Entschädigung von NS-Zwangsarbeitern

Gelungener Coup

»Lambsdorff beendet glücklich seine Arbeit«, titelte vorige Woche die Westdeutsche Allgemeine Zeitung. Die Reaktionen auf Seiten der NS-Opfer waren verhaltener. Nicht nur, weil sie nach dem Vertragsabschluss ein geschlagenes Jahr warten mussten, bis die deutsche Wirtschaft sich vor weiterer rechtlicher Rechenschaftslegung hinreichend sicher fühlte. Nicht nur, weil mehr als 50 Jahre verstrichen waren, bis die deutsche Gesellschaft gezwungen war, ihre Verweigerungshaltung aufzugeben, und nur ein Bruchteil der früheren Zwangsarbeiter - vielleicht ein Zehntel - überhaupt noch Forderungen zu Papier bringen konnte, sondern auch, weil ungefähr 200 000 von ihnen in diesem Jahr starben.

Zudem war es der deutschen Verhandlungsführung gelungen, etliche Opfergruppen auszuschließen. In der öffentlichen Wahrnehmung waren es vor allem diejenigen, die in der Landwirtschaft Zwangsarbeit hatten verrichten müssen. Otto Graf Lambsdorff befand, sich erinnernd, es sei immer so gewesen, für Entschädigung gebe es deshalb keinen Grund. In Kreisen der Zeitgeschichtsforschung wurde sogar behauptet, dass etliche von ihnen auf deutschen Bauernhöfen die glücklichste Zeit ihres Lebens verbracht hätten.

Zugespitzt wurde die Deutungsmacht der Tätergesellschaft durch ihren Erfolg, das Vertragswerk als Globalabkommen zu konzipieren. Damit soll der Jahrzehnte alte Wunsch Wirklichkeit werden, endgültig von allen Forderungen unbehelligt zu bleiben. Der Richterin Shirley Kram blieb es vorbehalten, auf diesen Aspekt des Abkommens und damit auf den endgültigen Ausschluss etlicher Opfergruppen hinzuweisen.

Als Reaktion verbreitete man die Mär, nichts schade den NS-Verfolgten mehr als die Berücksichtigung ihrer Interessen. Die Richterin hat sich letztendlich gebeugt. Hierzulande ist man deswegen zuversichtlich, nicht nur in entschädigungspolitischer Hinsicht den lang ersehnten Schlussstrich unter die NS-Geschichte ziehen zu können.

Das »Ende der Nachkriegszeit« verkündete die Berliner Zeitung denn auch ihren Leserinnen und Lesern. Daran ist allenfalls richtig, dass der deutschen Wirtschaft mit ihrem erpresserischen Verhalten gegenüber den NS-Opfern ein Coup gelungen ist, wie ihn zuvor nur der NS-Bankier und Vorstandsvorsitzende der Deutschen Bank, Hermann Josef Abs, Anfang der fünfziger Jahre gelandet hatte. Er nannte es offen den »größten Coup seines Lebens«, als er durch das Londoner Schuldenabkommen 1953 nicht zuletzt Entschädigungsleistungen auf die lange Bank schieben und großen Teils sogar ganz verhindern konnte. Doch solle man sich nicht täuschen. Trotz ihres hohen Alters werden die NS-Verfolgten - seien es die Wehrmachtsdeserteure, die Arisierungsgeschädigten oder die Massakeropfer von Distomo - auch jetzt kaum damit aufhören, was sie ihr Leben lang tun mussten: für ihr Recht kämpfen.

Die Sichtweise der Berliner Zeitung ist auch deshalb falsch, weil wir längst wieder in neuen Kriegszeiten leben. Sie werden bekanntlich - »Auschwitz darf sich nicht wiederholen« - auch durch den zynischen Bezug auf die NS-Verbrechen gerechtfertigt. Das groteske Missverhältnis von tatsächlicher Erinnerungsverweigerung bei den eigenen Verbrechen und internationaler Schulmeisterei in Sachen Menschenrechte kommt im Zukunftsfonds als wesentlichem Teil der Stiftung sogar strukturell zum Ausdruck. Deshalb stehen gerade die jetzt beendeten Auseinandersetzungen über die »Spende« (Isaac Singer) der deutschen Wirtschaft für den Zusammenhang zwischen dem andauernden Unwillen zur Aufarbeitung der Geschichte und ihrer ideologisch-propagandistischen Instrumentalisierung.

Wenn die Abgeordneten des Bundestags in dieser Woche mit dem allgemeinen Schulterklopfen beginnen, so sagt das nichts über die Erinnerungskompetenz dieser Gesellschaft aus, aber alles über das politische Geschäft.