Wohnungspolitik in Ostdeutschland

Platte platt gemacht

Aufbau Ost: Bei der Bekämpfung des Wohnungsleerstands in den neuen Ländern setzt Rot-Grün auf die Immobilienbesitzer.

Im August gibt sich der Bundeskanzler mal wieder die Ehre. Den ostdeutschen Städten und Gemeinden will Gerhard Schröder dann einen Besuch abstatten. Und ein paar Mitbringsel in Form von Förderprogrammen hat er wie vorigen Sommer sicherlich auch im Gepäck.

Schließlich steht die Verabschiedung des Solidarpakts II vor der Tür, und die Aussichten in den neuen Ländern zehn Jahre nach der Einheit sind immer noch alles andere als rosig. Nicht blühende Landschaften, auch keine Potemkinschen Dörfer, sondern leere Innenstädte erwarten den Kanzler. Ab 2002 soll deshalb ein dreistelliger Millionenbetrag zur Sanierung der maroden und verlassenen Innenstädte bereit gestellt werden, heißt es aus der Regierung.

In Großstädten wie Dresden und Rostock, aber auch in vielen Dörfern stehen Wohnungen leer, insgesamt eine Million. In Sachsen-Anhalt beispielsweise summiert sich der Leerstand auf 14,2 Prozent des Gesamtbestandes, das sind 184 000 Wohnungen. Ein Problem vor allem für die Immobilienmakler: Immer wieder hat die ostdeutsche Wohnungswirtschaft über die finanziellen Folgen der Misere geklagt. Allein die sächsischen Unternehmen hätten in den vergangenen zehn Jahren annähernd die Hälfte ihres Wohnungsbauvermögens verloren, beschwerte sich im März Stefan Weber, Vorstandsmitglied der sächsischen Aufbaubank.

Die Schuld an der Landflucht wird gerne der alten DDR-Führung in die Schuhe geschoben. Straßenweise standen die Altbauten im Staatssozialismus leer. Doch was wie ein gezieltes Kaputtsanieren aussah, war oft eine Folge des industrialisierten Wohnungsbaus. Frei von den Zwängen privater Eigentumsverhältnisse war es einfach wirtschaftlicher, ganze Straßenzüge am Stück zu sanieren. Handwerkerkolonnen sollten sich ein Haus nach dem anderen vornehmen.

Großflächiger Abriss von Altbausubstanz war, von Ausnahmen abgesehen, in den späten achtziger Jahren der DDR - wie im Westen - schon nicht mehr angesagt. In Ostberlin und Potsdam, in Leipzig, Cottbus und vielen anderen Städten wurden hunderte von leer stehenden Häusern besetzt. Schon die Regierung unter Helmut Kohl begegnete den Besetzungen mit der Parole, dass Leerstand und Wohnungsnot lediglich Folgen der abgewirtschafteten DDR seien. Innerhalb von wenigen Jahren werde dieses Problem beseitigt, alle Wohnungen würden in guten Zustand gebracht. Mit umfangreichen staatlichen Mitteln lief das Programm an, doch heute ist die Leerstandsrate um ein vielfaches höher.

Dennoch setzt auch die rot-grüne Bundesregierung diesen Kurs fort. Millidarden für die Bauwirtschaft fordert deshalb die grüne Bundestagsabgeordnete Franziska Eichstädt-Bohlig. Nur so lasse sich der »Rückbau« der Städte, der Abriss von Plattensiedlungen also, stoppen. Die Menschen könnten vom Rand zurück in die Städte ziehen.

Ein Grund für die Verwaisung der Innenstädte ist die anhaltende Abwanderung in den Westen. Viele Städte haben in den letzten zehn Jahren mehr als ein Fünftel ihrer EinwohnerInnen verloren. Deshalb gibt es auch keine Wohnungsnot mehr in den neuen Ländern, selbst wenn die Wohnfläche pro Person dort immer noch etwa 15 Prozent unter dem westdeutschen Schnitt liegt. Es mangelt allerdings an billigem und einfachem Wohnraum, weshalb von den rot-grünen Geldern nicht die Mieter, sondern die Immobilienwirtschaft profitieren dürfte. So forderte Stefan Weber, der im Vorstand der sächischen Aufbaubank sitzt, schon im März: »Wir brauchen jetzt dringend eine Marktbereinigung.«

