Schily will Konsens mit CDU und CSU

Das System will atmen

Für seine Pläne zur Einwanderungspolitik sucht Innenminister Otto Schily die Zustimmung der Union. Doch CDU und CSU wollen sich das Thema lieber für den nächsten Wahlkampf aufsparen.

Otto Schily betont es immer wieder. Bei der Neuregelung der Zuwanderung komme es besonders darauf an, einen Konsens zu finden. »Ich suche die Einigung mit allen«, sagte der Bundesinnenminister am Freitag letzter Woche in Berlin, als er erstmals seine Pläne für eine umfassende Änderung des Ausländergesetzes präsentierte. Einen entsprechenden Gesetzesentwurf will er im September vorlegen.

Jetzt sucht Schily vor allem die Zustimmung der Union. Er wurde in den letzten Wochen nicht müde, CDU und CSU zu Konsensgesprächen über das geplante Zuwanderungsgesetz einzuladen, was die Union jedoch ablehnte. »Mit uns gibt es keine Runden Tische«, versicherte der Fraktionsvorsitzende Friedrich Merz am vergangenen Mittwoch der Süddeutschen Zeitung. Saarlands Ministerpräsident Peter Müller (CDU) sagte am Sonnabend, dass die Vorlage eines Gesamtkonzeptes der Regierungskoalition eine »unverzichtbare Bedingung« für einen Konsens sei.

Deutlicher wurde die CDU-Vorsitzende Angela Merkel. In der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung drohte sie der Koalition damit, die »Zuwanderungsfrage« zum Wahlkampfthema zu machen. Welches enorme Mobilisierungspotenzial im Thema Zuwanderung steckt, hat die Union bereits mit ihrer Kampagne gegen die doppelte Staatsbürgerschaft in Hessen bewiesen.

Angesichts der guten Umfrageergebnisse, die Bundeskanzler Gerhard Schröder in jüngster Zeit verbuchen konnte, und wegen des miserablen Erscheinungsbildes der eigenen Partei wird es sich die CDU wohl nicht nehmen lassen, bei den Bundestagswahlen im nächsten Jahr mit rassistischen Parolen auf Stimmenfang zu gehen. In einem Land, in dem rund ein Sechstel der Einwohner über ein geschlossenes rechtsradikales Weltbild verfügt und in dem sich nach Umfragen 75 Prozent gegen eine höhere Zahl von Immigranten aussprechen, hat diese Strategie durchaus Aussicht auf Erfolg.

Das wissen auch die Sozialdemokraten, die bisher alles daran setzten, das Thema aus dem Wahlkampf herauszuhalten. Doch dieses Vorhaben scheint angesichts der jüngsten Verlautbarungen aus den Reihen der Union nun gründlich gescheitert zu sein. Der Kampf um die Macht geht vor. Eher werde ein Hund einen Wurstvorrat anlegen, als dass die Union auf das Thema Zuwanderung im Wahlkampf verzichtet, meinte der SPD-Mann Ludwig Stiegler dieser Tage.

Dabei gibt es keine inhaltlichen Gründe, warum sich SPD und Union nicht einigen sollten. So sind die Eckpunkte, die die Union zum Thema Einwanderung jüngst vorgelegt hat, für den innenpolitischen Sprecher der SPD-Fraktion, Dieter Wiefelspütz, »ein achtbares Papier«, das viele Übereinstimmungen mit den Positionen der SPD aufweise. Das Unionskonzept sieht im Kern den Zuzug hochqualifizierter Arbeitskräfte und zugleich die Begrenzung der Anzahl von Asylbewerbern vor.

Die Forderung der CDU, die Anzahl der Arbeitsmigranten und Flüchtlinge zu koppeln, lehnt Schily zwar ab. Dafür will er - was durchaus löblich ist - den zur Willkür geradezu einladenden Wirrwarr im Aufenthaltsrecht durch zwei verschiedene Aufenthaltsstatuten beseitigen. Künftig soll es eine Genehmigung für den vorrübergehenden und eine für den dauerhaften Aufenthalt geben. Das Bundesamt für Asyl im bayerischen Zirndorf soll zu diesem Zweck in eine zentrale Migrationsbehörde verwandelt werden.

Um der Union doch noch entgegenzukommen, plant Schily eine weitere Verschärfung des Asylrechts und erweist sich damit einmal mehr als Manfred Kanthers würdiger Nachfolger. So soll das Asylverfahren derart gestrafft werden, dass Flüchtlinge in Zukunft nach spätestens sechs Monaten abgeschoben werden können.

