Wirtschaftspolitik der kommenden Regierung

Der neue Padrone

Die italienische Rechtskoalition verbindet neoliberale Wirtschaftspolitik mit der Rhetorik der Neuen Mitte.

Erstaunt rieben sich viele Europäer nach dem 13. Mai die Augen. Trotz Pannen und einer äußerst komplizierten Wahlgesetzgebung siegte das rechte Bündnis Haus der Freiheiten um Silvio Berlusconi, und in einigen Tagen wird er vom Staatspräsidenten den Auftrag bekommen, die 59. Nachkriegsregierung zu bilden. Für Berlusconi ging die Rechnung auf. Seine liberal-konservative Partei Forza Italia (FI) wurde zur stärksten politischen Kraft und zeigte seinen wichtigsten Koalitionspartnern, der von Umberto Bossi geführten rechtspopulistischen Lega Nord und der neofaschistischen Alleanza Nazionale (AN) um Gianfranco Fini, ihre Grenzen auf.

Zwar könnte der Stimmenverlust der Lega den unberechenbaren Bossi zunächst im Zaum halten. Doch sein Kampf um eine eigenständige politische Identität ist bereits 1994 der ersten Regierung Berlusconis zum Verhängnis geworden, als er die Koalition verließ und die Regierung die Parlamentsmehrheit verlor.

Heute sind die Mehrheitsverhältnisse anders, denn selbst ohne die Lega könnte sich die neue Regierung wohl halten. Unabhängig von den internen Machtverhältnissen in der Koalition ist die Rechtswende in Italien keine vorübergehende Sommerlaune. Schon seit dem Beginn der neunziger Jahre dominiert eine differenzierte politische Rechte den gesellschaftlichen Diskurs, ob sie nun die Regierung stellt oder nicht.

Schon allein deshalb wird Berlusconi nicht so schnell abtreten. Seine Koalition wird vielmehr nichts unversucht lassen, um ihre Vorstellungen von einem neuen Italien schnell und konsequent durchzusetzen. Damit werden grundsätzliche Fragen nach der Überzeugungskraft der ökonomischen und sozialen Konzepte einer modernen Rechten und nach ihrem Demokratieverständnis aufgeworfen, deren Antworten weit über Italien hinausweisen.

Die Anziehungskraft der Rechtskoalition besteht weniger in einem detaillierten Programm, sondern in der Präsentation einer Utopie von einer besseren, effizienteren und stärkeren Gesellschaft, ohne dass dabei der Wahrheitsgehalt der Aussagen eine große Rolle spielt. So konnte Berlusconi im Wahlkampf alles versprechen, ohne dass die Plausibilität seiner Versprechungen darunter gelitten hätte. Dennoch lassen sich einige klare Botschaften entschlüsseln.

Das verbindende Element des Hauses der Freiheiten ist die radikale Kritik an der wohlfahrtsstaatlichen Regulation der Gesellschaft und am institutionellen Aufbau der Republik. Mit ihrem widersprüchlichen politischen Projekt ergänzen sich die Parteien und sprechen eine unterschiedliche Klientel an. Das Bündnis ist zwar wegen des Wahlrechts und der unterschiedlichen regionalen Verankerung der einzelnen daran beteiligten Parteien notwendig, um überhaupt eine Mehrheit zu erringen. Aber die Allianz zwischen der bürgerlichen, der rechtspopulistischen und der neofaschistischen Rechten hat daneben eine eigenständige, strategische Bedeutung. In ihr können die konträren Interessen besser bedient werden, als es für eine einzelne Partei möglich wäre. Nur so lässt sich - bei entsprechender Disziplin im Umgang mit den Koalitionspartnern - der Rückhalt in der Bevölkerung vergrößern.

Zudem greifen die Parteien die neoliberale Wirtschafts- und Sozialpolitik auf und finden in der dazugehörigen Sozialphilosophie, die auf einen autoritären Staat und Elitedenken setzt, wichtige Anknüpfungspunkte. Der Neoliberalismus wird zum primären Bezug, ohne den die Verbindung konservativ-liberaler, regionalistischer und neofaschistischer Parteien nicht möglich wäre. Die Stigmatisierung als rechtspopulistisch oder neofaschistisch verfängt dann kaum noch, da die Parteien mit dieser Ausrichtung im politischen Mainstream argumentieren.

