Das Yaam

Probier' was Neues diesen Sommer

Gefährliche Orte CXXVIII: Das Multi-Kultur-Projekt Yaam. Hier sollen Jugendliche selbstbestimmt ihre Freizeit gestalten. Weil sich damit kein Geld verdienen lässt, steht bald wieder ein Umzug an.

Trommeln und Reggae, die Frühlingsluft riecht nach Bratwurst und exotischen Gewürzen. An Essenständen schnipseln junge Männer mit bunten T-Shirts Zwiebeln und Möhren in große Pfannen. Fisch-Curry mit Kokossauce wird angepriesen.

Die Saison ist eröffnet, das Multi-Kulti-Projekt Yaam öffnet seine Pforten. Direkt neben dem Berliner Ostbahnhof, dessen pompöse Eingangshalle den anreisenden Schalke-Fans signalisiert, dass sie nun endlich die neue Bundeshauptstadt erreicht haben, hat sich das Yaam für einige Wochen eingerichtet. In der Mitte des Areals, das auf drei Seiten von Fabrikmauern begrenzt wird, steht ein altes Zirkuszelt. Darin pritschen und baggern Jugendliche Bälle über ein Volleyballnetz. Zwischen den Pfeilern eines weiteren Zeltes sind zwei Hängematten gespannt, die Kindern in Badehosen als Schaukel dienen.

Gegenüber braten Bebrillte unterschiedlichen Alters auf Liegestühlen in der Sonne. Manche von ihnen haben Cocktails in der Hand, die an bunt geschmückten Bars verkauft werden. Das Geräusch von über den Asphalt rauschenden Rollerblades schafft es nur hin und wieder, die dröhnende Reggae-Musik zu übertönen. Schwarze Kids mit Rastalocken und Basecaps wiegen sich leicht im Rhythmus der Musik.

Das Yaam, das vom gemeinnützigen Verein Kult e.V. getragen wird, versteht sich als Alternative zu Freizeitangeboten, die allein auf Konsum ausgerichtet sind. Menschen unterschiedlicher Hautfarbe, Kultur und Religion sollen zusammenkommen, so die Idee, um gemeinsam bei Sport und kreativer Betätigung ihre Freizeit zu gestalten. Seit 1994 arbeitet das Projekt in Berlin, mit großem Erfolg: Bis zu zweitausend Kids, Familien mit Kindern, aber auch Weißhaarige mit deutlichen Haarlücken auf dem Kopf tummeln sich bei Wochenendveranstaltungen auf dem Yaam-Gelände. Sie genießen ihre Cola oder den Cocktail in afro-karibischer Atmosphäre, probieren kulinarische Spezialitäten aus aller Welt und hören dabei Reggae.

Den ganzen Sommer lang können vor allem Jugendliche nicht nur an Breakdance-Meetings, Percussion- und Graffitiworkshops, sondern auch an Jam-Sessions oder Konzerten teilnehmen. Bei Skateboardwettbewerben oder Strandfußballturnieren haben Kids auch jenseits von Vereinen oder Schulen die Möglichkeit, sich auszutoben. In multinationalen Teams ohne Schiedsrichter sollen Respekt, Durchsetzungsvermögen, Selbstbewusstsein und Toleranz erlernt werden.

Für die 14jährige Jana, die schon im zweiten Jahr regelmäßig die Veranstaltungen besucht, zählt aber vor allem, »dass ich hier Freunde treffe und machen kann, worauf ich Lust habe«. Die Angebote von Schulen oder Jugendzentren sind Jana »einfach viel zu trocken«. Die Atmosphäre im Yaam findet sie »viel cooler«, selbst im Hochsommer.

Einen Ort »selbstbestimmter Kommunikation« will das Yaam denen bieten, die sonst kaum miteinander in Berührung kommen und in »Ghettostrukturen oder Vorurteilen« voneinander abgeschottet sind. 1998 wurde das Projekt mit der Menschenrechtsauszeichnung der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft, dem »Mete-Eksi-Preis« prämiert, der an einen jungen Türken erinnert, der 1989 in Berlin von einem Deutschen niedergestochen wurde.

Bislang finanziert sich das Projekt ausschließlich aus Eintrittspreisen, die mit rund sechs Mark auch für Taschengeldempfänger erschwinglich sein dürften. Irgendwelche Zuschüsse gibt es nicht. »Inhaltlich finden uns alle gut«, meint Ortwin Rau vom Yaam, »aber wenn es um Geld und konkrete Unterstützung geht, gibt es Probleme.«

Besonders bei der Suche nach einem festen und vor allem im Zentrum gelegenen Standort hat das Projekt immer wieder Schwierigkeiten. Im vergangenen Jahr habe man dem Yaam in völliger Verkennung der Realitäten einen Sportplatz im Außenbezirk Treptow angeboten: »Das ist ignorant, weil sich da viele farbige Leute überhaupt nicht hintrauen.« Immer wieder komme es an S-Bahnhöfen zu Überfällen von Rechten, berichtet Rau. Außerdem sei die Nähe zum Wasser für das Yaam wichtig, weil nur so eine wirkliche Strandatmosphäre entstehen könne.

Weil das Yaam keinen festen Standort hat, muss es durch Berlin vagabundieren und immer wieder nach einem geeigneten Platz suchen. Auch so lernt man die Hauptstadt kennen. Von Kreuzberg, wo das Yaam einem geplanten Einkaufscenter weichen musste, das aber nie gebaut wurde, ging die Reise in den vergangenen Jahren über den Bezirk Treptow nach Friedrichshain. Dort gewährt jetzt das Kultur-und Veranstaltungszentrum Tempodrom für die nächsten Wochen Unterschlupf.

Da hilft der Blinde dem Lahmen: Auch bei dieser Berliner Kult-Institution gab es ein jahrelanges Gezerre um einen geeigneten Standort, nachdem das Tempodrom sein Zelt im Tiergarten hatte abbauen müssen, um dem neuen Kanzleramt Platz zu machen. Mittlerweile ist das Tempodrom aber sesshaft geworden und hat sich ein 43,6 Millionen Mark teures Gebäude in Berlins Mitte gegönnt, in dem ab November Veranstaltungen stattfinden werden.

Das hilft dem nicht profitorientierten Yaam aber auch nicht weiter. »Mit uns ist kein Geld zu verdienen«, klagt Ortwin Rau, »und darum müssen wir immer wieder dem Profit weichen.« Ab Mitte Juli wird das Yaam wieder neben dem Veranstaltungszentrum Arena im Berliner Bezirk Treptow gastieren, wo derzeit Peter Stein seinen »Faust« aufführt. Die Eintrittspreise für diese Veranstaltung, die auch internationale Beachtung findet, liegen im dreistelligen Bereich. Das ist auch wirtschaftlich für den Bezirk interessant.

Zwar stimmen auf diesem Gelände die Bedingungen, weil das Grundstück direkt an der Spree liegt. Aber auch hier hat sich bereits ein millionenschwerer Investor gefunden, der ab 2002 einen Yachthafen für Sportboote und Hotelschiffe betreiben will. Der zuständige Bezirk hat gerade seine Zustimmung erteilt. Schlechte Zeiten für Projekte, die mit Samba gegen den Konsum bestehen wollen.