Die Diskothek »Blu« am Potsdamer Platz

Gute Türsteher, schlechte Musik und keine Orgien

Gefährliche Orte CXXVII: Die Diskothek »Blu« am Potsdamer Platz mag vielleicht nobel sein. Vor allem aber ist sie langweilig.

Wie eine richtige Nobeldisco aussieht und wie es in ihr zugeht, wissen die meisten Menschen spätestens seit den Filmen über die ehemalige New Yorker Discothek »Studio 54« und der jüngsten Bild-Serie.

In der ebenso phantasievoll wie aufwändig gestalteten teuren Deko spielen sich Nacht für Nacht unvollstellbare Orgien ab. Im Keller lagern die riesigen Koksbestände gleich neben dem edlen Champagner und den unzähligen Flaschen alten französischen Cognacs. Die Direktion ist indes ständig damit beschäftigt, das viele Geld zu zählen und den vielen enthemmten Promis willige, bildschöne junge Damen oder Herren zuzuführen.

Auch die Discothek »Blu« am Potsdamer Platz gehört zu den Nobel-Discos, behaupten jedenfalls die Berliner Zeitungen. Das verwundert ein bisschen, denn wann immer man nachts dort vorbeikommt und die vorm Eingang Wartenden betrachtet, steht eins sofort fest: Boris Becker befindet sich garantiert nicht unter ihnen. Denn sie sehen aus wie fein gemachte Geschäftsführer oder Immobilienkauffrauen.

Schon die Security ist eine große Enttäuschung. Keine Kleiderschränke mit plattgehauenen Nasen, die drohend nach der sicherlich nicht vorhandenen Einladung fragen, stehen an der Tür, sondern höfliche Menschen, die in ganzen Sätzen sprechen und sich beiläufig erkundigen, ob sie denn bitte einen Blick auf die zweifellos vorhandene Einlasskarte werfen dürfen.

Danach weisen sie diskret den Weg zum Aufzug, in dem die Kundschaft nicht etwa selbst das Knöpfchen drücken muss, denn ein professioneller Liftboy erledigt diesen Job. Oben angekommen, wünscht er viel Spaß. Der Gedanke, dass Spaß für manche Menschen vielleicht bedeuten könnte, sich im »Blu« derart zuzutrinken, dass sie später den Lift vollkotzen, scheint dem Aufzugsbediener noch nie gekommen zu sein.

Nur wenig später wird klar, warum. Im »Blu« sieht es aus wie im Inneren einer gut situierten Privatbank. An solchen Orten säuft man nicht, da nimmt man zum vertraulichen Gespräch höchstens ein paar Drinks. Und gekotzt wird anschließend schon gar nicht.

Auf den Flachbildschirmen an den Wänden sind Nachrichten aus Politik und Show-Business zu sehen, und zahlreiche Sponsoren haben an diesem Abend ihre Stände aufgebaut. Die Branchenzeitschrift Diskret hat Club-Besitzer aus der ganzen Republik eingeladen. Es gibt Bier und Cola, dazu seltsame Mischgetränke auf Fanta-Basis sowie Danone-Pudding. Mit einem Schokobecher in der Hand, den man noch nicht einmal bezahlen muss, cool auszusehen, ist jedoch fast unmöglich. Deswegen haben die Promo-Frauen ziemlich viel Mühe, ihre Süßspeisen loszuwerden. Sie rennen hin und her, kaum jemand will ihnen etwas abnehmen.

Und schon beginnt der Unterhaltungsteil. Und mit ihm die Musik von »Zicke Zacke«. Die aber nicht wirklich begeistert, ebenso wenig wie der Titel »Voll auf die Zwölf« und der sich verausgabende Sänger. Unermüdlich versucht der Mann, das Publikum zum Mitstampfen und Mitklatschen zu animieren, was ihm jedoch nur unzureichend gelingt. Auch der neuste Hit des Künstlers (»Ich will endlich mit dir - uhllalla«) fällt durch. Wofür Uhllalla steht, ist jedem Besucher schnell klar.

Und weil alle schon mal geuhllallat haben, ist auch niemand begeistert. Bis auf die Besitzerin einer norddeutschen Diskothek, deren Geschäft in die Endauswahl der Diskret gekommen ist. Sie ist deswegen äußerst nervös und zudem nicht in der Lage, ohne den Refrain zu sprechen: »Gib mal ne Zigarette her - Uhllalla!« »Wie, du hast doch schon vor Jahren aufgehört?« »Schon, aber jetzt nicht mehr, Uhllalla.«

Der Mann auf der Bühne hat inzwischen eingesehen, dass Stimmungshits ihn nicht weiterbringen. Wer hier, unter den Augen der führenden deutschen Diskothekenbetreiber, durchfällt, kann seine Karriere vergessen. Deswegen wechselt er zu dem, was nur noch in den abgelegenen Provinzen der Republik als Geheimtipp gilt: Country.

Auch das begeistert nicht weiter, das Publikum möchte lieber herumstehen und sich unterhalten. Man sei zwar Konkurrenz, ja, das schon, »aber eigentlich auch wieder nicht, mit den meisten kommt man gut aus«, erklärt der Besitzer einer Brandenburger Disco. Man kenne sich ja schließlich.

Und tauscht durchaus auch Tipps aus. Vor dem »Blu« stehen deswegen viele Männer in schwarzen Anzügen herum. Was aussieht wie eine Betriebsversammlung der Cosa Nostra, entpuppt sich rasch als lockere Gesprächsrunde: Wer Sänger X noch buche, sei selber schuld, erfährt man. Sängerin Y und ihre Begleitband söffen mühelos jede Bar leer, während Z ein unbedingter Geheimtipp sei.

Tratsch über Menschen, die man nicht kennt, ist langweilig, deswegen schiebt man sich in aller Gelassenheit durch die Menge zurück ins Lokal. Wo eine überraschende Entdeckung gemacht wird. Anscheinend gehört es hier zum guten Ton, auf die Gratisgetränke zu verzichten. An den Bars ist es ziemlich voll. Doch kaum jemand greift zum Portemonnaie, bezahlt wird ausschließlich mit Scheinen, die von goldenen Klammern zusammengehalten werden. Entsprechend hoch fallen die Trinkgelder aus, das Personal freut sich.

Kurz darauf darf gestaunt werden. Eine frühere Miss Tschechien hat nämlich die Bühne betreten. Ihr Titel »Ohohoh, so ein knackiger Po« mag als selbstreferenzielles Kunstwerk vielleicht gerade noch durchgehen. Als Ibiza-Stimmungshit, wie angekündigt, taugt er jedoch an einem Ort, an dem grundsätzlich nicht mit Strohhalmen aus Eimern getrunken wird, nur bedingt.

Die Gäste sind daher nicht besonders zufrieden mit der Show, etwas gepflegtere Unterhaltung hätte es schon sein dürfen. Und Orgien gibt es auch nicht. Natürlich nicht. So kann man im sicheren Bewusstsein, dass es in jeder Berliner Eckkneipe bereits um die Mittagszeit zu mehr Ausschweifungen gekommen ist als in dieser noblen Disco, den Ort verlassen. Mit dem Aufzug, der wahrscheinlich auch in zehn Jahren noch völlig unbekotzt sein wird.