Dasselbe forderte auch die Zuwanderungskommission der Bundesregierung, die von Rita Süssmuth (CDU) geleitet wird. Schilys Pläne orientieren sich maßgeblich an ihren Vorschlägen. Der Abschlussbericht soll am 4. Juli der Öffentlichkeit vorgestellt werden, doch in der vergangenen Woche sind bereits die ersten Ergebnisse an die Öffentlichkeit gelangt.

Geht es nach dieser Kommission, sollen in Zukunft »vor allem junge, gut qualifizierte Menschen« nach Deutschland kommen dürfen, die dem Standort Deutschland nützen. Die Zahl der Arbeitsmigranten, die man benötige, wird auf 20 000 pro Jahr geschätzt. Genauso viele dürfen dem Vernehmen nach auf eine befristete Arbeitserlaubnis hoffen, falls es in bestimmten Branchen zu einem Fachkräftemangel kommt. Von jährlichen Quoten für Arbeitsmigranten, wie sie die Kommission fordert, will Schily jedoch nichts wissen. Sein Ziel sei ein »atmendes System«, das sich schnell auf die Bedürfnisse der Wirtschaft einstelle.

Was das heißen soll, hat der Bundesverband der deutschen Industrie (BDI) bereits deutlich gemacht. Eine »geregelte und flexible Zuwanderungspolitik« müsse her, denn trotz einer Gesamtzahl von immer noch rund vier Millionen Arbeitslosen seien 1,5 Millionen Stellen praktisch nicht zu besetzen. So fehlten in der IT-Branche allein 440 000, in der Metall- und Elektroindustrie 40 000 gut ausgebildete Fachkräfte. Und in der Gastronomie und in den Pflegeberufen würden rund 130 000 Arbeitskräfte dringend gesucht. Allerdings keine hochbezahlten Fachkräfte, sondern solche, die ihre Arbeit auch gerne für etwas weniger Geld erledigen.

Damit nur solche Menschen ins Land kommen, die den Bedürfnissen der Wirtschaft entsprechen, sollen sich die Migranten künftig einem Auswahlverfahren unterwerfen, das dem kanadischen Punktesystem folgt. Wie dieses System später einmal funktionieren soll, hat sich die Süssmuth-Kommission bereits ausgedacht. Wer älter als 45 Jahre ist, kommt als Bewerber gar nicht erst in Frage, für jedes Jahr weniger wird ein Punkt vergeben. Bonuspunkte können Bewerber mit guten Sprachkenntnissen und »guter Anpassungsfähigkeit« für sich verbuchen. Doch bevor eine Person dann wirklich einwandern darf, muss sie noch ihre Gesundheit und ihre politische Zuverlässigkeit beweisen. Ob der »Leumund« des potenziellen Standortverstärkers gut genug ist oder nicht, das sollen »die deutschen Auslandsvertretungen« vor Ort überprüfen.

Asylbewerber sollen freilich von dem Punktesystem ausgeschlossen bleiben; für den deutschen Arbeitsmarkt soll man sich nur außerhalb der deutschen Staatsgrenzen bewerben dürfen.

Da ist es nur folgerichtig, dass die Kommission eine Rücknahme des Asylkompromisses ausdrücklich ablehnt. Denn sie müsste »zur Abschaffung essenzieller zugangsbegrenzender Elemente« führen.

Eine Lockerung der seit 1993 beständig verschärften Asylgesetzgebung will nun wirklich keiner. Nur die Grünen verlangen derzeit noch, das Asylrecht auszuweiten und nichtstaatliche Verfolgung oder Folter als Asylgründe anzuerkennen. Ansonsten sind in der Zuwanderungspolitik eigentlich alle einer Meinung. Der nationale Konsens, dass »die deutsche Wirtschaft« Ausländer brauche und dass nur diejenigen rein dürfen, die auch verwertbar sind, reicht von der CSU bis zur PDS.

Wie die SPD hoffen auch die Grünen darauf, dass die Union am Ende doch noch ins gemeinsame Boot klettert. »Wir wollen bei diesem Thema einen möglichst breiten Konsens«, sagte die Fraktionssprecherin Kerstin Müller in der letzten Woche. Zugleich betrachten die Grünen die sozialdemokratischen Avancen gegenüber der Union durchaus mit einigem Misstrauen. Sollten sich SPD und CDU/CSU doch noch einigen, dann dürfte die von beiden gewollte weitere Verschärfung des Asylrechts ebenfalls kommen. Dies könnten die Grünen ihrer eigenen Klientel nach dem angeblichen Atomausstieg und dem Kompromiss beim neuen Staatsbürgerrecht aber kaum noch verkaufen. Erst auf der letzten Bundesdelegiertenversammlung verabschiedete die grüne Basis zum Schrecken der Parteispitze die Forderung, das alte Asylrecht wieder herzustellen. Doch davon ist in der derzeitigen Diskussion über die Zuwanderungspolitik nichts zu hören.