Beate Klarsfeld über die deutschen Reaktionen auf den Besuch Assads

»Assads Anhänger gehören vor Gericht«

In Frankreich sorgte der Besuch des syrischen Präsidenten für einen Aufschrei. Bashar al Assad, der vorige Woche auf Einladung der Bundesregierung in Berlin war, hatte im März die Juden des Verrats an Jesus geziehen. Doch auch Assads Äußerung, in Israel existiere »eine rassistischere Gesellschaft als im Nationalsozialismus«, brachte die deutschen Gastgeber nicht aus der Fassung. Außenminister Joseph Fischer forderte ihn lediglich auf, seine »politische Rhetorik« zu ändern. Beate Klarsfeld, die 1968 durch ihre Ohrfeige für den damaligen Bundeskanzler und Alt-Nazi Kurt-Georg Kiesinger bekannt wurde, reiste mit ihre Gruppe »Söhne und Töchter der aus Frankreich deportierten Juden« eigens nach Berlin, um gegen den Besuch Assads zu protestieren. Seit den achtziger Jahren kämpft Klarsfeld für die Auslieferung des NS-Massenmörders Alois Brunner, der in Syrien lebt.

In Paris haben haben 8 000 Menschen gegen den Besuch des syrischen Staatspräsidenten Assad demonstriert, in Berlin nur 150. Welche Schlussfolgerungen lassen sich daraus ziehen?

Dass in Frankreich viel mehr Menschen protestiert haben, lag wohl daran, dass in Frankreich im Vergleich zu Deutschland eine größere jüdische Gemeinde existiert. Die, die gegen Assads Besuch demonstriert haben, waren zu 99 Prozent Juden. Die antisemitischen Strömungen in Deutschland und Frankreich sind wahrscheinlich gleich groß. Ich habe allerdings den Eindruck, dass das Problem heute nicht mehr so sehr der Antisemitismus ist, sondern der Antizionismus. Unser Anliegen war es, in Berlin zu demonstrieren, weil Assad eingeladen wurde, der heute ein arabischer Führer ist, der laut und stark gegen Israel hetzt, gegen das jüdische Volk und gegen die jüdische Religion.

Sie hatten in Deutschland eine ganzseitige Anzeige in der taz platziert, in der dazu aufgerufen wurde, »Nein« zu sagen zum Besuch Assads. Das grüne Spektrum, das die taz repräsentiert, war aber auf der Kundgebung in der vergangenen Woche fast gar nicht vertreten.

Die deutschen Grünen sind im allgemeinen - wahrscheinlich so wie in Frankreich auch - mehr oder weniger propalästinensisch und anti-israelisch eingestellt. Die Reaktionen, die von den deutschen Politikern kamen, waren allerdings etwas zaghafter als in Frankreich. So zeigte der Pariser Bürgermeister, der gerade neu gewählt wurde, Assad die kalte Schulter, indem er ihn nicht auf der Ehrentreppe empfing und dessen antisemitische Aussagen in seiner Ansprache stark kritisierte. Viele Abgeordnete blieben dem Empfang fern. Einige hatten Plakate mit der Aufschrift »Assad Antisemit« fabriziert, die sie hochhielten, als Assad das Wort ergriff.

Das gab es in Deutschland nicht.

Das gab es nicht. Obwohl einige Abgeordnete sich kritisch geäußert haben. Claudia Roth von den Grünen nahm Stellung, indem sie Syrien kritisierte, weil es die Hisbollah unterstützt, die vom Südlibanon auf Israel schießt.

Gerhard Schröder hat auf die Forderung des Zentralrats der Juden nach einer Distanzierung von der syrischen Diktatur gesagt, Deutschland unterhalte zu fast allen Staaten dieser Welt Kontakte, und dabei werde es bleiben.

Das ist eine diplomatische Antwort, die wahrscheinlich jeder Staatsmann geben würde. Könnte man heute auch mit einem Hitler-Staat Verbindung aufnehmen? Das ist doch die Frage.

Assads Verteidigungsminister Mustafa Tlass hat erklärt, wenn er einen Juden sähe, würde er ihn töten, und wenn alle Araber das gleiche machen würden, hätte man sich das Problem vom Hals geschafft. Wie reagiert die syrische Öffentlichkeit auf derartige Äußerungen?

Ein Staatsmann in Syrien, der antisemitisch ist, ist natürlich sehr beliebt. Israel ist in Syrien der große Feind. Tlass war das Sprachrohr von Assads Vater. Der alte Assad machte solche Äußerungen nie direkt. Als Bashar al Assad sich jetzt antijüdisch äußerte, wusste er ganz genau, dass er sich so bei seinem Volk beliebt machen kann. Mit solchen Äußerungen versucht sich der junge Assad an der Regierung halten. Seine Clique ist die gleiche, die seinen Vater umgab und die nur mit Polizeiterror an der Macht bleiben kann.

