Dopingkontrollen beim Giro d'Italia

Drogen für den Staatsanwalt

Beim Giro d'Italia geht es 2001 so weiter, wie die Tour de France 1998 aufhörte: mit verhafteten Sportlern.

Als die Staatsanwaltschaft während einer juristisch nicht ganz sauberen Razzia im Rahmen des Giro d'Italia in der vergangenen Woche bei dem Italiener Dario Frigo Mittel fand, denen nachgesagt wird, sie hülfen ihm, in seinem Beruf erfolgreicher zu sein, wurde er von seinem Arbeitgeber sofort fristlos entlassen.

Außerdem wartet ein Verfahren auf ihn, denn er soll gegen das relativ neue italienische Antidopinggesetz verstoßen haben. Das Ganze findet unter dem Beifall einer liberalen und aufgeklärten Öffentlichkeit statt, schließlich handelt es sich bei dem jungen Mann, der gegenwärtig öffentlich geächtet und gebrandmarkt wird, um einen Radprofi. Für Berufssportler gelten im öffentlichen Diskurs über Doping bekanntlich andere Regeln als für normale tatverdächtige Bürger.

An Dario Frigo, bis zur fristlosen Kündigung durch sein Team Fassa Bartolo Zweiter in der Gesamtwertung des Giro d'Italia, wurde keine Dopingkontrolle im Sinne des Sportrechts vorgenommen. Ob er also vor oder während des Rennens Mittel genommen hat, die wegen der Feststellungen des Internationalen Olympischen Komitees für Sportler in Italien gesetzlich verboten sind, weiß niemand. In seinem Hotelzimmer wurden, so heißt es, solche Mittel sichergestellt.

Als Folge dieser Razzia, die sich in der Nacht vom vergangenen Mittwoch auf Donnerstag zutrug, wird auch gegen den italienischen Profi Ivan Gotti, den zweifachen Gewinner der Italien-Rundfahrt, ermittelt. Im Wohnwagen seiner Schwiegereltern wurden angeblich Dopingmittel gefunden, angeblich für Gotti bestimmt und vielleicht auch von Gotti konsumiert. Gotti erklärte, dass es sich bei den Mitteln, die er aus dem schwiegerelterlichen Wohnwagen bezog, um Vitamine gehandelt habe. Falls im Van, was bislang unklar ist, Dopingsubstanzen gelagert und transportiert worden sind, wird er wohl angeklagt und mit einer Haftstrafe und einem Berufsverbot belegt; nach italienischem Recht drohen Fahrern drei Jahre Gefängnis, Betreuern sechs Jahre.

Nun über den Verfall rechtsstaatlicher Sitten zu lamentieren, weil es ein Unding ist, wegen Funden im Auto der Schwiegereltern verurteilt zu werden, wäre unsinnig. Schließlich sind die Opfer dieser Entwicklung Berufssportler. Und für die gelten andere Regeln als die definierten Bürgerrechte.

Die Aktion gegen die zwanzig am Giro d'Italia teilnehmden Profiteams wurde unter dem Decknamen »vierblättriges Kleeblatt« vorbereitet und bereits am 27. Mai von Staatsanwälten in Florenz angeordnet. Nach Informationen der Fachzeitung Gazetto dello Sport wartete die Staatsanwaltschaft den Verlauf des Giro bis kurz vor seinem Ende ab, da sie vor einer schweren Bergetappe am ehesten den Einsatz verbotener Substanzen vermutete.

Etwa 300 Polizisten der italienischen Zoll- und Drogenfahndung, der Sondereinheit gegen Betrug (NAS) und des Militärs von Ligurien verschafften sich Zugang zu den Hotels, in denen die Teams abgestiegen waren. Die Fahrer aßen gerade zu Abend, da wurden die Hotels abgeriegelt, vor Zimmern, Fahrstühlen, Ein- und Ausgängen zogen Wachen auf. Zunächst kolportierte Informationen, wonach Spritzen aus Hotelfenstern geworfen worden seien und gar ein Fahrer aus einem Fenster gesprungen sei, konnten nicht bestätigt werden.

Sichergestellt wurden beinahe alle Medikamente, deren die Polizisten und Soldaten habhaft werden konnten. »Was die Beamten nicht kannten, Nasensprays oder Vitamintabletten, wurde konfisziert«, berichtete Lothar Heinrich, Arzt des Teams Deutsche Telekom, bei dem auch Jan Ullrich fährt. Ullrich, der den Giro als Vorbereitung für die Tour de France fuhr und ihn trotz Bronchitis zu Ende brachte, klagte: »Ich kam mir vor, als wenn ich was verbrochen hätte. Die haben alles kontrolliert bei mir, in meinen persönlichen Sachen herumgestochert, meine Nasentropfen, Mineral- und Vitaminpillen, mit denen ich meine Krankheit bekämpfe, beschlagnahmt.«

Sein Teamkollege Matthias Kessler berichtete, die Beamten hätten alle Mittel mitgenommen, deren Packungsbeilage nicht in italienischer Sprache abgefasst war, »bei mir war das Vitamin E und C«. Kessler weiter: »Die haben uns behandelt wie Schwerverbrecher, als ob wir Drogendealer wären.« Man wolle »einen generellen Überblick bekommen«, begründete Staatsanwalt Antonino Guttadauro die Razzia. Die Ermittlung sei nicht wegen eines bestimmten Verdachtes gegen bestimmte Sportler oder Teams angesetzt worden.