Die AN ist durch ihre theoretische Arbeit und programmatische Modernisierung gesellschaftsfähig geworden. Sie wirkt weder reaktionär noch archaisch und tritt auch nicht so auf. Zumal sich in dieser Hinsicht bereits der historische italienische Faschismus durchgängig vom deutschen Nationalsozialismus unterschied. Von der AN werden biologistische Blut- und Boden-Ideologeme ebenso vermieden wie antisemitische Positionen. Rassistische, sozialdarwinistische und autoritäre Ansichten werden stattdessen modern formuliert.

Die AN wie auch die rechtspopulistische Lega und die liberal-autoritäre FI besetzen so politische Begriffe. Sie beschreiben ihre Ziele zwar mit verklärten Darstellungen von Gemeinschaft, Volkswohlstand oder mit einem traditionellen Wertekanon und halluzinieren ein neues Wirtschaftswunder auf der Basis einer modernen Wirtschafts- und Sozialpolitik jenseits von Rechts und Links. Aber genau in dieser Unverbindlichkeit und der »Ideologie der Ideologiefreiheit« liegt eine besondere Stärke des Bündnisses. Zumal eine fehlende Programmatik und »deckungsgleiche« nebulöse Aussagen auch die Mitte-Links-Koalition im Wahlkampf auszeichneten.

Das Haus der Freiheiten verkörpert dabei eine spezielle Variante moderner Politik. Berlusconi will den Staat nach dem Vorbild eines Wirtschaftsbetriebs gestalten, wo der Unternehmer der Herr im Haus ist. Entsprechend müssen die institutionellen Bedingungen des Parlamentarismus an dieses Verständnis angepasst werden, damit das vom Volk quasi plebiszitär gewählte Personal möglichst ungestört regieren kann.

Der permanente Hinweis auf die ineffiziente Entscheidungsfindung durch die parlamentarische und außerparlamentarische Opposition meint schlanke Strukturen, die aber nicht mit mehr Bürgerbeteiligung oder Emanzipation verwechselt werden sollten. Denn es geht nie um Fragen, die den Rahmen der Marktsteuerung und der zu erhöhenden Wettbewerbsfähigkeit sprengten. Soziale Themen werden lediglich unter den Gesichtspunkten abgehandelt, dass sie gut klingen müssen und nichts kosten dürfen.

Hier hat auch die schöne Welt der Subsidiarität, der Zivilgesellschaft und der Familie ihren Platz. Früher wurden solche Vorstellungen zu Recht als reaktionär bezeichnet. Heute werden sie als normal akzeptiert, wenn auf eine dahinter stehende ökonomische Rationalität verwiesen wird.

Vor diesem Hintergrund wird auch die mangelnde kritische Reflexion seitens der europäischen sozialdemokratischen Parteien verständlich. Der kaum als linksradikal zu bezeichnende liberale Politologe Ralf Dahrendorf weist bereits seit einigen Jahren darauf hin, dass die dominierenden Konzepte und Phrasen vom »Dritten Weg« und der »Neuen Mitte« auf einen modernen Autoritarismus hinauslaufen bzw. ihn kaschieren.

Die Rechte profitiert davon, denn sie bietet wie in Italien an, diese Politik konsequenter umzusetzen. Dem Problem der Rechtswende, die aus der Mitte kommt, kann man sich dann nur noch moralisch nähern, etwa mit dem Unverständnis, dass die zahlreichen Strafverfahren und Ermittlungen gegen Berlusconi die Wähler kaum interessierten. Thematisiert wird auch der Konflikt zwischen den privaten Interessen des Unternehmers Berlusconi und der »Neutralität« des Amts des Ministerpräsidenten.

Alles durchaus kritikwürdig, aber zu kurz gegriffen. Denn selbst wenn Berlusconi eine »weiße Weste« hätte und den Interessenkonflikt schnell lösen würde, so bliebe die Frage nach den Botschaften, Instrumenten und dem Gesellschaftsbild, das hinter den Visionen steht. Je stärker die Empörung ist, desto offensichtlicher zeigt sich die Sprachlosigkeit angesichts eines Rechtsbündnisses, das auf die Themen setzt, die zum Standardrepertoire der »modernen Sozialdemokratie« in Europa gehören.