Neue Mehrheitsverhältnisse im US-Senat

Wandel ohne Wahlen

Nach dem Fraktionswechsel des republikanischen Senators Jeffords hat die Opposition in den USA wieder die Möglichkeit, die konservative Politik Bushs zu bremsen.

Ganze vier Monate dauerte die Alleinherrschaft der Republikanischen Partei. Mit dem Fraktionswechsel des liberalen Senators James Jeffords ist seit vergangener Woche der Normalzustand des »divided government« in Washington wiederhergestellt. Die Republikaner kontrollieren die Regierung und das Repräsentantenhaus, die Demokraten stellen die Mehrheit im Senat. Und nicht ein einziger Wähler musste eine Stimme abgeben.

Bei den Wahlen vom vergangenen November hatte George Bush zwar 0,3 Prozent weniger Stimmen als Al Gore erhalten, bekam aber wegen des föderalen Wahlsystems und einer Entscheidung des Obersten Bundesgerichts die Präsidentschaft zugesprochen. Unter den 435 Abgeordneten des Repräsentantenhauses verfügen die Republikaner über einen Vorsprung von neun Sitzen. Und im mächtigeren Senat gab es zwar ein Patt, aber weil die Stimme des Vizepräsidenten den Ausschlag gibt, hatten auch hier die Republikaner die Mehrheit. So konnten sie zum ersten Mal seit 50 Jahren die Präsidentschaft, beide Parlamentskammern und das Bundesgericht kontrollieren.

Doch Ende Mai trat der 67jährige James Jeffords, ein republikanischer Senator aus dem Kleinstaat Vermont, aus seiner Fraktion aus und schloss sich als Parteiloser den Demokraten an. Seitdem haben die Demokraten eine Mehrheit von 50 zu 49 Sitzen und können die Vorsitzenden aller Senatsausschüsse stellen. Die Demokraten bestimmen die Geschäftsordnung und entscheiden, wann über welche Gesetzesentwürfe oder Personalien abgestimmt wird.

Damit können sie Bushs Initiativen monatelang verzögern oder gar ganz verhindern. Am Abstimmungsverhalten im Senat wird sich durch den Fraktionswechsel dagegen nichts ändern. In seinen 13 Senatsjahren hat Jeffords ohnehin schon häufig mit den Demokraten gestimmt. Gleichzeitig unterstützen viele konservative Demokraten Gesetzesvorlagen der Republikaner.

Bush, der in seinem Wahlkampf einen »mitfühlenden Konservatismus« versprochen hatte, schlug nach seiner gerichtlichen Ernennung zum Präsidenten einen scharf rechten Kurs ein. Geschickt bediente er die verschiedenen Flügel seiner konservativen Basis. Mit der Nominierung des christlichen Fundamentalisten John Ashcroft zum Innen- und Justizminister (Jungle World, 2/01), mit Erlassen gegen die Abtreibung und mit Maßnahmen, die langfristig zur Beseitigung der Trennung von Kirche und Staat führen können, beglückte Bush die religiöse Rechte. Mit der Rücknahme von Arbeitsschutzvorschriften, seiner ersten Amtshandlung, und mit Milliarden-Programmen in der Rüstungs- und Energiepolitik bediente er die Interessen der Industrie. Und die jüngst verabschiedeten Steuersenkungen - 1 350 Milliarden Dollar bis zum Jahr 2011, die vor allem den Besserverdienenden und Reichen zugute kommen - sind das Herzstück des republikanischen Regierungsprogramms.

