Türkei blockiert EU-Militärpläne

Das ewige Enfant terrible

Der Streit über die neue »europäische Verteidigungsidentität«, also über die Frage, welche Industrienation in Zukunft in welchem Bündnis wo militärisch einmarschieren oder zuschlagen kann, ist um eine neue Komponente bereichert worden. Bei ihrem Versuch, sich von der US-dominierten Nato zu emanzipieren, kam die EU auf die clevere Idee, sich ihre bis 2003 aufzustellende Eingreiftruppe auch von jenen Nato-Staaten mitfinanzieren zu lassen, die nicht oder noch nicht Mitglieder der Union sind, ohne ihnen dafür ein volles Mitspracherecht bei Kriegseinsätzen einzuräumen. Während Island, Norwegen, Ungarn und Polen dem Vorschlag zustimmten, widersprach die Türkei auf der Nato-Frühjahrstagung Ende Mai in Budapest. Entweder sie erhalte volles Mitsprache- und Vetorecht oder es gebe weder Geld, noch werde sie ihre Nato-Einrichtungen zur Verfügung stellen.

Seitdem herrscht Verstimmung nicht nur in den europäischen Außenministerien, sondern auch in den deutschen Medien. Vor allem in der Frankfurter Rundschau, sonst bekannt dafür, in ihren Kommentaren die Vorzüge der »Zivilgesellschaft« zu preisen, wurde diesmal Klartext gesprochen: »Mit ihrer Haltung (...) tut die Türkei weder sich selber noch dem Bündnis einen Gefallen. Am Ende des Kalten Krieges und mit dem Ausbruch regionaler Konflikte musste die Europäische Union Verantwortung, auch globale übernehmen. Dieser gerecht zu werden verlangt nach einer konsistenten Sicherheitspolitik der Gemeinschaft. Dazu gehören Truppen, und wenn die Türkei glaubt, dies eigennützig blockieren zu können, dann verkennt sie die Dimension des Vorhabens.«

Nachzugeben habe die Türkei, oder sie isoliere sich und könne ihren EU-Beitritt vergessen. Die Euro-Strategen von der jungen Welt erklären, warum einmal mehr jener pampige Tonfall angeschlagen wird, auf den man in Deutschland immer dann zurückzugreifen pflegt, wenn Ankara nicht spurt: »Eine von den USA relativ unabhängige Militärpolitik würde von der Türkei stets hintertrieben werden, egal ob außerhalb oder innerhalb der EU. Denn mit Ankara hätte Washington seinen zuverlässigsten Partner in Brüssel platziert.«

So zeigen sich einmal mehr die Widersprüche des EU-Imperialismus, den das angebliche Kalkül der USA nun zwingt, ein Land brüskieren zu müssen, welches nicht nur von eminenter strategischer Wichtigkeit ist, sondern auch, anders etwa als die BRD, auf langjährige und einschlägige Erfahrungen als »Eingreiftruppe« in anderen Staaten wie Zypern oder dem Irak zurückblicken kann und zugleich reich an Kenntnis bei der Bewältigung »regionaler Konflikte« ist. Während nämlich im Kosovo die türkischen Truppen, ohne zu murren, im deutschen Sektor ihren Dienst tun, könnte, wie zu Recht FR, junge Welt und SZ vermuten, die Türkei im Nahen Osten oder Kaukasus durchaus Interessen verfolgen, die nicht identisch mit jenen Euro-Deutschlands sind.

Denn auch wenn sie der Zerlegung des Balkans begeistert zugestimmt hat, wird die türkische Militärführung entsprechende Pläne für den Nahen Osten strikt ablehnen, auch weil sie sich daran erinnern dürfte, dass etwa Angelika Beer, berauscht vom Kosovo-Krieg, 1999 erklärte, auch die Türkei führe in den kurdischen Gebieten »ethnische Säuberungen« durch, und empfahl, vom Schicksal Jugoslawiens zu lernen.

Solange aber die hiesigen Raumplaner uneins sind, ob die Staaten der europäischen Peripherie nun in ihrer bestehenden Form als militärisches Aufmarschgebiet erhalten oder zuvor in ihre »ethnischen« Bestandteile zerlegt und in Protektorate umgewandelt werden sollen, bleibt ein Land wie die Türkei für sie ein »Problemfall« (SZ).