Debatte zur Einwanderung

Nie wieder Wir

Wenn in dieser Woche in Berlin die Ergebnisse der so genannten Süssmuth-Kommission vorgelegt werden, dann ist die Diskussion hinter den Kulissen möglicherweise bereits entschieden - im hierzulande typischen korporatistischen Konsensverfahren. Schon vor Wochen wurden Versionen des Berichts an die Presse weitergegeben. Dieses Verfahren gab allen Beteiligten an der Debatte zum Thema Einwanderung die Gelegenheit, ihre Positionen zu formulieren, sodass demnächst irgendwo zwischen Innenministerium und Opposition der Kompromiss gefunden werden kann.

Stellt sich nur die Frage, ob sich wirklich etwas ändern wird. Zunächst ist angesichts der klandestinen Entscheidungsstrukturen noch gar nicht zu sagen, was genau beschlossen werden könnte. Beim aktuellen Informationsstand ist es zweifelsohne einfach, die Vorschläge der Kommission und der Parteien als das Übliche abzutun. Nur der Druck der Wirtschaft und demografische Überlegungen haben schließlich überhaupt dazu geführt, dass das Thema auf die Agenda gesetzt wurde - nicht etwa ein Bewusstsein demokratischer Defizite.

Zudem wird erneut über Integration schwadroniert wie in den siebziger Jahren. Von »Integrationskapazitäten« ist da die Rede und von der »allgemeinen Integrationsfähigkeit«. Wieder werden Skalen kultureller Nähe konstruiert; bei den »EU-Ausländern« ist alles prima, wird behauptet, aber es gibt schon »da und dort ein Problem im Bereich der türkischen Mitbürger« (Otto Schily). Und die »Verleihung bestimmter Rechte, wie etwa das der Staatsangehörigkeit« (Süssmuth-Kommission), soll erst am Ende des Prozesses der Integration stehen, wobei die Einheimischen je nach Bedarf entscheiden, was sie als Integrationserfolg betrachten und was nicht.

Ob es zur Integration ausreicht, die von der Süssmuth-Kommission vorgeschlagenen 600 Stunden Deutschunterricht zu absolvieren und zu einem »angemessenen Teil« auch selbst zu bezahlen? Von der Union kommt dazu noch ein wirklich skandalöser Vorschlag. So sollen etwa Visabewerbern in »problematischen Ländern« demnächst nicht nur Passkopien, sondern auch Fingerabdrücke abgenommen werden. Außerdem wollen alle an der Debatte Beteiligten außer den Grünen die neue Einwanderung von »Höchstqualifizierten« mit der Beschleunigung der Asylverfahren koppeln.

Unter solchen Bedingungen positive Aspekte herauszustreichen, fällt nicht ganz leicht. Dennoch gibt es sicher drei Punkte, die für die Zukunft unabsehbare Folgen haben werden. Erstens geben mittlerweile alle Parteien zu, dass die Bundesrepublik eine Einwanderunsgesellschaft ist. Zweitens ist erkannt worden, dass es ein kohärentes Gesamtkonzept geben muss, was drittens die Vereinfachung des chaotischen und jede Beamtenwillkür fördernden Ausländergesetzes einschließt.

Nun hat auch eine langsame Zersetzung des berüchtigten nationalen Interesses begonnen. So meint die SPD immerhin, die Einwanderung müsse »im Einklang mit den Interessen der deutschen Bevölkerung und der bereits in Deutschland ansässigen Ausländer« stehen. Das traditionelle Wir des deutschen Deutschlands steht auch in der Union zur Disposition, wenn als Integrationsziel tatsächlich die »gleichberechtigte Möglichkeit der Teilhabe« für Migranten genannt wird. Auch die CDU fordert inzwischen, dass die Selbstorganisation der Migranten stärker berücksichtigt werden soll.

Viel ist das nicht, aber es schafft Räume. Denn je mehr der Mythos vom »Ausländer« verschwindet, desto mehr Möglichkeiten ergeben sich für weitergehende Forderungen.