Pannen bei Ford und Firestone

Salto mortale

Für einen zünftigen Überschlag im Straßenverkehr empfiehlt sich ein Ford-Explorer-SUV mit Firestone-Reifen.

Zum ersten Mal müssen der Automobilbauer Ford und sein Reifenlieferant Firestone zu Beginn des Jahres 2000 geahnt haben, dass irgendetwas nicht stimmt. Nachdem in Venezuela mehrere Fahrer von Explorer-SUVs nach Reifenplatzern ums Leben gekommen waren, entschied man sich aber zunächst dafür, sicherheitshalber nichts zu tun.

SUV bedeutet schließlich Sport Utility Vehicle, und Besitzer solcher Pseudo-Geländewagen sind in der ganzen Welt berüchtigt dafür, dass sie im Zweifel aufs Gaspedal treten. Was machte es da schon, dass die venezolanische Verbraucherschutzbehörde nur wenig später juristische Schritte von der Regierung verlangte und sogar der Präsident schließlich der Firma Ford Konstruktionsfehler vorwarf?

Blöderweise konzentrierte man sich danach plötzlich auch in den USA auf mögliche Sicherheitsmängel der Explorer. 65 Fahrer waren dort bis zum Sommer 2000 ums Leben gekommen, im September begann deswegen eine der größten Rückrufaktionen in der Geschichte des modernen Reifenhandels. Es habe eine Fabrikationspanne im Firestone-Werk Decatur, Illinois gegeben, hieß es, die mit den venezolanischen Reifenproblemen selbstverständlich überhaupt nichts zu tun habe. 6,5 Millionen Reifen, hauptsächlich von Explorern, wurden damals ersetzt.

Nun geht der große Reifentausch jedoch wieder los. Ford werde bis zu 13 Millionen hauptsächlich auf Ford Explorer montierte Firestone-Reifen durch Fabrikate anderer Hersteller ersetzen, gab Vizepräsident John Rintamaki am Mittwoch vergangener Woche auf einer eilig anberaumten Pressekonferenz in Detroit bekannt. Dabei handele es sich nicht um einen Rückruf, sondern um eine Kundenkampagne, teilte er mit; Ford ist schließlich nicht befugt, Produkte anderer Hersteller einfach so zurückzurufen. Zuvor hatte Firestone nach neuen Vorwürfen einseitig alle US-Verträge mit Ford gekündigt, was dem Autobauer nicht unbedingt gelegen kam. Denn wenige Tage vorher hatte er den neuen Explorer 2002 zurückrufen müssen.

Mittlerweile sind auf US-amerikanischen Straßen insgesamt 174 Menschen in Explorern tödlich verunglückt, im Herbst wird sich der Kongress mit der Ursachenforschung beschäftigen. Deswegen versuchen beide Firmen nun, demonstrativ Punkte zu machen. Jaques Nasser, Executive und Präsident von Ford, erklärte am Mittwochnachmittag bei einem Treffen mit Kongressabgeordneten in Washington, dass die Versagerquote beim Firestone Reifenmodell Wilderness AT ungefähr dreimal so hoch sei wie im Industriedurchschnitt, 15 von einer Million Exemplaren wiesen Mängel auf. Beim Firestone-Rückruf vom 9. August letzten Jahres hatte die Fehlerquote allerdings beträchtlich mehr, zwischen 60 und 200 pro Million, betragen.

Kaum verwunderlich, dass Firestone die von Nasser genannte Zahl umgehend zurückwies: »Unsere Reifen sind sicher. Wenn ein Problem auftreten sollte, geben wir es einfach zu und stellen es ab, das haben wir ja bereits bewiesen. Um was es hier wirklich geht, ist die Sicherheit des Explorers.« Eine aktuelle Untersuchung zeige, dass sich wesentlich mehr Explorer nach Reifenplatzern überschlügen als andere Geländewagen. Grund dafür sei u.a. ihr hohes Gewicht.

Die für Ford bis drei Milliarden Dollar teure Umtausch-Aktion markiert aber nicht nur das Ende einer fast hundertjährigen Geschäftsbeziehung. William Clay Ford jr. ist der Urgroßenkel von Harvey S. Firestone, dem Gründer des Reifenherstellers, der ein sehr enger Freund von Henry Ford war. Dass Ford jr. sich auf dieser Pressekonferenz zurückhielt, wurde von allen US-Berichterstattern besonders betont. Die letzte Rückrufaktion habe ihn »bereits so sehr geschmerzt«.

Und die Explorer überschlugen sich munter weiter. Ein Großteil der Crahs ereignete sich in den so genannten Sonnenstaaten wie Texas. Nach dem Rückruf waren sowohl Ford als auch Firestone jedoch davon ausgegangen, dass das Problem erledigt sei. Ford hatte noch am 28. März dieses Jahres erklärt, alle anderen Firestone-Pneus für absolut sicher zu halten.

Allerdings dürfte sich die Allianz mit dem Reifenhersteller für den Autobauer seit dem Rückruf nicht unbedingt gelohnt haben, wie die New York Times berichtet. Käufer des neuen Explorer konnten sich demnach zwischen Firestone-, Goodyear-, und Michelinreifen entscheiden. Nur zwei Prozent der Kunden wollten mit Firestone fahren.

Bleibt die Frage, was den Tod von 174 Menschen verursachte. Die Verbraucherschutzgruppe Public Citizen und das von Anwälten, die sich für Opfer von Reifenschäden engagieren, gegründete Safetyforum sehen Ford mindestens als Mitschuldigen. Der Autohersteller habe die Zusammensetzung der Pneus selbst festgelegt und zudem einen wesentlich niedrigeren Reifendruck empfohlen als Firestone. Außerdem sei der Explorer so konstruiert, dass er bei einem Reifenplatzer nur sehr schwer zu kontrollieren sei. Die Rolle von Firestone wolle man »auf keinen Fall herunterspielen, aber die Wurzel des Problems liegt bei der Ford Motor Company«.

Stoff genug für weitere Anschuldigungen und Unschuldsbeteuerungen. Gegenüber der Washington Post äußerten sich PR-Experten entsetzt über das bisherige Ausmaß der Schlammschlacht. Der Schaden werde immens sein, unbeschädigt werde keines der beiden Unternehmen aus der Affäre hervorgehen, die durch das öffentliche Interesse zudem immer weiter aufgeheizt werde. Falls die Äußerung eines anonymen Ford-Managers zutrifft, muss mit einer weiteren Eskalation gerechnet werden: »Wenn die Leute von Firestone sich während Rückrufaktion im letzten Jahr so fühlten, als seien sie von einem Bus überrollt worden, dann sollen sie mal abwarten, bis diese Runde richtig in Gang gekommen ist.«