Machtwechsel in Berlin

Ran an die Macht!

Der Regierungswechsel in Berlin ist ein Grund zu größter Freude.
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Holt Sekt aus dem Kühlschrank! Hängt Girlanden auf! Lasst Musikanten aufspielen! Tanzt! Freut Euch! Preiset den Herrn! Oder wen auch immer. Dies ist ein Festtag. Berlins Regierender Bürgermeister Eberhard Diepgen: abgewählt. Sein Innensenator Eckart Werthebach: abgewählt. Der ganze CDU-Apparat: abgewählt. Nach all den Jahren des Leidens.

Wie lange haben wir doch diese Provinzspießer ertragen müssen, ihre inhaltsfreien, aber auf erzreaktionärem Boden gedeihenden und viel zu laut vorgetragenen Reden. Ihre schon auf den ersten Blick unsympathischen Gesichter, ihre großen Gesten und ihre kleinen Geister. Die Berliner CDU ist einer der konservativsten Landesverbände, immer nahe am braunen Rand und kulturell verwurzelt in einer Gartenzwergmentalität aus den fünfziger Jahren.

Wir erinnern uns an den CDU-Rechtsaußen Heinrich Lummer, der mit den Reps koalieren wollte und immerhin mal Innensenator war. Genauso wie Dieter Heckelmann, der von der ultrarechten Notgemeinschaft für eine Freie Universität (NoFu) kam und sich einen Pressesprecher namens Hans-Christoph Bonfert hielt, der Salongespräche mit rechten Intellektuellen aus dem Umfeld der Zeitung Junge Freiheit organisierte. Da war auch mal ein General namens Jörg Schönbohm, der den Job des Innensenators mit dem eines Feldherrn verwechselte und in dessen Amtszeit Nazi-Aufmärsche in Berlin zur Gewohnheit wurden. Nicht zu vergessen Kommunistenfresser wie Klaus Landowksy, der ihm missliebige Personen schon mal als Ratten und Abfall bezeichnete und Mietshäuser, in denen seiner Ansicht nach zu viele Türken wohnten, einfach wegsprengen wollte. Auch Zuzugssperren für Ausländer wollte er über Kreuzberg verhängen. Der Innensenator Werthebach wollte die deutsche Sprache von fremden Einflüssen reinigen. Und nicht zuletzt Eberhard Diepgen, was soll man zu dem noch sagen, außer: Wir wollen ihn nicht mehr sehen.

Was haben wir uns beherrscht! Wie oft haben wir uns gewünscht, dieser schmierigen, permanent nach rechtem Stammtisch muffelnden CDU mal die Möbel gerade zu rücken. Wir haben es nicht getan. Einige aus Feigheit oder rechtsstaatlichem Anstand, andere vielleicht auch nur aus Mangel an Gelegenheit. Aber jetzt ist es soweit. Ein Faustschlag in die Fresse der Berliner CDU.

Nicht nur, dass sie die Macht verliert. Sie verliert sie auch noch ausgerechnet an jene, die in ihren Augen die Hölle auf Erden verkörpern: an die grünen Chaotenfreunde, die Kommunisten aus dem Osten, den schwulen Klaus Wowereit, den Juden Gregor Gysi. Diepgen und sein Clan müssen sich vom Bösen umzingelt fühlen.

Das waren sie seit Jahren. Sie haben es in ihrer Selbstherrlichkeit, in ihren Westberliner Villen nur nicht gemerkt. Jetzt fällt ihnen die Erkenntnis wie ein abgestürzter Jumbo auf die Zehen. Peng!

Und merklich geht ein Aufatmen durch die Stadt. Nicht weil jetzt alles anders oder gar besser wird. Das ist kaum zu erwarten. Aber die Gesichter, die einen morgens aus der Zeitung anglotzen, ändern sich. Schon allein das ist ein Grund zur Freude. Vielleicht kommt es auch zu der einen oder anderen positiven Entwicklung. Gibt es mit Rosa-Grün, Rosa-Rot oder Rosa-Rot-Grün die Videoüberwachung öffentlicher Plätze? Wird der nächste autonome 1. Mai wieder verboten? Gibt es endlich eine liberalere Drogenpolitik, Fixerstuben vielleicht oder eine Beteiligung am Modellversuch kontrollierter Heroinabgabe? Gibt es eine neue Verkehrspolitik?

Klar, man soll sich nicht zu viel erhoffen. Spätestens seit der rot-grünen Koalition auf Bundesebene wissen wir, dass es in vielen Bereichen auch schlimmer werden kann als mit der CDU. Der brutalste Polizeieinsatz der letzten 20 Jahre in Berlin, die Räumung der Mainzer Straße, fand unter einem rot-grünen Senat statt.

Doch selbst wenn sich in der praktischen Politik des Senats nicht viel ändert, die politischen Parteien werden kräftig durcheinandergewirbelt. Sollten SPD und PDS nach der Wahl ohne die Grünen regieren, wird dies einen Linksruck für die Grünen bedeuten, ebenso wie für die PDS, wenn sie sich als linke Opposition neben einer rosa-grünen Regierung profilieren muss.

Für die regierenden Parteien hingegen kommt es endgültig zur kompletten Entzauberung. Um es mit Wowereit zu sagen: Und das ist auch gut so!