Wahlmanipulation in Neapel

Aus dem Bett für Berlusconi

13. Mai, am Wahlabend in Neapel. Ein Freund, der in einem Wahllokal im Stadtteil Secondigliano arbeitet, ruft mich an: »Ich habe noch die ganze Nacht zu tun, willst du nicht vorbeikommen?« Zehn Minuten später bin ich da. Es ist 23:40 Uhr. Gerade hat das Abacus-Institut die ersten Prognosen bekannt gegeben: Silvio Berlusconi liegt weit vorne, ebenso Rosa Russo Jervolino, die Kandidatin des Mitte-Links-Bündnisses Ulivo für das Bürgermeisteramt in Neapel. Sie scheint bereits im ersten Wahlgang zu gewinnen. Damit wären die 600 Millionen Lire, die der Kandidat der Rechten, Antonio Martusciello, in die Wahlkampagne investiert hat, umsonst ausgegeben worden.

Das wird auch den Menschen klar, die in langen Schlangen noch immer vor dem Wahllokal warten. Es entsteht ein Tumult: »Wir wollen wählen, lasst uns endlich wählen!« Merkwürdigerweise scheinen die meisten Leute gerade aus dem Bett gekommen zu sein. Morgenmantel und Pantoffeln sind sogar in diesem armen Stadtteil Neapels als Straßenkleidung ungewöhnlich.

Angeführt wird der Aufruhr vor dem Wahllokal von einer Gruppe bekannter kleiner Gauner der Camorra aus dem Viertel. Sie hebeln die Tore aus den Angeln, stürmen das Wahllokal, greifen zwei hilflose Wahlhelferinnen an und zwingen die Aufseher, das Lokal zu verlassen. Die Leute klettern durch die Fenster und füllen wahllos Stimmzettel aus. Sie wählen für andere gleich mit und manipulieren offensichtlich den normalen Ablauf an den Urnen.

Als die Polizei kommt, wird sie von den »Camorristen« bedroht und energisch davon abgehalten, einzuschreiten. Erst nach knapp einer Stunde, als ein älterer Herr erscheint, beruhigt sich die Lage. Er ist offensichtlich der Boss im Viertel. Dass sich die Polizei blind stellt, wenn es um die Camorra geht, ist eine alte Geschichte.

Angewidert will ich nach Hause zurückgehen und bemerke, dass zwielichtige Gestalten die Reihen der Wartenden vor dem Wahllokal ablaufen. Sie kontollieren die Stempel auf den Wahlkarten und bedanken sich in bar: 10 000-, 50 000- und sogar 100 000-Lire-Scheine wechseln den Besitzer.

Die Camorra weiß das Chaos zu nutzen, das durch die Wartezeiten an diesem Wahlabend entstanden ist. Immerhin hat sie reichlich Geld erhalten und will jene, die sie bezahlen, nicht enttäuschen. Zur Not geht man eben zu den Leuten nach Hause und holt sie aus dem Bett.

Einen Tag später im Dorf Giugliano, in der Provinz von Neapel: ein anderer Ort, die gleiche Szene. Hier erreicht der Kandidat von Berlusconis Forza Italia für das Rathaus sogar 59 Prozent der Stimmen, die Forza wird mit 42 Prozent die mit Abstand stärkste Partei. Im Dorf formiert sich ein Triumphzug. Vorne weg schreitet der neue Bürgermeister Antonio Castaldi, gleich hinter ihm die ehrenwerte Gesellschaft einiger Herren, die breiter grinsen als Berlusconi. Dann folgt eine Gruppe atttraktiver Frauen, dahinter ein paar Luxuskarossen. Ihre Handlanger klappern Geschäft für Geschäft, Haus für Haus ab und bedanken sich generös bei den Wählern.