Kritik an der Zypern-Politik der Türkei

Segregation im Kaffeehaus

Auch die türkischen BürgerInnen im Norden der Insel zweifeln an der Zypernpolitik der Türkei. Eine Reportage

Bis fünf müssen sie wieder hier sein, sonst lassen wir sie nicht wieder rein.« Der Grenzbeamte grinst breit und trägt Namen und Uhrzeit in ein großes Buch ein. Es ist noch ein guter Kilometer bis zum türkischen Grenzposten. Man geht an großen Schildern vorbei, die blutüberströmte Menschen abbilden. Ein Bild zeigt einen erschossenen Griechen, der versucht hatte, innerhalb der Pufferzone die türkische Fahne vom Mast zu holen. Mit einem Kopfschuss wurde der Mann damals von einem türkischen Fanatiker getötet. »Verurteilt die Menschenrechtsverletzungen der Türkei«, steht über dem Schild. 50 Meter weiter steht ein Blauhelm-Soldat vor dem ehemaligen Ledra Palace-Hotel, einem klotzigen Hotelbau im Kolonialstil, der in früheren Zeiten das Prachthotel von Lefkosia war. Jetzt hat hier die Uno ihr Quartier.

Über dem türkischen Grenzübergang hängt ein großes Schild mit der Aufschrift: »ewiges Vaterland«. Man sollte sich an der nordzypriotischen Grenze besser nicht als reisende Journalistin zu erkennen geben, denn sonst bekommt man eine Zwangsbegleitung. Fatma Ekmekçi vom Amt für Presse und Information wird herbeibestellt. Der nördliche Teil von Lefkosia sieht auf den ersten Blick nicht anders aus als der südliche. Rund um die Pufferzone stehen verwahrloste leere Häuser. Überall prangt das Konterfei des türkischen Staatsgründers Atatürk oder des Ministerpräsidenten der Türkischen Republik Nordzypern, Rauf Denktash.

Unser Weg führt uns zunächst zur Universität des östlichen Mittelmeers. Dort wartet Erdem Serifoelu auf uns. Der 17jährige ist Student der Luftfahrt. Während Erdem mir begeistert Farmagusta zeigt, die alte zypriotische Stadt mit dem Anfang der siebziger Jahre von der türkischen Armee besetzten ehemaligen Geschäftsviertel Maraß, und wehmütig vergangene Zeiten preist, ist Fatma Ekmekçi bemüht, uns zu erklären, dass wir das »befreite« Farmagusta sehen.

Anschließend zeigt uns Erdem das Viertel, in dem er mit seiner Familie wohnt. Früher lebten hier vor allem griechische Zyprioten. Nach der Besetzung im Jahr 1974 und der Vertreibung der griechisch-zypriotischen Bevölkerung verstaatlichte die von der Türkei eingesetzte Schattenregierung die Besitztümer.

Erdem ist das peinlich. Denn auch seine Eltern haben in diesem Viertel sehr billig ein Haus erworben. Gleichzeitig erbost er sich über die anatolischen Nachbarn. Systematisch wurden hier seit 1974 Migranten aus Anatolien angesiedelt, die das Denktash-Regime stützen. Die Republik Nordzypern wird von keinem Staat anerkannt, offiziell selbst von der Türkei nicht. Deshalb verhandelt auch nur die südzypriotische Regierung mit der EU über einen Beitritt der Insel. Sie wird dabei von allen Parteien, die sich an den Parlamentswahlen am vergangenen Sonntag beteiligten, unterstützt.

Der Norden hingegen ist ein Satellitenstaat, eine Grauzone, in der sich unter anderem islamistische Vereine oder die Jugendorganisation der faschistischen Grauen Wölfe herumtreiben. Sie haben hier ihr Hauptquartier und agieren ganz offen mit islamistisch aufgepeppten rassistischen Slogans.

Fatma Ekmekçi hingegen hat Verwandte, die während der sechziger Jahre Opfer von Pogromen an der türkischen Bevölkerung der Insel wurden, als das Regime des Erzbischofs und Staatspräsidenten Makarios versuchte, die Vereinigung mit Griechenland durchzusetzen. Ein Onkel wurde in einem Dorf ermordet, seine Leiche hat man nie gefunden.

