Offensive der Islamisten in Usbekistan

Bin Ladens Brüder

Der Kampf der usbekischen Regierung gegen die Islamisten trifft vor allem die zivile Opposition. Die bewaffneten Fundamentalisten bereiten unterdessen eine Offensive vor.

Usbekische Sicherheitskräfte hatten das Dorf abgeriegelt und herbeieilende Menschenrechtsaktivisten bereits hunderte Kilometer vor dem Ziel zur Rückkehr in die Hauptstadt Taschkent gezwungen. Dennoch war die Aufregung groß, als die Leiche Shovruq Ruzimuradows vorige Woche auf einem Pick-up der Geheimpolizei in Alla Karga eintraf.

Seine Angehörigen waren entsetzt. Der Körper des Toten wies unübersehbare Spuren schwerster Misshandlungen auf. Sogar innere Organe seien entnommen worden, berichtete die Familie. Zwei Wochen zuvor hatte die usbekische Geheimpolizei am Telefon mitgeteilt, Ruzimuradow habe sich in seiner Zelle erhängt.

Der Mittvierziger war seit Anfang der neunziger Jahre führendes Mitglied der usbekischen Menschenrechtsorganisation IHROU. »Ich denke, die Behörden wollten ihn einfach aus dem Weg räumen«, erklärt der Sprecher von IHROU. »Ich glaube nicht, dass sie ihn tatsächlich töten wollten, aber sie haben alle Mittel angewendet, um seinen Willen zu brechen. Möglich, dass er die Folter nicht mehr länger ertrug und so seinem Leben ein Ende setzte.«

Mitte Juni dieses Jahres hatten usbekische Sicherheitskräfte nach einer langwierig vorbereiteten Aktion Ruzimuradows Haus gestürmt. Sichergestellt wurden dem Polizeiprotokoll zufolge Drogen, Waffen und allerhand Material der verbotenen islamischen Organisation Khizb-ut-Takhrir. Ruzimuradows Schicksal war damit besiegelt.

»Die Situation in Usbekistan verschlechtert sich von Tag zu Tag. Pressefreiheit gibt es nicht einmal auf dem Papier. Außer der Orthodoxie und dem Islam ist jede religiöse Aktivität verboten. Regierungskritiker werden verfolgt, verhaftet, gefoltert und nicht selten ermordet«, erklärt Vitali Ponomarew, der Direktor des Informationszentrums für Menschenrechte in Zentralasien.

Seit Anfang der neunziger Jahre wird Usbekistan von dem autokratischen Präsidenten Islam Karimow regiert. Nachdem er die zivile Opposition mit repressiven Mitteln praktisch ausgeschaltet hatte, begannen radikale islamistische Organisationen, das Vakuum zu füllen. Ein Hauch von Algerien war zu spüren. Heute gilt Usbekistan als Brutstätte des islamischen Fundamentalismus, der ganz Zentralasien destabilisieren könnte. »Karimow selbst hat diese Situtation mit seiner Politik heraufbeschworen. Er ist verantwortlich für die verheerende politische Lage in Usbekistan«, urteilt Ponomarew.

Vor allem die radikale Organisation Islamic Movement of Usbekistan (IMU) bekämpft die Zentralregierung. So kam es in den Sommermonaten der vergangenen zwei Jahren zu heftigen Gefechten zwischen bewaffneten Angehörigen der IMU und usbekischen sowie kirgisischen Regierungstruppen im Grenzgebiet zwischen beiden Staaten. Im letzten Jahr stießen die Rebellen gar in die Nähe der usbekischen Hauptstadt Taschkent vor.

Für den Spätsommer dieses Jahres erwartet der Bundesnachrichtendienst (BND) eine weitere Offensive der IMU. Etwa 7 000 schwer bewaffnete Kämpfer sollen derzeit in den Bergen Tadschikistans nur auf den Marschbefehl warten. Ihr Einflussbereich aber umfasst ganz Zentralasien. Die IMU bestreitet allerdings, einen islamischen Staat vom Kaspischen Meer bis West-China errichten zu wollen. »Wir haben nur einen Feind, das Regime in Taschkent«, erklärte kürzlich Zubair Ibn Abdulrahim, eine der Führungspersönlichkeiten der IMU, um diese Aussage sogleich zu relativieren: »Unsere Organisation verfolgt nicht nur usbekische Interessen. Wir sind eine islamische Gruppierung mit unterschiedlichen Ethnien. Wir sind Kasachen, Kirgisen, Uiguren und Usbeken. Aber alle kommen aus Usbekistan.« Finanzielle und militärische Hilfe für die IMU soll vor allem aus Afghanistan kommen, als Mentor und Geldgeber gilt der in den USA wegen zahlreicher Bombenanschläge gesuchte Ussama Bin Laden.