Die gefallenen Grundstücks- und Mietpreise lassen die Gewinne der Immobilienbesitzer schwinden. Denn sobald ein Wohngebiet mehr als zehn Prozent Leerstand habe, entwickle sich aus einem langsamen Rückzug der Menschen eine Fluchtbewegung, erklärt Ulrich Pfeiffer, Mitglied einer Kommission der Bundesregierung zum wirtschaftlichen Strukturwandel in den neuen Bundesländern. Dann breche die Infrastruktur zusammen, weil sie, kapitalistischen Marktgesetzen folgend, schlicht nicht mehr rentabel sei.

Die es sich leisten konnten, sind deshalb vor die Tore der Stadt in ihr kleines Dorfidyll gezogen, während die Geschäfte der Innenstädte von der übermächtigen Konkurrenz erdrückt wurden, die mit den Einkaufszentren auf der grünen Wiese entstand. Aber auch das ist kein besonders überraschendes Ergebnis einer spezifischen Stadtentwicklung im Osten, sondern wurde in den sechziger und siebziger Jahren in der alten Bundesrepublik vorexerziert.

Die Regierung Kohl hat mit denselben Methoden nach 1990 viel zum Leerstand in den neuen Ländern beigetragen. Die mittlerweile ausgelaufene Sonderabschreibung Ost begünstigte den Wohnungsbau am Stadtrand mit Steuergeldern. Eigentümer waren und sind in der Regel Immobilienfonds, finanziert von gutverdienenden westdeutschen Steuersparern. So entstanden 800 000 Wohnungen, die heute einfach nicht mehr gebraucht werden. Viele Milliarden öffentlicher Mittel wurden in die Sanierung und den Neubau von Wohnungen gesteckt und führten doch nur zu gestiegenen Mieten. Tröstlich, dass sich ein nicht unwesentlicher Anteil der Investoren verspekuliert hat und draufzahlen muss, weil die teuren Wohnungen sich nicht vermieten lassen.

Die billigste, systemimmanente Lösung liefe sicherlich auf den Abriss großer Teile vieler Innenstädte und den Bau neuer Siedlungen am Stadtrand hinaus. Aber da eine adrett sanierte Innenstadt heute für das Image wichtig ist, und sich eine schnuckelige Altstadt in jedem noch so öden Industriestandort ganz gut macht, werden immer wieder die DDR-Plattenbauten ins Visier genommen.

So landete Schröder bei seiner kleinen Osttour im Februar ausgerechnet in Schwedt, wo unter dem Protest der Bevölkerung leere Plattenbauten abgerissen werden. Nur noch 40 000 Einwohner zählt die Stadt an der Oder heute, zu DDR-Zeiten waren es bis 55 000. Doch obwohl in den letzten beiden Jahren schon 750 Wohnungen abgerissen wurden, soll der Kahlschlag weitergehen.

Der Kanzler aber bekam die nun als Bauplätze ausgewiesenen Brachflächen ohnehin nicht zu Gesicht, seine Route führte ihn lediglich durch sanierte Baugebiete. Schröders verblüffendes Fazit: »Das Problem des Leerstands ist nur über neue Arbeitsplätze zu lösen.« Und die gibt es zwischen Zwickau und Rügen bekanntlich wie leere Wohnungen.

Dennoch erwägt die Bundesregierung, den Wohnungsabriss öffentlich zu fördern, um so das Angebot zu verringern und die Nachfrage zu erhöhen. Insgesamt 350 000 Wohnungen in den neuen Ländern will die Strukturwandel-Kommission bis zum Jahr 2010 für rund fünf Milliarden Mark abreißen lassen. Angesichts der Zeitplanung der Sanierungspolitiker - der Solidarpakt II soll möglicherweise auf 15 Jahre gestreckt werden - liefe das langfristig auf die Zerstörung der vermeintlich schlechteren Gebiete hinaus. Doch ohne großzügige öffentliche Förderung wird kein Privateigentümer Geld ins Ungewisse schaufeln. So dürften die Immobilienbesitzer Schröder im August die Alternativen vorrechnen. Er muss dann entscheiden: Zahlen für den Abriss oder doch lieber für die Sanierung?