Die Rennleitung beschloss nach den Durchsuchungen, die für den folgenden Tag angesetzte 19. Etappe abzukürzen, weil die Fahrer die schwierige Bergetappe über 230 Kilometer nicht hätten durchstehen können; die Razzia war erst gegen 3.30 Uhr nachts zu Ende. Nachdem sich die Fahrer versammelt hatten und ihre Streikbereitschaft erklärten, wurde die 18. Etappe von Imperia nach St. Anna abgesagt - weitergefahren wurde erst am Freitag, mit der 19. Etappe von Alba nach Buzsto Arsizio.

Sprecher der aufgebrachten Fahrer wurde Mario Cipollini, einer der weltbesten Sprinter des Radsports, der - ein bisschen Gerechtigkeit gibt es immer - die 19. Etappe dann im Sprint gewann. Auf der Sitzung der Fahrer, an der vom Team Telekom lediglich die drei italienischen Fahrer teilnahmen, während die deutschen lieber schlafen gingen, handelten die Giro-Veranstalter mit den Teamchefs und den Fahrern in einer siebenstündigen Sitzung als Kompromiss die Absage der Alpenetappe aus. »Dafür war am Ende eine knappe Mehrheit«, sagte Giovanni Lombardi vom Team Telekom. Der anwesende Präsident des Rad-Weltverbandes UCI, der Niederländer Hein Verbrüggen, erklärte: »Die Art und Weise der Razzia ist nicht zu akzeptieren.«

Die italienische Justiz, die zwar auch in den Tagen nach ihrem Einsatz noch keine greifbaren Ergebnisse präsentieren konnte und lediglich von eingeleiteten Ermittlungen gegen sechs Fahrer berichtete, sprach von einem Erfolg. Freilich ist er nicht so konkret, dass er in Form einer Anklageschrift der Öffentlichkeit präsentiert werden könnte. Dass der Staat mit seinen Instrumenten Polizei und Militär eingreift, um das Dopingproblem des Sports zu beheben, ist nicht neu.

Auch dass dies mitten im Wettkampf geschieht, war im internationalen Radsport schon 1998 bei der Tour de France zu erleben. Zuerst wurde ein Masseur des Teams Festina verhaftet, anschließend erließ Frankreichs kommunistische Sportministerin Maire-George Buffet eine Anordnung, weitere Radprofis zu verhaften. Zu den unter der Dusche Festgenommenen gehörten damals auch der Festina-Kapitän und Vorjahres-Zweite Richard Virenque sowie Weltmeister Laurent Brochard. Das Vorgehen der französischen Behörden führte auf der einen Seite zu einigen Geständnissen von Fahrern, als illegal deklarierte Mittel eingenommen zu haben. Auf der anderen Seite beklagten sie auch die entwürdigenden Umstände der staatlichen Eingriffe. Ohne Erfolg. Frankreichs Sportministerin Buffet lobte jetzt die Giro-Razzia und stellte fest: »1998 wurde der Deckel angehoben, aber wir warten nicht ab, bis es neue Enthüllungen gibt. Es bedarf großer Anstrengungen, um diese Praktiken zu unterbinden.«

Was für die am 7. Juli beginnende Tour de France erneut einen Polizeieinsatz befürchten lässt, der erneut unter dem Beifall einer linken und liberalen Öffentlichkeit stattfinden wird. Die Süddeutsche Zeitung etwa lobte bereits, dass Italiens Justiz ein Zeichen gesetzt habe, das vom »verblendeten Publikum« nicht verstanden werde. Besonnene Beobachter der internationalen Radsportszene wie etwa die Neue Zürcher Zeitung kritisierten die von der Justiz »gewählte Schärfe«. Experten bezweifeln zudem den Erfolg der Razzia. Eine Zuordnung von Medikamenten zu bestimmten Fahrern sei kaum möglich.

Auch die Feststellung, dass ein Arzt in seinem Koffer vom Internationalen Olympischen Komitee als verboten deklarierte Stoffe bei sich trug - was immer das IOC juristisch mit dem Profiradsport zu tun haben mag - , weil sie in einen Arztkoffer gehören, dürfte italienische Richter nicht zu harten Urteilen veranlassen. Dass die Sportler wegen der Belastungen des Profiradsports auf medizinische Unterstützung angewiesen sind, wird sich mittlerweile auch in Justizkreisen herumgesprochen haben. Ebenso die Tatsache, dass zwischen der Substitution von Stoffen, die nach sechs Stunden härtester Anstrengungen durch normales Essen nicht mehr aufzunehmen sind und verbotener medizinischer Unterstützung eine Grauzone existiert.

Ob es eines Richterspruches noch bedarf, ist sowieso beinahe ohne Belang. Der Staatseingriff ist bereits erfolgt, die Öffentlichkeit ob der scheinbar kriminellen Praktiken entsprechend aufgerüttelt, und erste Konsequenzen werden schon gezogen. Dario Frigo wurde seiner Existenzgrundlage beraubt.