Soldatenfriedhof im russischen Sologubowka

Viel Platz für deutsche Knochen

Auf dem Soldatenfriedhof im russischen Sologubowka werden die Täter der Wehrmacht zu Opfern stilisiert.

Die Information erhalten wir im zentralen Tourismusbüro am Newskij Prospekt, der größten Pracht- und Geschäftsstraße von St. Petersburg. Dort blickt jeder Besucher gleich hinter dem Eingang auf die kostenlos ausliegende St. Petersburgische Zeitung, »gegründet 1727, 1916 Erscheinen eingestellt, 1991 wiedergegründet«, herausgegeben von der Deutschen Gesellschaft St. Petersburg. Während auf den Innenseiten zu den beliebten Treffpunkten der deutschen Touristen und Geschäftsleute eingeladen wird, sind auf dem Titelfoto »niedergelegte Kränze vor dem Eingang des deutschen Soldatenfriedhofs in Sologubowka« zu sehen.

Der Aufmachertext informiert darüber, dass dieser »weltweit größte deutsche Soldatenfriedhof« im September 2000 in Anwesenheit des Hamburger Bürgermeisters Ortwin Runde, des deutschen Botschafters und des Verteidigungsattachés eröffnet wurde. Bereits jetzt sind die Knochen von 20 000 deutschen Frontkämpfern versammelt, in wenigen Jahren sollen dort »rund 80 000 Gefallene liegen«. Sologubowka liegt 70 Kilometer südöstlich von St. Petersburg, innerhalb des deutschen Belagerungsringes, der zwischen 1941 und 1944 zur Aushungerung um das damalige Leningrad gelegt wurde, an einer Stelle, wo es beim erfolgreichen Durchbruch sowjetischer Truppen zu den heftigsten Kämpfen kam.

Auf der Zugfahrt nach Sologubowka preisen in den vollbesetzten Waggons manchmal drei Händler gleichzeitig ihre Waren an, von Glühbirnen über Putzlappen bis zu Schokoriegeln, meistens »Made in Germany«. An der kleinen Zugstation weist eine Bäuerin uns den Weg. Das Dorf ist geprägt durch ärmliche Holzhäuser, deren Dächer vom Einsturz bedroht sind und durch deren zerborstene Fensterscheiben der Wind weht.

Im Dorfinneren aber bietet sich ein erstaunlicher Anblick. Auf dem frischen Asphalt verlaufen die hier vollkommen unüblichen deutschen Mittelstreifen, an der zentralen Bushaltestelle des Ortes sieht man deutsche Zebrastreifen und die für deutsche Städte typische Fußgängerbeschilderung. Das haben die Deutschen finanziert, kurz bevor das Fernsehen zur Eröffnung des Soldatenfriedhofes kam, erklären uns auf den Bus wartende Dorfbewohnerinnen.

Die Straße führt einen Hügel hinauf, dann biegt ein asphaltierter Weg nach rechts. Hier sind wir richtig, das zeigen schon die penibel eingezäunten deutschen Bäume am Wegesrand. Ein Schild des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge an der Ruine einer bis auf die Grundmauern zerstörten russisch-orthodoxen Kirche klärt uns auf, dass sie als »deutsch-russisches Versöhnungsprojekt« demnächst wieder aufgebaut werden soll.

Deutsch-russische Versöhnung heißt: ein Gebetsraum für die Russen im Erdgeschoss und eine Gedenkhalle mit Fotos und anderen Reliquien für die deutschen Russlandkämpfer im Kellergewölbe. Auf seiner Präsentationsseite im Internet berichtet der Volksbund: »Das Unglück der Kirche Mariä Himmelfahrt begann in den zwanziger Jahren unseres Jahrhunderts. Zuerst wurde sie ausgeplündert. (...) 1937 wurde die Kirche geschlossen; am 4. November 1937 wurde der Priester verhaftet und einige Tage später erschossen. (...) Dann kam der Zweite Weltkrieg. Deutsche Truppen nutzten den Keller der Kirche als Lazarett. Sie diente aber auch als Gefängnis für russische Kriegsgefangene. Das Gebäude blieb unbeschädigt, nur der große Turm wurde teilweise abgetragen, weil die russische Artillerie ihn als Zielpunkt für einen nahegelegenen deutschen Feldflugplatz benutzte. Nach dem Krieg durfte die Kirche nicht mehr als Gotteshaus dienen. (...) Nach dem Zusammenbruch des Sowjetsystems hat sich vieles geändert. (...) Die orthodoxe Gemeinde ist bereit, dem Volksbund das Untergeschoss des Gebäudes zur Verfügung zu stellen - dort, wo während des Krieges das deutsche Lazarett eingerichtet war. Nach einem seriösen Gutachten wird die Restaurierung der Kirche rund 1,5 Millionen Mark kosten. Im Gebäude können die Namen der Gefallenen dokumentiert werden.«

Noch vor dem Eingangstor, gleich neben den beiden deutschen Toilettencontainern, stoßen wir auf die »Madonna von Nagasaki«, eine Plastik der deutschen Künstlerin Yrsa von Leistner, die keine Täter, sondern nur Opfer des Zweiten Weltkrieges kennt. Die Namen der deutschen Täter, die sich am Überfall auf die Sowjetunion und an der Aushungerung Leningrads beteiligten, der mehr als eine Million BewohnerInnen zum Opfer fiel, sind in riesige Steintafeln am Friedhofseingang säuberlich in alphabetischer Reihenfolge eingemeißelt. »Da die Zubettung Gefallener noch einige Jahre andauern wird, werden die Tafeln nach und nach ergänzt. Es sollen aber nicht nur die Namen der identifizierten Toten, sondern darüber hinaus die Namen aller bei Leningrad gefallenen und vermissten deutschen Soldaten aufgeführt werden.«

Die Knochen der - »nach mehrjährigen Verhandlungen« - hier bisher von den »Mitarbeitern des Volksbund-Umbettungsdienstes« zusammengescharrten 20 000 deutschen Soldaten liegen auf mehreren Grabfeldern unter frisch eingesätem deutschen Rasen und weißen Steinkreuzen. Dazwischen ist noch viel Platz für die geplanten Knochensammlungen der nächsten Jahre. In der Mitte der Anlage ragt ein großes Holzkreuz aus dem Boden, davor eine Tafel, auf der die Täter der deutschen Wehrmacht zu Opfern stilisiert werden.

Sologubowka ist Teil einer groß angelegten Russlandoffensive des Volksbundes in den letzten Jahren, bisher sind 13 zentrale deutsche Kriegsgräberstätten und fast hundert Kriegsgefangenenfriedhöfe in Russland eröffnet worden. Der Volksbund ist gewiss, »dass Sologubowka eine der am häufigsten besuchten deutschen Kriegsgräberstätten in Osteuropa wird«.