Asylpolitik mit tödlichen Folgen

Diamanten töten

Die »Zwangsmaßnahmen im Ausländerrecht« der Schweiz haben erneut zu einem Todesfall geführt.

Ueli Neeracher sieht die Sache pragmatisch: »Wenn sie eine Ausschaffung machen, dürfen sie nicht mit Gefühlen operieren.« Zwangsabschiebungen, erläutert der Leiter der Flughafenpolizei in Zürich, seien für keinen der Beteiligten angenehm, doch die uneinsichtigen Flüchtlinge machten sie eben nötig.

Die kompromisslose Abschiebepraxis der Schweizer Behörden ist zentraler Bestandteil einer so umfassenden wie konsequenten Abschottungspolitik, die nun ein zweites Todesopfer gefordert hat. Am 1. Mai flog ein vom Schweizer Bundesamt für Flüchtlinge gechartertes Kleinflugzeug zwei Abschiebehäftlinge von Zürich nach Lagos. Ein Platz im Flugzeug blieb leer. Er war für den seit über acht Monaten in »Ausschaffungshaft« sitzenden Samson Chukwu bestimmt. Der 27jährige Nigerianer war allerdings zu diesem Zeitpunkt bereits tot.

Die Menschenrechtsgruppe augenauf berichtet, dass »am Morgen des 1. Mai um zwei Uhr zwei Beamte der 'unité spéciale d'intervention' - für Antiterroreinsätze geschulte Beamte der Walliser Kantonspolizei - die Zelle des schlafenden Ausschaffungsgefangenen Samson Chukwu stürmten. Gemäß den Aussagen der Beamten wurde das Opfer auf den Boden gedrückt. Man drehte ihm die Arme auf den Rücken und legte ihm Handschellen an. Eine Stunde später, um drei Uhr, stellte ein Arzt den Tod von Samson Chukwu fest.«

Weil sich Chukwu heftig gegen die Ausschaffung gewehrt habe, schreibt dagegen die Leitung der Kantonspolizei, hätten die Beamten Verstärkung angefordert. Schließlich sei der Mann in Handschellen gelegt worden. Kurz danach habe man bemerkt, dass er keine Reaktion mehr zeigte. Der herbeigerufene Arzt konnte nur noch den Tod feststellen. Spuren von Gewalt, heißt es in einem weiteren Communiqué der Polizei, seien an der Leiche nicht sichtbar. Die angeordnete Autopsie sollte die Todesursache klären. Derweil wird schon über Geburtsschäden, Herzfehler oder andere gesundheitliche Gebrechen des Nigerianers spekuliert. Zudem wird der Tote als Drogendealer verunglimpft.

Für augenauf liegt dagegen der so genannte »plötzliche Gewahrsamstod« nahe. Gemeint ist der Tod durch Herzstillstand oder Ersticken, wenn stark erregte Menschen in einer Stresssituation mit auf dem Rücken zusammengebunden Händen auf den Bauch gelegt werden.

Die Reaktionen der Schweizer Behörden erinneren stark an den Fall Khaled Abuzarifa. Der Palästinenser starb am 3. März 1999 auf dem Flughafen Zürich-Kloten, ebenfalls bei dem Versuch, ihn abzuschieben. Auch hier wurde über die mögliche Todesursache spekuliert, ohne dabei das Naheliegende, die rigiden Abschiebemethoden, in Betracht zu ziehen. Während die einen von Herzversagen sprachen, mutmaßten andere, der vermeintliche Drogenhändler könne selbst Drogen genommen haben. Aus Abuzarifa wurde der so genannte kriminelle Asylant, der sich »renitent« seiner Abschiebung widersetzte. Dass es den Behörden nicht gelang, den Vorfall vollständig zu vertuschen, ist einzig der guten Öffentlichkeitsarbeit und den umfassenden Recherchen von augenauf zu verdanken.

Die Rekonstruktion des Abschiebeversuchs durch die NGO zeigt detailliert, wie Abuzarifa gefesselt, verschnürt, geknebelt und verklebt auf einen Rollstuhl gesetzt wurde. Die Autopsie der Leiche ergab den klaren Befund: »Tod durch Ersticken«. Auch die Rechtsmediziner der Universität Zürich kommen in ihrem Obduktionsgutachten zu dem Schluss, »dass Abuzarifa Khaled an den Folgen der bei ihm im Rahmen der Ausschaffung vollzogenen Zwangsmaßnahmen erstickt ist«.

Doch nicht einmal dieses Gutachten brachte die Selbstsicherheit der für den Fall politisch verantwortlichen Berner Polizeidirektorin Dora Andres ins Wanken. Letztlich habe Abuzarifa durch sein Verhalten die angewandten Abschiebemethoden provoziert, rechtfertigte Andres die Maßnahmen der Polizei. Damit war die Sache für sie erledigt. Disziplinarmaßnahmen gegen die beteiligten Beamten zog sie zu keiner Zeit in Erwägung. »Die Polizisten hatten pflichtgemäß einen Auftrag ausgeführt«, bemerkte die Polizeichefin abschließend.

Die zuständige Bezirksanwaltschaft sah sich allerdings wegen der Faktenlage gezwungen, Anklage gegen die drei beteiligten Polizisten sowie gegen den Arzt zu erheben. Der ermittelnde Anwalt wirft ihnen fahrlässige Tötung vor und beantragte fünf Monate Gefängnis auf Bewährung. Ende Juni beginnt der Prozess gegen die vier Beteiligten vor dem Bezirksgericht Bülach. Da die Polizisten die Dienstanweisungen und Verfahrensvorschriften, die ihrem Vorgehen zu Grunde lagen, nach wie vor nicht offen legen, konnten ihre Vorgesetzten bislang nicht von der Justiz belangt werden.

Die systematische Brutalität der Schweizer Abschiebepraxis wurde im vergangenen November auch vom Schweizer Fernsehen thematisiert. Im Zentrum des Berichts stand die Abschiebung des Kameruners Gilbert Kouam, den vermummte Polizisten der Spezialeinheit Diamant morgens um vier Uhr in seiner Zelle überwältigten. Der Einsatz von maskierten Antiterroreinheiten bei Deportationen sorgte für einiges Unverständnis und die Bilder des entsetzlich zugerichteten Kouam schockierten die Öffentlichkeit.

Doch auch der Tod von Samson Chukwu kann die Pläne zur weiteren Perfektionierung der Abschiebemethoden nicht durchkreuzen. Vielmehr werden derzeit unbeirrt neue Maßnahmen zur Flüchtlingsabwehr im Bereich des Flughafens ergriffen. Bereits realisiert ist ein Projekt namens Train-Street, mit dem die Transporte von Abschiebehäftlingen neu organiert wurden. Seitdem sich die Schweizer Fluggesellschaft Swissair weigert, Abschüblinge zu befördern, sollen die Schweizerischen Bundesbahnen (SBB) und das größte private Sicherheitsunternehmen Securitas dafür sorgen, dass die Abschiebehäftlinge rechtzeitig in die eigens für sie gecharterten Kleinflugzeuge verfrachtet werden können.