Wir fahren in dieses Dorf in Karpassia. Dort treffen wir Ismael Cemal. Seine Familie stammt aus Lemasol im Süden. Doch er hat jahrelang in Kanada gelebt und besitzt einen gewissen Abstand zu seiner Herkunft. Ganz bewusst kaufte er in Büyükkonak ein Stück Land, das nicht griechischen InselbewohnerInnen gehörte.

Am zweiten Tag unseres Besuchs erzählt er mir Fatmas Geschichte. »Du musst verstehen, dass hier viel Blut geflossen ist auf beiden Seiten.« Sie glaubt daran, dass der Norden Zyperns von der Türkei geschützt wird. Gleichzeitig leidet sie wie alle türkischen Zyprioten an der internationalen Ächtung des Nordens. Aber wegen ihres Jobs darf sie keine offene Kritik an der Zypernpolitik der Türkei üben.

Doch von Erdem trennen sie Welten. Er hat ein Stipendium für ein Studium in den USA erhalten. Ebenso wie Ismail Cemals Tochter Tanyel. Erdem und Tanyel nahmen vor einem Jahr an einem Jugendcamp der Fullbright-Stiftung mit dem Namen »Seeds for Peace« teil. In Camps dieser Art lernen sich Jugendliche verfeindeter Bevölkerungsgruppen kennen: PalästinenserInnen und Israelis, BosnierInnen und SerbInnen, türkische und griechische ZypriotInnen.

Erdem und Tanyel berichten begeistert von ihren Erfahrungen. Denn sie träumten vom goldenen Süden der Insel, haben nun jedoch gelernt, dass sie das gleiche erleben wie die Jugendlichen aus eben diesem Süden: Desinformation und Feindbilder. Tanyel wird wie Erdem ins Ausland gehen, was sollte sie auch hier halten?

Fatma Ekmekçi hört den jungen Leuten schweigend zu. Sie weiß, dass sie hier bleiben muss. Später sagt sie zu mir: »Ich weiß gar nicht, warum du in Istanbul lebst, in diesem unterentwickelten Land.« Ich schaue sie erstaunt an, denn ist die Türkei nicht das ideologische Mutterland Nordzyperns? Nun höre ich zwischen ihren Worten, dass sie dieses Dasein in einem Satellitenstaat hasst. Sie erzählt mir, dass sie die Situation der Frauen in der Türkei und das so genannte Kurdenproblem nicht versteht. Offenbar fühlt sich auch Fatma nicht als Türkin, sondern als Zypriotin.

Am Schluss unserer Reise treffen wir uns alle in Pyla wieder, dem einzigen Ort auf Zypern, in dem unter dem Banner der UN noch griechische und türkische Zyprioten zusammenleben. Doch Pyla ist eine zynische Karikatur der Verhältnisse. Auf dem Marktplatz gibt es ein türkisch-zypriotisches und griechisch-zypriotisches Café, beide tragen entsprechende nationalistische Namen: »Café religiöser Vereinigung« auf der griechischen und »Café nationalistischer Einheit« auf der türkisch-zypriotischen Seite. Die gesamte Struktur bedeutet eigentlich nur eins: Segregation.

Aber es ist der einzige Grenzübergang, wo die Nord- und SüdzypriotInnen zusammenkommen können. Deshalb trifft sich auch die Friedensbewegung in Pyla. Erdem, Tanyel, Ismail Cemal und seine Frau versammeln sich vor dem so genannten Friedenshaus, an einem unwirklichen Ort. Währenddessen geht Ismail Cemal wie selbstverständlich in ein türkisches Kaffeehaus. Dort setzt er sich mit Leuten zusammen, deren politische Meinung er nicht teilt. Aber ein türkischer Zypriot sitzt eben in einem türkisch-zypriotischen Kaffeehaus. Auf die andere Seite kann und darf er nicht gehen.