis zu beantragen und Bußgelder zu zahlen, wenn sie kontrolliert werden. Angesichts der Sanktionen, die ihnen drohen, ist diese Forderung nicht ganz unumstritten.

Trotz der Gefahren erwarten die Initiatoren der Kampagne viele Teilnehmer in Berlin. »Es ist an der Zeit, dass wir aufstehen und über die Residenzpflicht sprechen. Jeder Deutsche soll wissen, welche Auswirkungen dieses Gesetz für die Asylbewerber hat«, erklärt Abdel Amine von der Flüchtlingsinitiative Brandenburg. Ob mit oder ohne Erlaubnis: Das Ziel ist die Abschaffung der Residenzpflicht.

Kontakt zu The Voice Africa Forum: 0175 - 326 73 98 oder 0170 - 475 06 18; E-mail: The_VOICE_Jena@gmx.de

Spendenkonto: FFM e.V., Stichwort »Residenzpflicht«, Berliner Sparkasse, Kto. 610 024 264, BLZ 100 500 00