Ist der Antisemitismus ein Massenphänomen in Syrien oder ist er vor allem in der Elite verbreitet?

Er zieht sich durch die ganze Bevölkerung. Aber es ist mehr Hass gegen Israel als gegen die Juden. Wenn die Elite Antisemitismus verbreitet, zielt sie darauf, dass die Masse mitzieht.

Ihr Protest gegen Assad richtete sich auch gegen den Schutz, den Syrien dem Nazi-Massenmörder Alois Brunner gewährt. Wurde in dieser Frage von der deutschen Regierung jemals Druck auf Syrien ausgeübt?

Diesen Druck haben Politiker nie ausgeübt, weder die Westdeutschen noch die Österreicher. Als Assad vor drei Jahren nach Paris auf Staatsbesuch kam, hat unsere Gruppe auch demonstriert. Wir haben den französischen Präsidenten und den Premierminister dazu gebracht, die Frage nach der Auslieferung zu stellen. Die Antwort von Assads Vater war die gleiche, die sein Sohn dem Spiegel nun wieder gab: »Der Mann hat nie bei uns gelebt.« Erst diesen März hat ein französisches Gericht Alois Brunner in Abwesenheit zu lebenslanger Haft verurteilt. Der Staatsanwalt sagte, er gehe davon aus, dass Brunner noch heute im syrischen Exil lebt. Aber da kein wirtschaftlicher oder politischer Druck auf Syrien ausgeübt wird, ist das für Assad kein Problem.

Die rot-grüne Regierung hat Syrien gerade wirtschaftliche und politische Unterstützung zugesagt.

Dabei hätte man die Auslieferung zur Bedingung machen können.

Das aber geschah nicht. Brunner war offiziell kein Thema.

Die rot-grüne Regierung hat anscheinend kein Interesse daran, dass ein Massenmörder wie Alois Brunner überführt wird. Ich möchte daran erinnern, dass ich gerade mit deutschen Grünen diesen Kampf geführt habe. Mit Claudia Roth zusammen habe ich in Strasbourg vor dem Europaparlament demonstriert und gefordert, das Europaparlament solle dafür stimmen, die Wirtschaftshilfe an Syrien für zwei Jahre auszusetzen, was auch geschah.

Hängt die Nachsicht der rot-grünen Regierung gegenüber der arabischen Staaten mit dem deutschen Streben zusammen, ökonomisch stärker Fuß zu fassen in der Region?

Zumindest glaube ich, dass Deutschland wie auch Frankreich sich als Vermittler im Nahen Osten ein Image schaffen wollen. Und dazu brauchen sie alle, wie versichert wird, die syrische Regierung.

Was heißt das im Verhältnis zu den USA?

Ein neues starkes Europa gegen die USA.

Bei den Protesten gegen den Besuch Assads wurde ein Plakat mit der französischen Aufschrift, »Nein zu Assad, dem Goebbels der arabischen Länder«, von der Polizei beschlagnahmt. Jetzt droht Ihnen eine Anzeige wegen Beleidigung von Vertretern ausländischer Staaten. Gab es mit dem Plakat auch Probleme in Frankreich?

Wir haben das Plakat in Frankreich auf der großen Demonstration mitgeführt, und da hat uns kein Polizist zur Rechenschaft gezogen.

Man hätte das Schild einfach stehen lassen können, noch dazu, nachdem auf Seiten der Assad-Anhänger fürchterliche anti-israelische Aussagen gemacht wurden. Es wäre angebracht gewesen, gegen sie ein Verfahren einzuleiten wegen Volksverhetzung oder Aufruf zum Rassenhass.

Haben Sie noch weitere Erfahrungen mit den deutschen Behörden gemacht?

Ab 1972 haben wir in Köln einen Prozess gegen Kurt Lischka, Herbert Hagen und Ernst Heinrichsohn, die Hauptverantwortlichen für die Deportationen der Juden aus Frankreich, angestrebt. Sie konnten in Deutschland unbehelligt unter ihren eigenen Namen leben. Wir demonstrierten mit Plakaten vor ihren Häusern, manchmal auch, indem wir die Fensterscheiben ihrer Büros einwarfen. Wir wurden wie Verbrecher behandelt, von der Polizei festgenommen und geschlagen, auch ehemalige Deportierte. Letztlich haben wir dann doch erreicht, dass die deutsche Justiz bereit war, einen Prozess zu eröffnen. 1979 wurden sie zu Haftstrafen verurteilt.