Streit bei Manchester United

United disunited

Bei Manchester United hängt trotz sportlicher und wirtschaftlicher Erfolge der Haussegen schief.

Nachdem vor 43 Jahren die Hälfte eines vielversprechenden Teams auf der Startbahn des Münchener Flughafens gestorben war, verließ Manchester United diesmal unter weniger dramatischen Umständen Bayern auf dem Luftweg. Die Kommentare einiger Spieler, des Trainers und der Presse erweckten nach der 1:2 Niederlage im Viertelfinal-Rückspiel der diesjährigen Champions League gegen Bayern München dennoch den Eindruck, der Club befinde sich in einer tiefen Krise.

Was ist der Grund? Ein drohender Bankrott? Keineswegs, es geht hier um den reichsten Club der Welt. Abstiegsgefahr? Keine Angst, vier Tage zuvor hatte United den siebten englischen Titel in neun Spielzeiten sichergestellt. Der Anfall von Selbstkritik offenbarte die besondere Bürde des Clubs. Es wird nicht nur erwartet, dass er gewinnt, sondern dass er dabei großartig spielt und nebenbei noch einen satten Profit einstreicht.

United spielt mit wenig Stil oder Leidenschaft und konnte so den finanziellen Jackpot, der die Champions League heute ist, nicht ausschöpfen. 19 der insgesamt 20 Vereine in der englischen Premier League würden gerne die Probleme von Manchester United haben. Ein Jahrzehnt unvergleichlicher Erfolge auf den Spielfeldern hat jedoch einige Spannungen zwischen den Fans, den Spielern, dem Trainer und dem Vorstand hinterlassen.

Wie einfach waren die Dinge in der Vergangenheit! Hier muss ich zunächst meine Beziehung zu United erklären. In den frühen siebziger Jahren wurde ich Fan von United, als der aus meiner Heimatstatd Belfast stammende George Best gleichzeitig unglaubliche Tore schoss, Miss Worlds sammelte, einen Geschmack für teuren Champagner entwickelte und auch noch ein starker Raucher war.

Der Club hat in dieser Zeit niemals etwas gewonnen, aber Bests Stil, seine Frechheit und Respektlosigkeit gegenüber Autoritäten machte jeden glücklich. Wer brauchte Pokale, wenn wir die besten Spieler, die besten Frisuren und die besten Hooligans hatten? In den Siebzigern und Achtzigern war das Leben eines United-Anhängers unkompliziert. Wir konnten 15 Minuten vor Spielbeginn nach Old Trafford kommen, einen moderaten Preis für die Stehplätze von Stretford End bezahlen und zuschauen, wie unser Team wieder einmal total hinter seinen Möglichkeiten zurückblieb. Auf dem Heimweg vergaben wir alles, weil Steve Coppell, Norman Whiteside, Bryan Robson oder Mark Hughes eine geniale kleine Vorstellung geboten hatten, die in der stilvollen Tradition von Manchester stand.

Fast gleichzeitig tauchten drei Faktoren auf, die diesen schlafenden Riesen zu dem Club von heute machten. Die Geschichten des sozialistischen Schotten, des temperamentvollen, kreativen Franzosen und des australischen Tycoons hören sich wie der Anfang eines schlechten Witzes an, aber die ungleiche Kombination von Alex Ferguson, Eric Cantona und Rupert Murdoch führte dazu, dass United zumindest in finanzieller Hinsicht am Ende doch äußerst erfolgreich war.

Als Ferguson 1986 Trainer von United wurde, befand sich der Fußball in England auf seinem absoluten Tiefpunkt. Von den europäischen Wettbewerben ausgeschlossen, standen die englischen Fußballfans bei einer Diät ungenießbarer Steak Pies und weitgehend unansehnlichen Fußballs auf den Rängen verfallender Stadien. Obwohl die Nation berühmt dafür ist, schlechtes Essen und miesen Service zu ertragen, verlor sie beinahe ihre Geduld.

Schlimmer noch für United-Fans war, dass irgendwann zu Beginn der Neunziger auf den Rängen das Gerede aufkam, die »Roten Teufel« hätten seit über 20 Jahren keinen bedeutenden Erfolg mehr erzielt. Heute erinnert man sich nur noch schwer daran, dass Ferguson, dessen Job sicherer als der des Papstes zu sein scheint, nach einem durchwachsenen Beginn seiner Karriere in Manchester nur um eine Niederlage von seiner Entlassung entfernt war. Damals erkannte Ferguson, der in der Nähe der Docks von Glasgow aufgewachsen ist, dass der Brauch von United aufgegeben werden musste, Teams glamouröser Individualisten mit einer Schwäche für extravaganten Lebensstil zusammenzustellen.

Als 1992 die Elitevereine die Fußball-Liga verließen, um die Premier League zu bilden, waren nur wenige naiv genug anzunehmen, den Clubs ginge es um die Rettung des Fußballs. Das Produkt war umbenannt worden, jetzt musste ein Verwerter für seine Vermarktung gefunden werden.

Glücklicherweise suchte Rupert Murdoch gerade nach einer Möglichkeit, seinen neuen Satellitenkanal BskyB für jeden Haushalt unentbehrlich zu machen. Sport war nach seinen Worten der »Rammbock«, um Eintritt zu erlangen. 65 Jahre nachdem die Organisatoren des Tennisturniers von Wimbledon es als »ungentlemanly« bezeichnet hatten, eine Vergütung von der BBC zu verlangen, hielt die Premier League es nicht für unhöflich, 304 Millionen Pfund für die exklusiven Übertragungsrechte während der folgenden fünf Jahre anzunehmen. Die unter den Clubs verteilten Millionen von BskyB führten dazu, dass Topgehälter bezahlt werden konnten.