Dabei geht es nicht etwa um eine Belebung der schwächelnden Konjunktur; die Republikaner verfolgen mit ihren Steuersenkungen vor allem politische Absichten. So ist es das erklärte Ziel von Grover Norquist, dem »vermutlich wichtigsten rechten Strategen« (The Nation) in Washington, »to cut government in half«, wobei er es selbstverständlich nicht etwa auf das Militär und den Repressionsapparat abgesehen hat, sondern auf die Reste des Sozialstaats. Nach der Steuerabstimmung triumphierte Norquist, für etwaige neue Sozialprogramme sei nun schlicht kein Geld mehr da: »Nichts, was die Demokraten wollen, ist kostenlos zu haben.«

Doch der rechte Durchmarsch forderte seinen Preis. Jeffords fühlte sich nach eigenem Bekunden in seiner Partei isoliert. Hinzu kamen persönliche Kränkungen. So drohte Bush, man werde die Zuschüsse für Milchbauern kürzen, wenn Jeffords dem Steuerprogramm nicht zustimme. Das hätte Vermont schwer getroffen, für Jeffords war das Maß voll. Rechte Ideologen sehen seinen Austritt nicht ungern: »Extremistischer Senator verlässt die Partei«, titelte etwa das reaktionäre Journal Human Events.

Ein weiterer entscheidender Punkt für Jeffords war das Energieprogramm, das Bush im Mai präsentierte. Demnach sollen in den USA bis 2030 mindestens 1 300 neue Kraftwerke gebaut werden, darunter - erstmals seit dem Reaktorunfall von Harrisburg im Jahr 1979 - auch Atomkraftwerke. Außerdem will Bush Ölbohrungen in einem großen Naturschutzgebiet in Alaska zulassen. Gleichzeitig machte sich sein Vize Dick Cheney, wie Bush ein früherer Manager in der Erdölbranche, über das Energiesparen als »persönliche Tugend« lustig, die aber politisch wirkungslos sei. Eine Kontrolle der rapide steigenden Energiepreise, die nach einem Gesetz aus den dreißiger Jahren zulässig wäre, lehnen die Republikaner strikt ab. Bei diesem Thema können die Demokraten ihre neue Mehrheit im Senat ausspielen, also hat der neue zuständige Ausschussvorsitzende bereits angekündigt, er werde die Preispolitik der Energiekonzerne untersuchen lassen.

Ein anderer Ausschuss will die eigentlich längst überfällige Erhöhung des gesetzlichen Mindestlohns auf die Tagesordnung setzen. Und der neue Mehrheitsführer im Senat, der Demokrat Tom Daschle, will dem von Bush betriebenen Raketenabwehrprogramm die Zustimmung versagen. Hier zeigt sich allerdings auch, wie gering die Unterschiede zwischen den beiden großen Parteien sind. Während Bush die Raketenabwehr grundsätzlich befürwortet, obwohl sie noch gar nicht einsatzfähig ist, will Daschle - ebenso wie vorher William Clinton - vorläufig nur die Entwicklung des neuen Systems finanzieren und über die Stationierung erst später entscheiden. So hat das »divided government« in Washington seit jeher wenig mit fundamentalen politischen Differenzen zwischen den beiden großen Parteien zu tun, es besteht vielmehr in einer Aufteilung der attraktivsten Posten und einer gedeihlichen überparteilichen Zusammenarbeit.

Das dürfte auch so bleiben. Die wichtigsten Richtungswechsel der vergangenen 30 Jahre in den USA wurden ohnehin nie durch Wahlen ausgelöst. Der Republikaner Richard Nixon zog sich auch ohne Wählerauftrag aus Vietnam zurück und suchte die Verständigung mit China. Der Demokrat Jimmy Carter begann mitten in der Legislaturperiode mit dem gigantischen Deregulierungs- und Aufrüstungsprogramm, für das später immer nur Ronald Reagan verantwortlich gemacht wurde. George Bush Senior hatte im Wahlkampf »keine neuen Steuern« versprochen, und als er Präsident war, kamen sie doch. Clinton legte in den ersten Monaten seiner Amtszeit ein sozialdemokratisches Investitionsprogramm vor. Als es im Mai 1993 im Kongress scheiterte, setzte er flugs auf einen strikten Sparkurs und verkündete: »Die Ära des Big Government ist zu Ende.«

Fast genau acht Jahre später gibt es nun wieder einen Richtungswechsel. Diesmal war es eben ein einzelner Senator, der dafür sorgte, dass Bush nicht allzu weit gehen kann.