Ein derart gut organisierter Feind eint nicht nur die autokratischen Herrscher in der Region. So versichern sich auf den regelmäßigen Treffen der Shanghai Five die zentralasiatischen Staaten, Russland und China ihrer gegenseitigen Unterstützung im Kampf gegen den islamistischen Terror, Usbekistan trat dem Bündnis erst kürzlich bei (Jungle World, 27/01). Auch die westlichen Staaten haben der IMU bereits beachtliches Interesse entgegengebracht. Besonders die mutmaßliche Verbindung zu Bin Laden macht die USA zu einem Verbündeten Karimows und anderer zentralasiatischer Potentaten.

Als im letzten Sommer die damalige US-amerikanische Außenministerin Madeleine Albright in Taschkent weilte, machte sie nur einen schüchternen Versuch, den Präsidenten von der Zweckmäßigkeit einer milderen Repressionspolitik zu überzeugen: »Es ist notwendig, dass die usbekische Regierung sehr genau zwischen friedlichen Kritikern und Terroristen unterscheidet.« Bevor Albright wieder nach Washington flog, spendierte sie Karimow drei Millionen US-Dollar, um die Jagd auf mutmaßliche Terroristen zu finanzieren. Mit dem Geld installierte Karimow ein bizarres Spitzelsystem. Die Einwohner Taschkents wurden mit bescheidenen Beträgen bestochen, ihre Nachbarn als Islamisten zu denunzieren.

Immerhin 16 Verdächtige gingen den Behörden im Herbst letzten Jahres auf diese Weise ins Netz. Im Juni stieg die Zahl der Denunziationen noch erheblich: 70 Männer wurden angeklagt, mit den Fundamentalisten zu kollaborieren und so das usbekische Staatswesen zu gefährden. Das Gericht in Taschkent handelte sofort: »Innerhalb von fünf Tagen wurden 20 der Angeklagten verurteilt, sie hatten nur einen halben Tag, um ihre Verteidigung vorzubereiten«, so Marie Struthers, eine Mitarbeiterin von Human Rights Watch. »Derartige fundamentalistische Aktivitäten sind für Karimow Rechtfertigung genug, unablässig gegen Oppositionelle vorzugehen«, klagt Ponomarew.

Der Eifer der zentralasiatischen Regierungen, im Kampf gegen die Islamisten auch gleich die politische Opposition zu beseitigen und so ihre Macht zu sichern, findet auch die tatkräftige Unterstützung Russlands. Seit dem Amtsantritt Wladimir Putins versucht Moskau verstärkt, den zentralasiatischen Republiken mit militärischen Beratern und einer Aufstockung der dort stationierten Truppen behilflich zu sein und damit zugleich dem wachsenden Einfluss der USA entgegenzutreten. Auch die Moskauer Behörden gehen ab und an gegen mögliche Fundamentalisten aus Usbekistan vor. »Wenn in Moskau ein Usbeke oder ein anderer Bürger aus einer der zentralasiatischen Republiken verhaftet wird, weiß die Polizei schon, dass er schuldig ist, obwohl er nur Regimekritiker ist«, stellt Vitali Ponomarew erbittert fest.

Wahrscheinlich wird zum Zeitpunkt der nächsten Offensive der islamistischen Kämpfer in den zentralasiatischen Republiken gefeiert. Zehn Jahre währt die Unabhängigkeit und ebenso lange der Kampf gegen die Islamisten. In Usbekistan jedenfalls laufen die Vorbereitungen schon auf Hochtouren. Die Regierung bereitet ein »Jahrhundertfest« vor, die Islamisten planen eine »Jahrhundertoffensive«.