Einer der ersten Fremdenlegionäre war Eric Cantona. Er hatte zuvor den Ball auf den Schiedsrichter geworfen, Mitspieler angespuckt und seinen letzten Trainer »ein Stück Scheiße« genannt. Als er 1992 ankam, gingen nur wenige davon aus, dass er es lange unter einem disziplinierten Trainer aushalten würde. Aber Ferguson nahm - wenn nicht bereits bei Cantonas Ankunft, so jedenfalls dann, als er 1996 den Verein verließ - billigend in Kauf, wie er seinen Kragen aufstellte und mit vorgestreckter Brust auf den Platz stolzierte, als wollte er fragen: »Ist dieser Club gut genug für mich?«

Cantona hatte nicht nur maßgeblichen Anteil am Erringen der ersten Meisterschaft nach über 25 Jahren, sein Genie auf dem Spielfeld wurde zusätzlich noch durch sein Verhalten und seine Kommentare außerhalb des Platzes unterstrichen. In einer Nation, die angenehm überrascht ist, wenn ein Fußballer einen angefangenen Satz auch zu Ende sprechen kann, verschafften ihm seine pseudo-philosophischen Äußerungen nach Ansicht vieler Leute einen Platz neben Sartre und Derrida.

Sogar sein berühmter Kung-Fu-Angriff auf einen gegnerischen Fan wurde in einem postmodernen Zusammenhang analysiert; der Richter war weniger nachsichtig und sperrte ihn für sechs Monate. Cantona ging unter mysteriösen Umständen, aber es war kein Geheimnis, dass er unzufrieden mit einigen wirtschaftlichen Entscheidungen und der Art der Vereinsführung war.

Umstritten sind beispielsweise Kartenpreise und -verkauf. United verkauft die meisten Plätze an Inhaber von Saisontickets, ein weiterer Teil wird unter den 100 000 Vereinsmitgliedern verlost. Der durchschnittliche Preis für eine Karte liegt bei circa 25 Pfund, die Saisonkarte kostet um die 400 Pfund. Die Tatsache, dass die überwiegend aus der Umgebung stammenden Fans aus der Arbeiterklasse, die in guten wie in schlechten Zeiten treu zu United gehalten haben, dadurch marginalisiert werden, ist ein Kernpunkt der Kritik.

Ältere Anhänger behaupten, dass die Anwesenheit von wohlhabenden Zuschauern in Kombination mit einem nur aus Sitzplätzen bestehenden Stadion die einst wilde und einschüchternde Atmosphäre Old Traffords zerstört hätten. Beim letzten Manchester-Derby verspotteten die City-Fans die Anhänger der Heimmannschaft, indem sie sangen: »It's like a church in here.«

Die Ausstattung des Stadions mit Firmen-Lounges hat sich ebenfalls als unpopulär erwiesen. Kapitän Roy Keane warf kürzlich nach einem Spiel einem bestimmten Teil der Zuschauer vor, zu sehr mit dem Verzehr von Garnelen-Sandwiches beschäftigt zu sein, um das taktische Verhalten des Teams verstehen zu können. Einige Fans konterten mit der Frage, ob Keane sich bewusst sei, woher das Geld für sein wöchentliches Gehalt in Höhe von 55 000 Pfund stamme.

Auch die Bemühungen des Vorstands, die ausgesperrten Fans durch eine Vergrößerung der Stadionkapazität auf 67 000 zufriedenzustellen, waren kein voller Erfolg. Kritiker behaupten, wegen der erhöhten Anzahl der Plätze gelange nur noch so wenig des kostbaren Sonnenscheins von Manchester ins Stadion, dass der Rasen darunter leide. Ob das stimmt oder nicht, das »Theatre of Dreams« wird regelmäßig für andere Veranstaltungen vermietet, und Ferguson hält den Zustand des Platzes inzwischen für »eine Schande«.

Der schärfste Angriff auf den Vorstand von United betraf dessen offensichtliche Bereitschaft, den Club 1998 an Murdochs BskyB zu verkaufen. Den Aktionären wurden 623 Millionen Pfund für die Übergabe der Anteilsmehrheit an die australische Mediengruppe angeboten. Einige hielten den Preis für zu niedrig, obwohl nur ein Jahrzehnt zuvor ein örtlicher Geschäftsmann den Club fast für zehn Millionen Pfund gekauft hätte.

Während sich der Vorstand für den Verkauf einsetzte, organisierten Fans eine Kampagne gegen die Übernahme. Für viele war Geld nicht das entscheidende Argument. Die Vorstellung, dass der attraktivste Verein der Welt einem Tycoon übergeben werden könnte, der nie Interesse an Fußball gezeigt hat, war ihnen entschieden zu unromantisch. Die beabsichtigte Übernahme wurde wahrscheinlich vom Office of Fair Trading verhindert, das in der Kombination von Murdochs Übertragungsrechten mit der Kontrolle des größten Clubs eine Behinderung des Wettbewerbs sah.

Uniteds Dominanz in der Premier League während des letzten Jahrzehnts hat ein paar Zyniker zu dem Vorschlag veranlasst, den Club bei derselben Behörde wegen Einschränkung des sportlichen Wettbewerbs anzuzeigen. Die Niederlage gegen Bayern war eine rare Angelegenheit: ein deutscher Sieg, der in England gefeiert werden konnte - zumindest in der Hälfte des Landes, wo man Manchester United gerne verlieren sieht.

Ferguson beabsichtigt, im nächsten Jahr zurückzutreten. Es wird wahrscheinlich auch die letzte Saison sein, in der Giggs, Beckham, Keane und Scholes zusammen spielen, dann vermutlich wird das Team auseinanderfallen.